Mittwoch, 24. April 2024

Archiv

150. Geburtstag von Franz Lehár
Operetten am laufenden Band

Ihre "goldene Ära" hatte die Operette, als Jacques Offenbach "Die schöne Helena" und Johann Strauß "Die Fledermaus" schrieb. Im frühen 20. Jahrhundert erlebte das Genre eine zweite Blüte. Mit dieser "silbernen Ära" eng verknüpft ist Franz Lehár.

Von Beatrix Novy | 30.04.2020
    Porträt von Franz Lehár (1870 - 1948)
    Porträt von Franz Lehár (1870 - 1948) (imago)
    "Wer die Operette tot gesagt hat, der wird seine irrige Meinung gestern Abend berichtigt haben: sie lebt und wird auch weiterleben." notierte 1906 ein hocherfreuter Berliner Kritiker zu Franz Lehárs "Die lustige Witwe".
    Operette – war die nicht mit dem 19. Jahrhundert vergangen? Tot ihre großen Helden: Offenbach, Strauß, Suppè, Millöcker. Orpheus, Vogelhändler, Zigeunerbaron, Fledermaus - unwiederholbare Meisterwerke, das Genre schien aufgezehrt. Da betrat ein Mann die Szene, der eigentlich nach Höherem strebte als nach der leichten Muse, stattdessen wurde er ihr Inbegriff: Franz Lehár, geboren am 30. April 1870 in Ungarn, Sohn eines k.u.k. Militärkapellmeisters.
    Auch Franz fand sich mit 20, trotz Studium am Prager Konservatorium, in diesem Beruf wieder. "Ich habe vier Jahre in dem Orchester kolossal lernen können, denn ich war in einer kleinen Garnison, wo ich wenig zu tun hatte."
    Lehár wird zum meistgespielten Operettenkomponisten
    Kein Geringerer als Antonín Dvořák hat Franz zum Komponieren ermuntert. Und Lehár komponiert: Märsche und Tänze, aber auch Lieder, Sonaten, Opern, Symphonisches. Er komponiert, bis er in Wien auf seine Goldader stößt. Seine erste Operette "Wiener Frauen" hat Erfolg.
    Jetzt entsteht jedes Jahr eine neue Operette. Mindestens. 1905 probt man "Die Lustige Witwe" am Theater an der Wien. "Viel umstritten, hauptsächlich vom Direktor, der eben gesagt hat: ‚Das ist keine Musik!‘"
    Es wird aber kein Reinfall, sondern der Beginn einer internationalen Karriere, die Lehár zum meistgespielten Operettenkomponisten überhaupt macht. Er produziert ohne Pause, vieles parallel, "Fürstenkind", "Zigeunerliebe", "Wo die Lerche singt"; seine Musik erobert die Kontinente. Der Erste Weltkrieg ist nur eine Zäsur - gerade danach erlebt das Genre eine fieberhafte Blüte: mit neuen Musikstilen, mit Schlager und Tanzrhythmen, aber auch Puccini- und Wagneranklängen, mit Komponisten wie Emmerich Kálmán, Oscar Straus, Leo Fall.
    Der Erfolg provoziert Kritik
    Lehár schreibt dem Operntenor Richard Tauber, den die hohen Operettengagen locken, Rollen auf den Leib; die Firma Tauber/Lehár vervielfacht den Ruhm jedes einzelnen. Das alles erzeugt auch Abwehr. Der Feuilletonist Hans Weigel resigniert: "Der Rest ist Lehár." Alfred Döblin seufzt: "Soviel Küsse, soviel Tanz, soviele Kränze, soviel Schlager. Die unzüchtige Zote, die süße Geilheit in Wort und Spiel und Musik."
    Das ist das Erfolgsrezept, dem der bissige Publizist und Zuchtmeister Karl Kraus die gute alte Zeit des Jacques Offenbach und seiner subtil verkehrten Welt entgegenhält. Ganz aus dem Häuschen gerät Kraus, als Lehár es wagt, aus Goethes Leben eine Operette, "Friederike" zu machen.
    Das ist Kritik, die Kraus leider mit den Nazis teilt. Deren Angriffe zielen nicht nur auf Lehárs jüdische Frau Sophie, sondern auf die vielen brillanten jüdischen Köpfe, die den Erfolg der Operette ausmachen - Lehárs Librettist Löhner-Beda ist nicht der einzige, der im KZ enden wird. Aber Hitler ist eiserner Lehár-Fan. Und als Richard Strauss das Wort "Gassenmusikant" geäußert haben soll, lässt Goebbels ihn wissen: "Lehár hat die Massen, Sie nicht."
    Operetten-Bestseller überleben den Weltkrieg
    Nach dem Krieg überlebt ein Teil der Operetten-Bestseller, das Renommé des Genres sinkt allerdings. Der Kabarettist Helmut Qualtinger setzt die Belächelung typisch schmalziger Tenöre in einem Sketch über zwei alternde Schauspieler um: "A: Wie kannst du behaupten, dass Bielitz keine Operette hatte? Ich selbst habe dort ‚Wo die Lerche singt‘ gespielt … (singt) - B: Das ist aus Zigeunerliebe!"
    Viele moderne Inszenierungen zeigen, wie viel doppelter Boden in Operetten steckt, von den herzerfrischenden musikalischen Qualitäten ganz abgesehen. Ein Regisseur drückte es so aus: "Operette ernst zu nehmen bedeutet ernst zu nehmen, dass sie sich selbst nicht ernst genommen hat."