Archiv


18.5.1974 - vor 30 Jahren

Kurz nach acht Uhr morgens Ortszeit Neu Delhi erreichte die Botschaft den indischen Außenminister:

Von Eberhard Kuhrau |
    Der Buddha lächelt.

    Mit diesem Code-Satz meldete der Versuchsleiter vom Testgelände Pokharan in der Wüste Thar, rund 150 Kilometer von der pakistanischen Grenze entfernt, die erste atomare Versuchsexplosion Indiens. Der Sprengsatz, mit 10 - 15 Kilotonnen TNT etwas kleiner als die Atombombe von Hiroshima, war in 100 Meter Tiefe gezündet worden. Sie formte oberirdisch einen Krater von nur 200 Meter Durchmesser und einen kleinen Hügel. Die politischen Auswirkungen waren weitaus bedeutsamer: Indien, das noch lange nach dem Tod Mahatma Gandhis, des Apostels der Gewaltlosigkeit, propagandistisch für Frieden und Völkerverständigung eingetreten war, gehörte plötzlich zum exklusiven Kreis der Nuklearwaffenbesitzer. Neben Amerika, Russland, China, Frankreich und England als sechste Atommacht. Zur Enttäuschung über den Bruch der vermeintlich pazifistischen Traditionen auf dem Subkontinent gesellte sich in der westlichen Welt die moralische Empörung über eine strategische Verschwendung von Millionen Dollar in einem Hungerland.

    Das sechste Mitglied des Atomclubs wird wahrscheinlich noch vor Ende dieses Jahres die Bettlerschüssel in der Welt herumreichen, weil Indiens Wissenschaft und Technik bisher an der Aufgabe gescheitert sind, die fundamentalen Bevölkerungs- und Ernährungsprobleme des Landes zu lösen.

    So die New York Times. Die kanadische Regierung kündigte sofort nach der Explosion in Pokharan ihre nukleare Entwicklungshilfe für Indien, weil das Plutonium der Versuchsexplosion aus einem Reaktor stammte, der mit kanadischer Hilfe gebaut worden war, und Indien sich verpflichtet hatte, ihn nur für friedliche Zwecke zu nutzen. So spielte die indische Ministerpräsidentin Indira Gandhi damals die Explosion mit eiserner Stirn herunter:


    Es gibt einen Unterschied zwischen einem Nuklear-Staat und einem Nuklear-Waffen-Staat; wir sind kein Nuklear-Waffen-Staat, wir haben keine Bomben. Wir beabsichtigen nicht, diese Kenntnis oder diese Kraft für andere als friedliche Zwecke zu nutzen.

    Der Direktor des indischen Instituts für Verteidigungsstudien stellte dagegen ganz zutreffend fest:

    Die Technologie für friedliche Sprengsätze ist identisch mit der für Atomwaffen....

    Und ein Diplomat ganz undiplomatisch:

    ...derselbe Sprengsatz, der in Rajasthan gezündet wurde, wäre, in ein Flugzeug gepackt und über einer Stadt abgeworfen, eine Atombombe.

    Aut. Und über geeignete Flugzeuge aus russischer und französischer Produktion verfügte Indien schon damals. Inzwischen hat das Land auch Raketen als eigene Trägersysteme entwickelt. Denn so bedeutsam der 18.Mai1974 für die internationale Atomwaffen-Rüstung war, so klar markiert er das Scheitern aller bisherigen Bemühungen um eine Kontrolle dieser Waffen. Die indischen Anstrengungen, unbedingt in den Besitz von Atombomben zu gelangen, erkären sich nicht zuletzt durch seine vernichtende Niederlage in einem Grenzkrieg mit China 1962 und dem ersten erfolgreichen Nukleartest der Chinesen zwei Jahre später. Und auch Pakistan, der traditionelle Konkurrent auf dem indischen Subkontinent, mit dem Indien bisher drei Kriege geführt hat, trug ganz sicher dazu bei, die indische Nuklear-Rüstung anzustacheln. Der pakistanische Präsident Zulfikhar Ali Bhutto schwor schon 1972, nach der Niederlage im Krieg gegen Indien und der von Indien unterstützten Abspaltung Ost-Pakistans:

    Falls Indien A-Bomben entwickelt, werden wir das auch tun, selbst wenn wir Gras und Blätter essen oder hungrig bleiben.

    Aut. Am 28.Mai 1998 war es dann so weit - Pakistan zündete die erste nukleare Versuchsexplosion und feierte das Datum als "Tag des Schlachtrufes". Wenige Tage zuvor hatte Indiens neue national-konservative Regierung eine Serie von drei Atomexplosionen durchführen lassen, wieder auf dem Gelände von Pokharan.

    Von einer friedlichen Nutzung der Atomversuche war nirgendwo mehr die Rede, und niemand verfügte noch über Ironie und Sarkasmus genug, diese Versuchsreihe "lächelnder Buddha" zu nennen.