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175 Jahre Fotografie
Die erste Daguerre-Kamera Preußens

Am 6. September 1839 erhielt der Berliner Kunsthändler und Lithograf Louis Friedrich Sachse von dem Franzosen Louis Daguerre den Vorläufer der späteren Fotokamera. Zunächst wurde die sogenannte Daguerreotypie als exotisch bestaunt, doch schnell erkannte man ihren großen Nutzen.

Von Patric Seibel | 06.09.2014
    Louis Jacques Mande Daguerre
    Louis Jacques Mande Daguerre (picture alliance / dpa)
    Der 6. September 1839 war der Tag, auf den der Berliner Kunsthändler Louis Friedrich Sachse mit Spannung gewartet hatte. Endlich trafen die heiß ersehnten Pakete aus Paris ein. Sie enthielten die ersten Kameras und Chemikalien, um Daguerreotypien herzustellen - jene neuartigen Bilder genau nach der Natur, die seit kurzem in der französischen Hauptstadt so Furore machten.
    "Die Lieferung war indessen so beschädigt, dass er nicht damit arbeiten konnte, und während er dabei war, die Kameras zu reparieren, die Chemikalien sich erneut zu besorgen, wuchs ihm in Berlin ein Konkurrenzunternehmen sozusagen an den Hals."
    Robert Felde, Kunsthistoriker an der Universität Hamburg, schildert den erbitterten Wettlauf um die Herstellung der ersten Fotografien. Doch Louis Friedrich Sachse hatte die Schäden an den Apparaten bald beseitigt und den Rückstand aufgeholt. Schnell gewann er renommierte Kunden wie den berühmten Forscher Alexander von Humboldt und den Maler Adolf Menzel.
    Daguerreotypien waren teuer - nur erschwinglich für Adlige und wohlhabende Bürger - und wurden so zu exquisiten Statussymbolen. Besonders beliebt waren drei Motivgruppen: Gebäude und Stadtszenarien, Aufnahmen plastischer Kunstwerke und vor allem Porträts.
    Skepsis gegenüber der neuen Technik aus dem national gesinnten Milieu
    Belichtungszeiten zwischen drei und 30 Minuten machten die ersten Aufnahmen allerdings zu harten Geduldsproben. Die Fotografen fixierten ihre Kunden mit Nackenstützen. Sogenannte Kniebrillen sorgten für eine stabile Beinhaltung.
    Aber die neue Technik fand nicht nur Bewunderer. Im national gesinnten Milieu herrschte Skepsis: Die "Vossische Zeitung" glaubte, eine neue "französische Teufelei" zu entdecken und der "Leipziger Anzeige"r urteilte:
    "Flüchtige Spiegelbilder festhalten zu wollen, dies ist nicht bloß ein Ding der Unmöglichkeit, wie es sich nach gründlicher deutscher Untersuchung herausgestellt hat, sondern schon der Wunsch es zu wollen, ist Gotteslästerung."
    Der diese flüchtigen Spiegelbilder tatsächlich erstmals festhalten konnte, war der Pariser Maler Louis Daguerre. Schon Jahre zuvor hatte er mit seinen Dioramen großen Erfolg: In den abgedunkelten Pavillons wirkten naturgetreue Gemälde durch besondere Lichteffekte wie lebendig. Die damals als Sensation empfundenen Bilder hatte Daguerre mithilfe der Camera obscura erzeugt, einem optischen Instrument, das Maler seit dem 16. Jahrhundert nutzten. Nach jahrelangen Experimenten war es ihm dann geglückt, das Abbild seines Motivs auf der Rückwand der Camera obscura chemisch zu fixieren.
    "Unmittelbar nach der Belichtung im Inneren der Kamera sprechen wir von einem lediglich latenten Bild, das heißt, in dem Moment, wo die Platte aus der Kamera entfernt wurde, war überhaupt noch nichts auf ihr zu sehen. Das Bild musste nun in Quecksilberdämpfen erst mal entwickelt und später in Salzlösungen fixiert werden."
    Die fertigen Bilder changierten in silbrigen Grauschattierungen, den verschiedenen Anlauftönen der Metallplatte. Dazu kamen starke Spiegeleffekte, die den ersten Daguerreotypien einen schimmernden, unsteten, ja fast magischen Charakter verliehen.
    Bewunderer Walter Benjamin: Die besondere Aura von Daguerreotypien
    Noch 100 Jahre später war der Berliner Literaturwissenschaftler und Essayist Walter Benjamin fasziniert von jenen alten Aufnahmen. Benjamin, der zum ersten großen Theoretiker der modernen Massenmedien wurde, entdeckte an den Daguerreotypien eine seltsame Ausstrahlung, eine Aura:
    ""Das Verfahren selbst veranlasste die Modelle, nicht aus dem Augenblick heraus, sondern in ihn hineinzuleben; während der langen Dauer dieser Aufnahmen wuchsen sie gleichsam in das Bild hinein."
    Robert Felfe:
    "Und genau darin gibt es für Benjamin so etwas wie eine Lebendigkeit insofern, dass er darauf besteht, dass die Dargestellten in Daguerreotypien, die Porträtierten, quasi mit einem eigenen Blick auf uns reagieren könnten und dass man deshalb auch ihr Antlitz, das dargestellt wurde, mit einer gewissen Scheu bis Ehrfurcht betrachtet."
    Die Blütezeit der Daguerreotypie dauerte etwa zwei Jahrzehnte. Diese erste moderne Aufnahmetechnik war der Schlüssel zur Bildwelt der heutigen Massenmedien und blieb doch gleichzeitig für einen kurzen historischen Moment eine alchemistische Zauberkunst.
    Zitat Walter Benjamin:
    "Hat man sich lang genug in so ein Bild vertieft, erkennt man, wie sehr auch hier die Gegensätze sich berühren: Die exakteste Technik kann ihren Hervorbringungen einen magischen Wert geben, wie für uns ihn ein gemaltes Bild nie mehr besitzen kann."