Friedbert Meurer: Schloss Meseberg ist ein hübsches Barockschloss in Brandenburg, 70 Kilometer von Berlin entfernt. Im 19. Jahrhundert hat es den Nachfahren des Schriftstellers Gotthold Ephraim Lessing gehört. Theodor Fontane hat Schloss Meseberg als Zauberschloss bezeichnet. Beste Bedingungen also für die Koalition, hier eine Klausur zu veranstalten, um das Betriebsklima zu verbessern.
Am Telefon begrüße ich den CDU-Politiker Heiner Geißler. Einst war er Generalsekretär und Minister unter Helmut Kohl. Guten Morgen, Herr Geißler.
Heiner Geißler: Schönen guten Morgen, Herr Meurer.
Meurer: Wenn Sie sich an die alten schwarz-gelben Zeiten in den 80er- und in den 90er-Jahren erinnern, lag man sich damals eigentlich auch so schnell im Clinch?
Geißler: Nein. In der ersten Zeit, als die Koalition geschlossen wurde, im Oktober 1982, da hat es diese Diskrepanzen nicht gegeben, weil andere Fragen im Vordergrund standen, die von den beiden Parteien gemeinsam beurteilt worden sind. Es ging ja damals um die Nachrüstung und es ging um die Bewältigung der größten Wirtschaftskrise seit der Währungsreform, die uns Helmut Schmidt hinterlassen hatte. Also am Anfang der Koalition in den 80er-Jahren gab es solche Auseinandersetzungen nicht, die gab es aber sehr wohl später. Und die jetzigen Streitpunkte, die hängen damit zusammen, dass, was ich auch etwas ungewöhnlich finde, die Koalitionsparteien, in dem Fall vor allem die FDP, eben doch mit ideologisch sehr stark fixierten Parteiprogrammen in diese Koalitionsverhandlungen hineingegangen sind und dazu auch noch öffentlich, was ja Westerwelle gemacht hat, sich festgelegt haben, wir werden das alles Punkt für Punkt durchsetzen.
Meurer: Würden Sie sagen, Herr Geißler, dass die Union der FDP bei den Koalitionsverhandlungen zu weit entgegengekommen ist?
Geißler: Ich meine, man kann alles natürlich auch etwas unverbindlicher formulieren. Es gilt eben in einer Koalition ein Grundsatz, der auch einleuchtend ist. Ich habe immer gesagt, auch damals als Generalsekretär, eine Volkspartei wie die CDU ist ja nicht gehindert, eine solche Koalition einzugehen, aber sie ist der doch mit Abstand größere Partner und auch wenn man grundsätzlich positiv eingestellt ist zu einer solchen Koalition, dann gilt es wie im normalen privaten Leben: wenn ich meinen Hund liebe, dann muss ich ja nicht seine Flöhe lieben. Das gilt für jede Koalition. Das heißt, ich kann in einer Koalition nicht alles übernehmen, was der Koalitionspartner nun für richtig hält und durchsetzen will.
Meurer: Die Flöhe wären die Steuersenkungen? Ist es da die Aufgabe von Wolfgang Schäuble, die FDP auf Normalmaß zu stutzen?
Geißler: Das wird man so nicht sagen wollen, weil dann ist der Koalitionsfrieden natürlich gestört, aber das ist wohl der Hauptpunkt. Es ist eben nach meiner Auffassung etwas völlig Falsches beschlossen worden, nämlich in der jetzigen Situation eine Steuersenkung durchzuführen, dazu noch von einem solchen Ausmaß. Jedermann sieht im Grunde genommen ein, dass es Blödsinn ist, dass man das jetzt nicht machen kann, man will aber koalitionstreu sein, und dann wird man möglicherweise zu einem faulen Kompromiss kommen. Wegen einer ähnlichen Sache sind ja in der Koalitionszeit mit den Liberalen dann später auch bei der deutschen Einheit 1990 gravierende, schwere Fehler gemacht worden, die noch bis heute nachwirken.
Meurer: Da musste Helmut Kohl als Bundeskanzler der FDP auch einmal entgegenkommen, um sie zu stützen und zu stärken. Wird Angela Merkel sozusagen das Rezept des Altkanzlers Kohl übernehmen, mal die eine Seite, mal die andere Seite, mal die CSU, mal die FDP zu unterstützen?
Geißler: Das weiß ich nicht. Ich meine, damals, 1982, waren die Liberalen ja ganz schwach. Sie sind wegen des Koalitionswechsels mit knapp über fünf Prozent aus den Wahlen herausgekommen und da war es natürlich schon richtig, dass man den Liberalen geholfen hat. Das war auch meine Meinung, dass man Hans-Dietrich Genscher unterstützt, auch in seinen Positionen, in vielen Fragen, auch in der Außenpolitik gegen Strauß, gegen die CSU. Das war eigentlich immer eine politisch richtige Haltung. Aber Ende der 80er-Jahre, bei der deutschen Einheit, ist die CDU ja von der FDP, von den Liberalen regelrecht erpresst worden, und zwar ging es damals auch um die Steuern. Es ging um die Frage, ob wegen der deutschen Einheit die Steuern erhöht werden sollten, und jeder vernünftige Mensch in Deutschland hat das für richtig gehalten, auch die CDU/CSU, nur die Liberalen nicht. Lambsdorff hat damals vor der Bundestagswahl erklärt, wenn ihr in den Wahlkampf geht mit dem Programm Steuererhöhungen, dann erklären wir euch zur Steuererhöhungspartei und dann ist die Spitze der Union, nicht die ganze Spitze, aber die maßgeblichen Leute, Kohl und Waigel, die sind umgefallen.
Meurer: Steuern sind das eine Thema, Herr Geißler. Entschuldigung! Das andere Thema jetzt zum Beispiel, dass Guido Westerwelle sagt, Erika Steinbach, die Präsidentin des Bundes der Vertriebenen, soll nicht einen Sitz in der Stiftung einnehmen. Was soll die Kanzlerin jetzt tun?
Geißler: Ich finde das von dem Außenminister stark übertrieben. Es kann auch jemand in dem Stiftungsrat sitzen, der nun nicht der allgemeinen Meinung ist, sondern eine kontroverse Haltung einnimmt. Und nun die Vorsitzende des Bundes der Vertriebenen sozusagen von Staatswegen aus diesem Stiftungsrat zu entfernen, das würde die Koalition wirklich unnötig stark belasten.
Meurer: Würden Sie sagen, Angela Merkel sollte also sich über Guido Westerwelle hinweg entscheiden und sagen, Erika Steinbach kommt in die Stiftung?
Geißler: Das ist keine existenzielle Frage für die Koalitionsregierung, da muss der Westerwelle nachgeben.
Meurer: Schönen Dank! Das war Heiner Geißler, früherer CDU-Generalsekretär, zur Kabinettsklausur in Schloss Meseberg und zum Streit um Erika Steinbach, die Präsidentin des Bundes der Vertriebenen. Schönen Dank, Herr Geißler, und auf Wiederhören.
Geißler: Bitte schön.
Am Telefon begrüße ich den CDU-Politiker Heiner Geißler. Einst war er Generalsekretär und Minister unter Helmut Kohl. Guten Morgen, Herr Geißler.
Heiner Geißler: Schönen guten Morgen, Herr Meurer.
Meurer: Wenn Sie sich an die alten schwarz-gelben Zeiten in den 80er- und in den 90er-Jahren erinnern, lag man sich damals eigentlich auch so schnell im Clinch?
Geißler: Nein. In der ersten Zeit, als die Koalition geschlossen wurde, im Oktober 1982, da hat es diese Diskrepanzen nicht gegeben, weil andere Fragen im Vordergrund standen, die von den beiden Parteien gemeinsam beurteilt worden sind. Es ging ja damals um die Nachrüstung und es ging um die Bewältigung der größten Wirtschaftskrise seit der Währungsreform, die uns Helmut Schmidt hinterlassen hatte. Also am Anfang der Koalition in den 80er-Jahren gab es solche Auseinandersetzungen nicht, die gab es aber sehr wohl später. Und die jetzigen Streitpunkte, die hängen damit zusammen, dass, was ich auch etwas ungewöhnlich finde, die Koalitionsparteien, in dem Fall vor allem die FDP, eben doch mit ideologisch sehr stark fixierten Parteiprogrammen in diese Koalitionsverhandlungen hineingegangen sind und dazu auch noch öffentlich, was ja Westerwelle gemacht hat, sich festgelegt haben, wir werden das alles Punkt für Punkt durchsetzen.
Meurer: Würden Sie sagen, Herr Geißler, dass die Union der FDP bei den Koalitionsverhandlungen zu weit entgegengekommen ist?
Geißler: Ich meine, man kann alles natürlich auch etwas unverbindlicher formulieren. Es gilt eben in einer Koalition ein Grundsatz, der auch einleuchtend ist. Ich habe immer gesagt, auch damals als Generalsekretär, eine Volkspartei wie die CDU ist ja nicht gehindert, eine solche Koalition einzugehen, aber sie ist der doch mit Abstand größere Partner und auch wenn man grundsätzlich positiv eingestellt ist zu einer solchen Koalition, dann gilt es wie im normalen privaten Leben: wenn ich meinen Hund liebe, dann muss ich ja nicht seine Flöhe lieben. Das gilt für jede Koalition. Das heißt, ich kann in einer Koalition nicht alles übernehmen, was der Koalitionspartner nun für richtig hält und durchsetzen will.
Meurer: Die Flöhe wären die Steuersenkungen? Ist es da die Aufgabe von Wolfgang Schäuble, die FDP auf Normalmaß zu stutzen?
Geißler: Das wird man so nicht sagen wollen, weil dann ist der Koalitionsfrieden natürlich gestört, aber das ist wohl der Hauptpunkt. Es ist eben nach meiner Auffassung etwas völlig Falsches beschlossen worden, nämlich in der jetzigen Situation eine Steuersenkung durchzuführen, dazu noch von einem solchen Ausmaß. Jedermann sieht im Grunde genommen ein, dass es Blödsinn ist, dass man das jetzt nicht machen kann, man will aber koalitionstreu sein, und dann wird man möglicherweise zu einem faulen Kompromiss kommen. Wegen einer ähnlichen Sache sind ja in der Koalitionszeit mit den Liberalen dann später auch bei der deutschen Einheit 1990 gravierende, schwere Fehler gemacht worden, die noch bis heute nachwirken.
Meurer: Da musste Helmut Kohl als Bundeskanzler der FDP auch einmal entgegenkommen, um sie zu stützen und zu stärken. Wird Angela Merkel sozusagen das Rezept des Altkanzlers Kohl übernehmen, mal die eine Seite, mal die andere Seite, mal die CSU, mal die FDP zu unterstützen?
Geißler: Das weiß ich nicht. Ich meine, damals, 1982, waren die Liberalen ja ganz schwach. Sie sind wegen des Koalitionswechsels mit knapp über fünf Prozent aus den Wahlen herausgekommen und da war es natürlich schon richtig, dass man den Liberalen geholfen hat. Das war auch meine Meinung, dass man Hans-Dietrich Genscher unterstützt, auch in seinen Positionen, in vielen Fragen, auch in der Außenpolitik gegen Strauß, gegen die CSU. Das war eigentlich immer eine politisch richtige Haltung. Aber Ende der 80er-Jahre, bei der deutschen Einheit, ist die CDU ja von der FDP, von den Liberalen regelrecht erpresst worden, und zwar ging es damals auch um die Steuern. Es ging um die Frage, ob wegen der deutschen Einheit die Steuern erhöht werden sollten, und jeder vernünftige Mensch in Deutschland hat das für richtig gehalten, auch die CDU/CSU, nur die Liberalen nicht. Lambsdorff hat damals vor der Bundestagswahl erklärt, wenn ihr in den Wahlkampf geht mit dem Programm Steuererhöhungen, dann erklären wir euch zur Steuererhöhungspartei und dann ist die Spitze der Union, nicht die ganze Spitze, aber die maßgeblichen Leute, Kohl und Waigel, die sind umgefallen.
Meurer: Steuern sind das eine Thema, Herr Geißler. Entschuldigung! Das andere Thema jetzt zum Beispiel, dass Guido Westerwelle sagt, Erika Steinbach, die Präsidentin des Bundes der Vertriebenen, soll nicht einen Sitz in der Stiftung einnehmen. Was soll die Kanzlerin jetzt tun?
Geißler: Ich finde das von dem Außenminister stark übertrieben. Es kann auch jemand in dem Stiftungsrat sitzen, der nun nicht der allgemeinen Meinung ist, sondern eine kontroverse Haltung einnimmt. Und nun die Vorsitzende des Bundes der Vertriebenen sozusagen von Staatswegen aus diesem Stiftungsrat zu entfernen, das würde die Koalition wirklich unnötig stark belasten.
Meurer: Würden Sie sagen, Angela Merkel sollte also sich über Guido Westerwelle hinweg entscheiden und sagen, Erika Steinbach kommt in die Stiftung?
Geißler: Das ist keine existenzielle Frage für die Koalitionsregierung, da muss der Westerwelle nachgeben.
Meurer: Schönen Dank! Das war Heiner Geißler, früherer CDU-Generalsekretär, zur Kabinettsklausur in Schloss Meseberg und zum Streit um Erika Steinbach, die Präsidentin des Bundes der Vertriebenen. Schönen Dank, Herr Geißler, und auf Wiederhören.
Geißler: Bitte schön.