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170 Jahre "New York Times"
Von der Bleiwüste zur digitalen Oase

Die bekannteste Tageszeitung der Welt gilt anderen Medienhäusern als Vorbild beim Sprung von der gedruckten in die digitale Welt. Und 170 Jahre nach ihrer Erstausgabe wird die "New York Times" noch immer von einer einzigen Verlegerfamilie geprägt.

Von Brigitte Baetz | 18.09.2021
    Die Titelseite der digitalen Ausgabe der "New York Times" vom 8. Mai 2017 auf einem Bildschirm
    Das 170 Jahre alte Logo der "The New York Times" schmückt inzwischen die Displays von Millionen Digital-Abonnenten (picture alliance / Pacific Press)
    New York Mitte des 19. Jahrhunderts. Die aufstrebende Stadt an der US-Ostküste zählt schon eine Million Einwohner. Doch eine seriöse Tageszeitung mit nennenswerter Verbreitung gibt es nicht. Der Publizist George Jones und der republikanische Politiker Henry J. Raymond erkennen die Markt- und Informationslücke. Ihre "New York Daily Times" erblickt am 18. September 1851 das Licht der damals kulturell noch relativ provinziellen Metropole. Der junge Verleger Adolph Simon Ochs aus Cincinnati kauft den nach anfänglichen Erfolgen schwächelnden Titel 1896, verkürzt den Namen auf "New York Times" und wird zum Gründervater der Familiendynastie Ochs-Sulzberger, die noch heute die inzwischen bekannteste Tageszeitung der Welt leitet.
    Konsequent richtet Ochs das Blatt aus auf die Interessen der Oberschicht der Stadt: zur Zeit der Jahrhundertwende besteht diese zu einem Großteil aus jüdischen Geschäftsleuten deutscher Abstammung. Ochs selbst gehört dazu. Wer in diese Kreise aufsteigen möchte, der braucht das nötige Knowhow, das die "New York Times" liefert: Informationen über die wichtigen Personen, wie man sie in den Heirats- und Verlobungsanzeigen findet oder über Finanzen und die Immobilienlage der City. Ochs erfindet den Slogan, der bis heute mit der NYT verbunden wird: "All the news that´s fit to print"

    Nicht immer ist die "graue Dame" so unabhängig wie vermutet

    Alle Nachrichten, die es wert sind, gedruckt zu werden – eine selbstbewusste Ansage. Die "Gray Lady", die graue Dame, so ihr Spitzname wegen der seitenfüllenden Texte, erwirbt sich parallel zum Aufstieg New Yorks zur Welt-Finanzhauptstadt den Ruf eines hart recherchierenden und unparteiischen Mediums. Die Lektüre der "New York Times" wird zum Statussymbol, nicht nur in den USA. Doch sie berichtet in ihrer langen Geschichte nicht immer so unabhängig, wie es der eigene Anspruch vermuten lässt. Einen der Gründe dafür sieht der Historiker Kai Burkhardt im Patriotismus des Blattes, der von Adolph Ochs forciert wird. In der Mediendatenbank des Instituts für Medien- und Kommunikationspolitik schreibt Burkhardt: "Die Zeitung wurde bewusst zu einer Agentur des US-amerikanischen Nationalbewusstseins ausgebaut." Das geht so weit, dass sogar jüdisch klingende Namen von Redakteuren anglisiert werden, und die Redaktion enge Kontakte ins Weiße Haus knüpft:
    "Was auch deshalb leichtfiel, weil die "New York Times" ihre Redakteure aus dem gleichen akademischen Umfeld rekrutierte wie der Regierungsapparat. Journalisten und Politiker kamen aus derselben sozialen Schicht und kannten sich oft persönlich aus dem Studium."
    Die Zeitung weiß von den Plänen einer Invasion von Kuba durch die USA, behält sie jedoch für sich. Dass das Blatt 1971 die geheimen "Pentagon Papers" des Verteidigungsministeriums veröffentlicht, ist vor allem der aggressiven Pressepolitik der Nixon-Regierung geschuldet. Hier fühlt sich auch die Times dazu aufgerufen, für die Unabhängigkeit der Medien zu kämpfen.
    US-Präsident Richard Nixon im März 1970 bei einem Truppenbesuch in Vietnam
    Veröffentlichung vor 50 Jahren - Enthüllungen über den Vietnamkrieg in den "Pentagon Papers"
    Die "New York Times" veröffentlichte vor 50 Jahren erstmals Teile der "Pentagon Papers", die eine Wende in der Wahrnehmung des Vietnamkriegs markierten. Die Enthüllungen waren zugleich der Anfang vom Ende der Präsidentschaft von Richard Nixon.
    Den größten politischen Skandal des 20. Jahrhunderts jedoch verpasst die "NYT". Außenminister Henry Kissinger persönlich überzeugt die Führungskräfte der Zeitung, nicht über die sich abzeichnende Watergate-Affäre zu berichten. Der große Triumph des amerikanischen Investigativ-Journalismus – er geht an die Konkurrenz von der "Washington Post".

    Den digitalen Medienwandel geschickt genutzt

    Dass die "New York Times" heute als wichtigste Zeitung der Welt gilt, hängt mit der geschickten Unternehmenspolitik ihrer Verleger zusammen. Die allgemeine Geschäftskrise der Tageszeitungen, die die Branche beutelt, ging an dem Blatt natürlich nicht vorbei. Aber mit einer geschickten Digitalstrategie wurde aus dem US-amerikanischen Zeitungsverlag ein Medienhaus, das mit seinen Onlineinhalten und eigenen Podcasts heute ein weltweites Publikum erreicht.
    US-Präsident Donald Trump hält seine Rede zur Lage der Nation vor dem Kongress im Kapitol - im Hintergrund die Demokratin und Vorsitzende des Abgeordnetenhauses, Nancy Pelosi, und Mike Pence, Vizepräsident der USA.
    Trumps Krieg gegen die Medien - Der Streit mit der "New York Times" eskaliert
    Ein Gespräch des Herausgebers A.G. Sulzberger der "New York Times" mit Donald Trump sollte eigentlich geheim bleiben. Nach einem Tweet des Präsidenten veröffentlichte die Zeitung dazu eine Stellungnahme. Daraus geht hervor: Sulzberger hatte Trump in dem Gespräch für seinen Umgang mit Medien scharf kritisiert.

    Wie die "NYT" vom "Trump Bump" profitierte

    Die "New York Times" hat sich inzwischen mit dem permanenten Hinterfragen der eigenen publizistischen Rolle einen Vorbildstatus für andere Medienhäuser erarbeitet. Dass sie heute als Bollwerk der amerikanischen Demokratie angesehen wird, ist auch Donald Trump zu verdanken, der die Zeitung zu seinem Hauptfeind erklärt hat. Fast sieben Millionen Digital-Abos verkauft die "New York Times" heute. Ob dieser auch als "Trump Bump" bezeichnete Erfolg anhält, werden die nächsten Jahre zeigen.