Als der russische Dichter Iwan Bunin 1933 den Literaturnobelpreis erhielt, war das eine doppelte Premiere: Er war der erste Russe und zugleich der erste Emigrant, dem diese Ehre zuteil wurde. Seit 1920 lebte er im französischen Exil. In seiner Dankrede in Stockholm sagte Bunin:
"Ich möchte diesem Bankett keine traurige Note verleihen. Und doch: In den letzten 15 Jahren überwogen meine Sorgen bei weitem meine Freuden. … Wer bin ich in Wirklichkeit? Ein Flüchtling …"
Geboren wurde Iwan Alexejewitsch Bunin am 22. Oktober 1870 in Woronesch, 500 Kilometer südlich von Moskau. Seine Kindheit verbrachte er auf dem Dorf. Er war ein sensibler Knabe: "Ich konnte ein Murmeltier in einem Kilometer Entfernung pfeifen hören und wurde betrunken vom Geruch der Maiglöckchen oder eines alten Buchs."
Literarischer Quereinsteiger
Bunins Vater war großzügig, gutmütig, liebte theatralische Reden und leider auch den Wodka und das Glücksspiel. Als ihm das Geld ausging, musste Iwan die Schule verlassen und wurde fortan von seinem älteren Bruder unterrichtet. Mit Erfolg: Iwan Bunin lernte die klassische Literatur lieben. Er begann mit 17 Verse zu schmieden. Schon wenige Jahre später machte sich der vornehm wirkende junge Herr mit dem melancholischen Blick in der Literatenszene einen Namen. Seine Gedichte zeigten ein erlesenes Kunstbewusstsein:
"Hoch auf dem Bergesgipfel wars. Ein leises starkes Blau der Himmel, Schnee, glitzernde Wonne und wie mein Dolch in den Smaragd des Eises Sonette schnitt, sah nur die Sonne"
Bald befreundete sich Bunin mit Tolstoi, er unternahm zahlreiche Reisen durch den Orient, besuchte Maxim Gorki auf Capri, heiratete, ließ sich scheiden und heiratete erneut. Er schrieb immer weniger Gedichte und immer mehr feingeschliffene Erzählungen, mit denen er auch in Europa bekannt wurde.
Rustikale Tragikomödien am Vorabend der Revolution
Das Landleben ist sein Thema: "der Schlamm ringsum kniehoch, auf der Vortreppe liegt ein Schwein, auf dem schwankend und mit den Flügeln schlagend ein gelbes Küken umherspaziert."
Die russische Steppe wird bei Bunin zur Bühne immer neuer Tragikomödien am Vorabend der Revolution. Das Personal bilden räsonierende Kleinbürger, habgierige Bauern, Trunksüchtige, Papyrossi qualmende Knechte, dralle Dorfgrazien, Landstreicher, Weltverbesserer, schwarzäugige gnädige Fräuleins am Klavier, Agitatoren, Popen, tölpelhafte Bürgermeister. Aberglaube, Aufruhr und Obrigkeitshörigkeit, Hunger und Kälte, immer wiederkehrende Seuchen, aber auch der Hass auf Juden und die Brutalität des Volks bilden den Hintergrund, vor dem Bunin die Seelenlagen des Menschen erkundet, die geheimnisvollen Wege der Liebe vor allem, durchwirkt von Beschreibungen der Steppe und der tausend Farben des Himmels darüber.
Flucht vor den Bolschewisten nach Odessa und Frankreich
Man könnte Bunins Erzählungen sozialkritisch nennen. Das sind sie auch. Aber Bunin verstand sich nicht als Revolutionär. Als die roten Garden 1917 Russland unter ihre Herrschaft bringen, ist er entsetzt und flieht aus Moskau in das von den Bolschewisten noch nicht eroberte Odessa:
"Gib all diesen Lehrern völlig freie Hand … und heraus kommt ein derartiges Dunkel, … etwas derart Brutales, Ungebildetes, Unmenschliches, dass das ganze Gebäude unter den Verwünschungen der Menschheit zusammenbricht."
"Gib all diesen Lehrern völlig freie Hand … und heraus kommt ein derartiges Dunkel, … etwas derart Brutales, Ungebildetes, Unmenschliches, dass das ganze Gebäude unter den Verwünschungen der Menschheit zusammenbricht."
Ende 1919 gelang Bunin zusammen mit seiner Frau die Flucht aus der im Chaos versinkenden Hafenstadt nach Frankreich, wo er bis zu seinem Tode 1953 lebte. Mit dem Nobelpreisgeld half er anderen russischen Emigranten und schwang sich, als er auf die 80 zuging, noch einmal zu einer Serie von Erzählungen auf, deren zarte Erotik den Leser bis heute rühren kann:
"Die Jugend geht bei jedem vorüber, die Liebe aber – das ist eine andere Sache."