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"138 Millionen Schweizer Franken, die geschmiert wurden"

Heute ist er Nationalrat für die SVP, früher war er für PR-Arbeit der Konkurs gegangenen Sportrechtefirma ISL zuständig. Schmiergelder flossen auch an die FIFA. Es bleibt die Frage: Lassen sich FIFA-Funktionäre auch heute kaufen?

02.12.2010
    Gerwald Herter: Das Schaulaufen hat schon gestern am Zürichsee begonnen. Australien, Südkorea, Katar, die USA und Japan warben um die Austragung der Fußball-WM 2022 mit 30minütigen Präsentationen. Heute sind die europäischen Staaten dran, sie wollen die Fußball-Weltmeisterschaft im Jahre 2018 austragen.

    Vor der Sendung habe ich über die Korruptionsvorwürfe mit dem Sportmanager und früheren ISL-Mitarbeiter Roland Rino Büchel gesprochen. Er ist inzwischen Abgeordneter des Schweizer Nationalrats und gehört der SVP, der Schweizerischen Volkspartei an. Herr Büchel, zunächst mal zu dieser Firma, zur ISL, also Ihrem früheren Arbeitgeber. Vor neun Jahren ist das Unternehmen in Konkurs gegangen. Die Firma hatte sich bis dahin regelmäßig Vermarktungsrechte und Fernsehrechte der FIFA gesichert, und zwar mit Schmiergeldern, so ein Schweizer Gericht. Warum konnte niemand verurteilt werden aus dem Kreis der FIFA?

    Roland Rino Büchel: Gut, auf der Anklagebank saßen natürlich damals die Leute von der ISL und es ging damals, das Thema war, war es ein normaler Konkurs, oder war es ein betrügerischer Konkurs. Offenbar war der Konkurs nicht betrügerisch, sondern die haben einfach so schlecht gearbeitet und vielleicht so viel Geld schmieren müssen, dass sie schlussendlich einfach nicht überleben konnten.

    Herter: Ja, und irgendjemand muss dieses Geld ja empfangen haben.

    Büchel: Ja, die Frage hat man sich gestellt. Das wurde vor Gericht ganz klar geklärt. Es waren etwa 100 Millionen Euro, also 138 Millionen Schweizer Franken, die geschmiert wurden, ohne Gegenleistung, und man wusste aber bis vor kurzer Zeit nicht, an wen die gingen. Jetzt weiß man von einem Teil davon, etwa von zehn Prozent, wohin die gingen. Etwa 10 Millionen Euro sind jetzt geklärt.

    Herter: Also eine riesige Summe, die da gezahlt wurde. Mutmaßlich ging es wohl darum, weil Sie sagen "keine Gegenleistung", dass die Vermarktungsrechte an diese Firma gegangen sind.

    Büchel: Das war ganz klar so, wurde auch vor Gericht so bestätigt, vom Präsidenten der Firma, der ja angeklagt war und sich verteidigt hat, und der hat gesagt, man hätte gar nicht funktionieren können, wenn man das Geld nicht quasi wie ein Salär an gewisse Leute bezahlt hätte.

    Herter: Die BBC hat nun die von Ihnen besagte Liste bekommen und nennt Namen von drei Funktionären, an die Schmiergeld geflossen sein soll, Mitglieder des FIFA-Exekutivkomitees. Gehen Sie davon aus, dass diese drei auch wirklich bestochen worden sind?

    Büchel: Ich denke, das ist ganz klar. Da habe ich jetzt wirklich keine Zweifel, dass das ohne Gegenleistung ging, und ich bin mir auch sicher, dass es nicht nur die drei waren, sondern auch noch die anderen. Die verstecken sich ja bis heute noch hinter Scheinfirmen, die irgendwo in der Welt, Karibik, Liechtenstein ist ja in der Zwischenzeit bekannt, liegen, und bisher weiß man nicht, wer dahinter steckt.

    Herter: Das heißt, auf dieser Liste stehen Namen von Scheinfirmen oder Treuhändern teilweise und die wiederum haben das Geld mutmaßlich weitergegeben?

    Büchel: So ist es, ja.

    Herter: Was heißt das nun für die Wahl, die Entscheidung des FIFA-Exekutivkomitees, die heute ansteht? Glauben Sie, da wird alles mit rechten Dingen zugehen?

    Büchel: Das ist natürlich eine Frage, die man sich stellen kann. Die Geschichte ist noch eine andere, weil damals ging es ja um Marketing und Fernsehrechte und die gingen über verschiedene Veranstaltungen und vielleicht vier oder acht Jahre, und das können zehn Veranstaltungen gewesen sein, Weltmeisterschaften, Frauenweltmeisterschaften, Juniorenweltmeisterschaften und so weiter. Jetzt ist es ja so, dass die Veranstalter die Gunst von 24 zuerst, dann hat es geheißen 22, vielleicht sind es ja jetzt heute dann 23 Personen, die Gunst von denen erlangen müssen. Das sind elf Länder, neun Veranstalter für 2018 und 2022. Die Frage müsste man wahrscheinlich den Leuten vom Exekutivkomitee stellen. Aber dass es Zweifel gibt, das ist ganz klar.

    Herter: Zwei Mitglieder – Sie haben es angesprochen – des Exekutivkomitees sind suspendiert worden, denen hat man Schmiergeld angeboten mit versteckter Kamera. Die drei jetzt genannten sind aber nicht suspendiert worden. Das wirkt widersprüchlich. Was halten Sie von dieser Linie Ihres Landsmannes, des FIFA-Präsidenten Sepp Blatter?

    Büchel: Gut, da muss man jetzt auch zur Verteidigung von Herrn Blatter sagen, das ist jetzt natürlich sehr kurzfristig passiert. Aber das Schlimme ist: Die drei und andere noch haben wirklich Geld angenommen und die zwei, die Sie zuerst erwähnt haben, die hätten ja nur Geld angenommen, die haben es ja nicht einmal, zum Glück, sagen wir jetzt mal, aber die haben es nicht wirklich genommen. Die anderen haben genommen, das ist viel schlimmer, das ist ein wirkliches Vergehen und nicht irgendwo ein fiktives Tun.

    Herter: Sie hören den Deutschlandfunk, die "Informationen am Morgen", wir sprechen mit dem Sportmanager und Schweizer Nationalratsabgeordneten Roland Rino Büchel über die Vorwürfe gegen den Fußball-Weltverband FIFA. – Herr Büchel, das IOC, das Internationale Olympische Komitee, hat zumindest in einem Fall reagiert, die FIFA hingegen nicht. Wodurch erklärt sich dieser Widerspruch?

    Büchel: Ja, das hat mich auch überrascht, weil vor allem: Es geht ja um Herrn Hayatou von Kamerun, dem Präsidenten vom Afrikanischen Fußballverband – das ist wie die UEFA einfach von Afrika – und der hat ja für die FIFA quasi in FIFA-Funktion Geld genommen, ist aber auch IOC-Mitglied. Das heißt, er ist auch einer, der abstimmt, wer die Olympischen Spiele durchführen kann oder eben nicht. Er wurde sofort, da ist man sofort dahintergegangen. Er hat ja auch schon reagiert, ein bisschen komisch zwar. Die FIFA hat nicht gehandelt, ist klar, die Wahlen stehen heute an und da wollten sie vermutlich nicht so viel Unruhe, aber nachher müssen sie definitiv handeln. Das geht so wirklich nicht.

    Herter: Könnte es sich die Schweiz ansonsten nicht mehr leisten, Gastgeber einer solchen Organisation zu sein?

    Büchel: Es gibt Fragen und ich habe auch Fragen im Parlament gestellt, also nicht nur Fragen, sondern eine Motion, also einen Gesetzesauftrag an den Bundesrat gerichtet, das ist unsere Regierung, und da müssen A Fragen beantwortet werden und zweitens Maßnahmen getroffen werden. Man muss aber aufpassen, dass durch die Maßnahmen nicht nur in der Schweiz irgendwo die Lücken geschlossen werden, sondern da muss man wirklich mit Europa reden, vielleicht sogar mit der Welt. Und ich weiß, dass es schon Gespräche gibt von unserem Sportminister, aber da muss man handeln und es wäre tatsächlich möglich, dass die großen Organisationen, IOC, UEFA, FIFA, wenn die so einen schlechten Ruf kriegen, auch ein Risiko für die Reputation von unserem Land werden können.

    Herter: Sie sprechen von internationalen Regeln. Heißt das, dass hier die Standortkonkurrenz eine Rolle spielt und die FIFA zum Beispiel in der Vergangenheit ins Feld geführt hat, dass sie auch in ein anderes Land umziehen könnte?

    Büchel: Ja, das hört man immer wieder von den Organisationen, dass sie uns da ein bisschen drohen, das ist man nicht gewohnt, sie könnten sich nicht vorstellen, dass ein Land sagt, nehmen wir Deutschland, wir wollen nach Berlin kommen, zu ihnen, weil man bei ihnen korrupt sein kann, in der Schweiz ist das nicht mehr möglich. Ich glaube nicht, dass da Deutschland einsteigen würde. Ich glaube, die Drohungen sind nicht ganz so ernst zu nehmen.

    Herter: Das hoffen wir zumindest mal. – Sie selbst haben für die Agentur ISL gearbeitet. Ist Ihnen seinerzeit nicht aufgefallen, dass die FIFA Fernseh- und Vermarktungsrechte gegen Schmiergeld vergeben hat?

    Büchel: Es geht ja um Riesensummen, um Milliardensummen, und es hat so Vermutungen gegeben, aber konkret war nichts auf dem Tisch. Das war ja 2001, da ging die Firma Konkurs. 2008, als das im Gerichtssaal in Zug präsentiert wurde, da war wirklich jeder überrascht. Das war unglaublich. Überrascht waren natürlich nicht der Finanzchef, der Präsident und vielleicht zwei, drei Personen, die das abgewickelt haben, aber all die anderen Hunderte von Mitarbeitern, die haben nichts gewusst, vielleicht irgendwo etwas vermutet, aber nichts gewusst, weil das waren wirklich extrem komische Wege, wie die Zahlungen da vor sich gingen.

    Herter: Überrascht war dann auch der Marketing-Chef, das waren nämlich Sie?

    Büchel: Ich war nicht Chef, ich war zuständig für die Umsetzung. Wenn ein Turnier organisiert wurde, zum Beispiel in Guatemala, Trinidad, oder Argentinien, Mali – Sie sehen also ziemlich interessante Länder, wo ich da gearbeitet habe -, da hat man die Sache umgesetzt, aber nicht die Rechte gekauft. Das ist natürlich beim Rechtekauf, wo das Problem ist. Beim Umsetzen müssen sie vielleicht mal einen Zöllner in Guatemala mit 50 Euro schmieren, dass sie weiterarbeiten können. Das geht schon. Aber ich meine, das ist ja nicht das große Problem, das jetzt auf dem Tisch liegt.

    Herter: Das war der frühere ISL-Mitarbeiter und Schweizer Abgeordnete Roland Rino Büchel über die Vorwürfe gegen die FIFA.

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