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125 Jahre Schweizer Schwingerverband
Volkstümliches Ringen in Hemd und Stoffhose

Das Schwingen, eine Spielart des Ringens, ist ein Schweizer Nationalsport. Die Wettkämpfe sind bedeutende gesellschaftliche Ereignisse, 420.000 Besucher kamen im vergangenen Jahr zum wichtigsten Turnier, dem "Eidgenössischen", nach Zug. Vor 125 Jahren wurde der Verband der Sportart gegründet.

Von Eduard Hoffmann | 11.03.2020
    Der amtierende Schwingerkönig Christian Stucki im Kampf gegen Bernhard Kämpf.
    Der amtierende Schwingerkönig Christian Stucki im Kampf gegen Bernhard Kämpf (imago / Carmen Messerli)
    "Schwingerlüüt im Schwizerland" – Schwingerfreunde in der Schweiz! Das ist die eigens komponierte Hymne für das Eidgenössische Schwinger- und Älplerfest 2019.
    Alle drei Jahre kürt die Schweiz auf dem "Eidgenössischen", wie das Volksfest kurz genannt wird, den sogenannten Schwingerkönig. Der Schweizer Nationalsport ist eine eigene Art des Ringens, erklärt der Journalist Linus Schöpfer, der im vergangenen Sommer ein kulturhistorisches Buch übers Schwingen veröffentlicht hat.
    "Es ist ein Kleiderringen und als solches schon eine Schweizer Spezialität. Aber es ist nicht ein ursprünglich für sich stehender Sport, sondern ist eben eine Spielart des Ringens, ja mit einer speziellen Ausstattung, also sprich dieser Zwilchhose, die sehr robust ist, und dann auch mit einem sehr komplizierten Ablauf innerhalb der Wettkämpfe."
    Alles passiert im Sägemehlkreis, Mann gegen Mann. Leger, mit Hemd und langer Stoffhose bekleidet, schlüpfen die Kontrahenten in die typischen kurzen Hosen aus reißfestem Zwilchstoff mit Ledergurt. Das fürs Schwingen extra hergestellte Kleidungsstück muss schon einiges aushalten können. Denn beim "Hosenlupf", wie der Sport traditionell genannt wird, packen, ziehen und heben sich die Kämpfer vor allem an Gurt und Hosenbein durchs Sägemehl.
    Gewichtsklassen gibt es nicht. Jeder tritt gegen jeden an, ein besonderer Reiz im Vergleich zum herkömmlichen Ringen.
    Anstelle von Runden gibt es Gänge. Normalerweise sechs, das große "Eidgenössische" jedoch geht über acht Gänge. Sieger ist, wer den Gegner idealerweise mit einem raffinierten Schwung auf den Rücken wirft.
    Kein ungefährlicher Sport
    Über 300 verschiedene Schwünge listet der ESV, der Eidgenössische Schwingerverband, auf: Kurz, Hüfter, Brienzer, Päckli, Bur, Knietätsch, Wyberhaken und wie sie alle heißen. Der Schwingersport ist nicht ganz ungefährlich. Regelmäßig kommt es zu Verletzungen.
    "Vor allem im Knie und Schulterbereich, und dann gibt es so alle 15 bis 20 Jahre schwere Verletzungen, […] also es gibt Schwinger, die im Wettkampf gelähmt wurden, ja, das gibt’s immer noch", sagt Schöpfer.
    Schon im Mittelalter sollen Hirten und Bergbauern wild geschwungen haben. Immer wieder hagelte es Verbote seitens der Obrigkeit. Schwingerexperte Linus Schöpfer sieht die Anfänge des Schweizer Nationalsports in der heutigen Ausprägung aber erst um 1800: als die Aristokraten mit ersten Schwingerfesten bäuerliches Alpenleben inszenierten, um ihre Klassenherrschaft zu sichern gegen die Ideale der französischen Revolution.
    "Vorher ist die Unterscheidung zwischen anderen Formen des Ringens eigentlich nicht möglich."
    Am 11. März 1895 gründete sich schließlich der Eidgenössische Schwingerverband ESV. Als Dachverband legt er seither für die ganze Schweiz die Regeln fest und organisiert die Schwingerfeste.
    "Er war früher deutlich konservativ konnotiert, auch die Obmänner, das sind die Chefs dieses Schwingerverbandes, waren klar Konservative. Die haben auch konservativen Politikern eine große Bühne geboten. Jetzt ist der Schwingerverband sehr vorsichtig, er ist offiziell politisch neutral, ich denke, es hat auch viel mit den Sponsoren zu tun, die eine wichtige Rolle spielen. Ohne diese Sponsoren können diese Monsterfeste gar nicht mehr durchgeführt werden", sagt Schöpfer.
    Seit Jahren schreitet die Kommerzialisierung voran. Ein Schwingerkönig soll jährlich mit aller Sponsorenunterstützung bis zu einer Million Franken verdienen können. Innerhalb der Kampfarenen jedoch ist Werbung tabu.
    Seit 1980 kämpfen auch Frauen
    Die Fernsehübertragungen seit 1995 steigerten die Popularität. 2019 kamen 420.000 Besucher zum dreitägigen "Eidgenössischen" nach Zug:
    "Das schließt mittlerweile alle Milieus ein. Auch aus den Städten geht man an dieses ‚Eidgenössische‘, weil man da auch Konzerte von sehr bekannten Popgruppen verfolgen kann. Also das ist ein Fest mittlerweile nicht nur – in Anführungszeichen – für das konservative Milieu, sondern das geht bis weit ins urbane Milieu hinein", sagt Schöpfer.
    Seit 1980 kämpfen auch Frauen im Sägemehl. Sie werden geduldet, vom Eidgenössischen Schwingerverband jedoch strikt ignoriert. 1992 haben sie sich im eigenen Verband organisiert und krönen auch regelmäßig ihre Königin. Viermal errang die Lehrerin Sonia Kälin die Ehre der Schwinger-Queen.
    "S‘ isch genau das gliche wie beim Männerschwinge, ja, es stad für Kampfgeischt, es stad für Liedeschaft, für Herzblut und einfach mit Freude am Sport", sagt Kälin.