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20 Jahre Dayton-Abkommen
Tiefes Misstrauen in Bosnien-Herzegowina

20 Jahre nach der Unterzeichnung des Friedensabkommens von Dayton ist Bosnien-Herzegowina tief gespalten. Die unterschiedlichen Landesteile arbeiten kaum zusammen und die Korruption ist ein großes Problem. Es gibt nur wenige Lichtblicke - wie etwa das Engagement des Bürgermeisters von Petrovic.

Von Daniel Heinrich | 14.12.2015
    Flagge Bosnien-Herzegowina
    Flagge von Bosnien-Herzegowina: Der Zentralstaat ist schwach. (imago/Steinach)
    Eigentlich sieht Obren Petrovic aus wie der Hauptdarsteller eines Mafiafilms: Violettes Hemd, schwarze Lackschuhe, gefärbte Haare. Sein Outfit passt zum Kitsch-Dekor des Cafés, in dem wir uns treffen. Vor der Tür sitzt sein Bodyguard.
    Petrovic ist seit 2002 Bürgermeister von Doboj, einer Kleinstadt 160 Kilometer nördlich der bosnischen Hauptstadt Sarajevo. Ihm gelingt seit Jahren, was im Rest des Landes kaum möglich scheint. Als serbischer, also christlicher, Bürgermeister steht er einer mehrheitlich bosniakischen, also muslimischen, Gemeinde vor. In einem Land, das seit der Unterzeichnung des Dayton-Abkommens vom 14.12.1995 entlang ethnisch-religiöser Grenzen aufgeteilt ist, schafft das Feinde:
    "Das Zusammenleben zwischen den verschiedenen religiösen Gruppen ist in unserer Gemeinde sehr gut. Aber von außen werden immer wieder Probleme herangetragen", so Petrovic ernüchtert: "Meine Politik, sich auch mit dem muslimischen Teil unserer Bevölkerung gut zu stellen, wird nicht gerne gesehen. Vor allem der SNSD, der Partei der Serben und ihrem Vorsitzenden Milorad Dodik, ist es ein Dorn im Auge, dass wir hier alle zusammen helfen. Deswegen versuchen sie, das Gleichgewicht zwischen den Bürgern durcheinanderzubringen."
    Geteilt und am Boden
    Diese Vorbehalte stehen symbolisch für die Situation im ganzen Land. Doboj mit seinen knapp 35.000 Einwohnern liegt in dem Teil Bosnien-Herzegowinas, der seit dem Dayton-Abkommen Republika Srpska genannt wird, dem mehrheitlich christlichen Teil des Landes mit der Hauptstadt Banja Luka. Der andere Teil mit der Hauptstadt Sarajevo heißt Föderation von Bosnien und Herzegowina und ist primär muslimisch geprägt. Beide Landesteile bilden zusammen das Land Bosnien und Herzegowina. Beide Entitäten genannten Landesteile verfügen über parallele Verwaltungsstrukturen wie Polizei-, Bildungs-, oder Gesundheitswesen. Als Bewohner der Republika Srpska ist es beispielsweise nicht erlaubt, in eine Schule der Föderation Bosnien und Herzegowina zu gehen und umgekehrt.
    Karsten Dümmel ist der Leiter der Konrad-Adenauer-Stiftung in Sarajevo. Er ist ein nachdenklicher Mann, in der DDR hat er als Bürgerrechtler gegen den Unrechtsstaat opponiert. Dümmel ist niemand, dem man undifferenzierte Urteile zutrauen würde. Die Situation des Landes skizziert er dennoch schonungslos:
    "Das Dayton Abkommen hatte seinen Zweck elf Monate nach dessen Unterzeichnung erfüllt. Spätestens im zwölften Monat hätte es erneuert werden müssen." Dadurch, dass nichts passiert sei, so Dümmel weiter, läge vieles im Argen: "Es gibt hier keine Visionen, keine Hoffnung, es gibt ewige Blockaden, dadurch dauert alles viel zu lange". Hinzu komme die viel zu hohe Arbeitslosigkeit.
    Schwache Wirtschaft und schwacher Zentralstaat
    Die Zahlen geben ihm Recht. Das Land mit seinen knapp vier Millionen Einwohnern steht am Rande der Stagnation. Das durchschnittliche Wirtschaftswachstum sieht zwar mit zwei Prozent in den letzten Jahren auf den ersten Blick gar nicht so schlecht aus. Aufgrund der strukturellen Probleme wirkt sich das jedoch kaum auf dem Arbeitsmarkt aus. Die Jugendarbeitslosigkeit liegt bei über 70 Prozent. Und internationale Großfirmen wie Daimler oder RWE haben in den letzten Jahren aufgrund der Korruption ihre Investitionsvorhaben entnervt zurückgezogen.
    Die Analyse des Experten wiegt noch schwerwiegender, wenn man Rolle des Zentralstaats in Betracht nimmt. Mit Ausnahme der Außen- und Außenwirtschaftspolitik haben dessen Vertreter kaum etwas zu sagen. Das einzige übergeordnete Organ mit weitreichenden Machtbefugnissen ist im Inland das Verfassungsgericht. Und dessen Urteile werden nach Dümmel großenteils ignoriert.
    Realität schlägt auf die Psyche
    Tiefes Misstrauen, schwächelnde staatliche Institutionen. Das hat auch Auswirkungen auf die psychische Konstitution. Die Psychologin Semsa Ahmetspahic betreut seit Jahren traumatisierte Kriegsflüchtlinge. Obwohl der Krieg mit Unterzeichnung des Dayton-Abkommens offiziell als beendet galt, attestiert sie der gesamten bosnischen Gesellschaft auch heute noch tiefsitzende Folgeschäden:
    "Wie jedes Land, das einen so schrecklichen Krieg hinter sich hat, sind weitreichende Traumata bei großen Teilen der Bevölkerung zu beobachten." Semsa Ahmetspahic erlebt täglich in ihrer Praxis wie sehr die katastrophale ökonomische Lage die Situation noch weiter verschlimmert: "Die Menschen sind tief verunsichert. Sie sehen einfach kein Licht am Ende des Tunnels".
    Nicht einmal in der Krise geeint
    In einem Land, in dem staatliche Strukturen aufgrund von Vetternwirtschaft und Korruption nicht mehr funktionieren, müssen andere ran. Hilfsorganisationen wie Islamic Relief (IR) versuchen, die Lücken zu füllen. Als eine Flutwelle das Land im Sommer 2014 zu überspülen drohte, waren sie als eine der ersten zur Stelle, halfen wo sie konnten. Erdin Kadunic ist bei IR für Bosnien zuständig. Das Land seiner Eltern beschäftige sich immer noch viel zu sehr mit sich selbst, anstatt nach vorne zu schauen. Für ihn ist Obren Petrovic daher eine leuchtende Ausnahme und Vorbild für die gesamte Region:
    "In gewisser Weise erzieht er die Leute vor Ort, um ihnen zu zeigen: Leute, nur so geht es und nicht anders. Wir können in Bosnien nicht in getrennten Welten leben, mit einer serbischen, einer bosniakischen oder einer kroatischen. Es gibt nur eine bosnische Welt. Und dazu gehören alle Ethnien."
    Ein sicheres hehres Ziel. Und dennoch: Wie weit die Lebensrealität in Bosnien davon auch nach zwei Jahrzehnten Frieden entfernt ist, macht Obren Petrovic zum Schluss des Treffens noch einmal ganz deutlich.
    "Während der Flutkatastrophe hat Banja Luka einen Generalbevollmächtigten eingesetzt, um in Doboj die Geschäfte zu leiten. Das Erste, was der gemacht hat, ist die Nothilfe aus den muslimischen Nachbargemeinden zu kappen."