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20 Jahre Monika Enterprise
"Ich mach' die Frauennische"

Barbara Morgenstern, Contriva, Masha Qrella: Seit 1997 veröffentlicht das Berliner Label Monika Enterprise rund um DJ Gudrun Gut elektronische Musik von Frauen und pflegt ein kleines, feines Szene-Netzwerk. Zentrale Hürde für Musikerinnen sei die Ellenbogenmentalität im Musikbusiness, meint Journalistin Jenni Zylka.

Jenni Zylka im Kollegengespräch mit Bernd Lechler | 17.06.2017
    Gudrun Gut, die Grande Dame des Berliner Undergrounds
    Gudrun Gut, die Grande Dame des Berliner Undergrounds (Mara von Kummer )
    Bernd Lechler: Was ist typischer Monika Records Sound, und was ist das Besondere an dem Label?
    Jenni Zylka: Also, Monika Records wurde gegründet von Gudrun Gut. Und die ist vielleicht vielen Leuten ein Begriff, die ist eine Musikerin, die schon sehr lange Musik macht, in den 80ern, Anfang der 80er angefangen hat. Die hat die Einstürzenden Neubauten gegründet zusammen mit Blixa Bargeld, hat dann mit Beate Bartel und Bettina Köster "Mania D" und "Malaria" gegründet, also das waren ganz frühe Frauenbands in dieser neuen Punk-Industrial-Elektronik-Szene. Und die hat dann 1990 schon ein Label gegründet, "Moabit Records", und dann sieben Jahre später, eben genau vor 20 Jahren, "Monika Records". Und das Besondere war, dass es elektronische Musik war, mit fast nur weiblichen Künstlerinnen. Dazu, Gudrun Gut:
    "Ich bin jetzt nicht unbedingt die perfekte Betriebswirtin, es ist mir ein bisschen schwer gefallen und dann hab ich irgendwas gelesen, dass wenn man ein neues Business gründet, dann muss man eine Nische besetzen, und dann dachte ich das ist super, das mach ich sowieso: Ich mach die Frauennische – haha – 50 % der Bevölkerung!"
    Zylka: Und das sagt es ja schon ganz gut. Also eigentlich ist es natürlich keine Nische, mit Frauen Musik zu machen, aber offensichtlich war das dann damals, oder ist immer noch so nischig, dass das das Besondere an diesem Label war. Und zum Sound vielleicht noch kurz: Das beschäftigt sich so ein bisschen an der Grenze zu Elektronik und Industrial und hat aber immer eine Pop-Affinität, die Sachen, die sie da auf ihrem Label hat. Es ist nicht Rock, auf gar keinen Fall, es ist auch auf gar keinen Fall Mainstream. Es ist immer ein bisschen Kunst dabei, das ist eine Musik, mit der man nicht unbedingt tanzen muss, aber auch zu vielen Stücken kann.
    Lechler: Stichwort Nische – nun ist es ein Klein- oder Kleinstlabel mit nur Frauen, mit keiner Mainstream-Musik, wie erfolgreich, wie reich und berühmt kann man damit werden überhaupt?
    Zylka: Bei "reich" weiß ich es nicht genau, aber "berühmt" in einer gewissen Weise schon. Aber richtig in die Charts oder so, sind die natürlich nie gekommen mit ihren Sachen. Es gibt ein Stück von Malaria - "Kaltes klares Wasser" von 1981 - und das gab es noch mal als Coverversion, 2000, von Chicks on Speed, so einer elektronischen Frauenband aus München. Und die sind tatsächlich auch in den Charts gewesen damit, das kennen vielleicht auch einige. Aber ich glaube, bei der Musik ist es tatsächlich schwer, weil das einfach dann doch sehr anders ist, als die Hörgewohnheiten, die die meisten Leute so haben, wenn sie die Charts hören oder einfach so Radio hören. Und dazu Gudrun Gut:
    "Wir wollen natürlich so viel verkaufen wie möglich aber mit den Charts haben wir nicht viel zu tun. Das ist schon ein ganz anderes Business, das Chartbusiness. Das ist wirklich richtiger Mainstream - und für den Mainstream muss man gewisse Kompromisse eingehen, da muss man so eine Massenkompatibilität haben, die wir nicht haben, die mich auch nicht interessiert."
    Zylka: Tatsächlich, international gibt es ja auch elektronische Musik, die in den Charts ist. Aber eigentlich, das ist keine Musik, die für die Masse gemacht ist und das soll so vielleicht auch gar nicht sein – und das ist auch in Ordnung so.
    Lechler: Nun gibt es ja, von Joni Mitchell bis Suzanne Vega, auch reichlich berühmte Singer-Songwriterinnen zum Beispiel. Ist es denn wirklich so, Frau Zylka, dass es Frauen mehr zur Elektronik zieht? Und dass die da ein besseres Standing haben, als etwa im Rock-Mainstream?
    Zylka: Ich glaube, das Standing ist gar nicht so viel besser. Also, ich glaube, wenn es jetzt Schwierigkeiten gibt, dann gibt es die überall. Also, wenn es irgendwie ignorante, keine Ahnung, Techniker gibt, aber das ist, glaube ich, gar nicht so das Problem. Es ist eher so, dass die Vorbilder in der Rockmusik ja natürlich größtenteils männlich besetzt sind. Also da stehen dann, wenn man an Musiker denkt, dann denkt man an Gitarristen, an Schlagzeuger, an Bassisten – und das sind alles Männer! Und da ist nicht viel Platz für Frauen, die man sich jetzt als junge Musikerin, als Mädchen irgendwie angucken kann. Dazu kommt noch, dass diese elektronische Musik tatsächlich auch ohne viel Aufwand zu betreiben schon zu machen ist. Man kann das bei sich zuhause im Wohnzimmer machen. Diese ganze Szene damals, mit … Monika Records entstand ja auch aus dieser sogenannten Wohnzimmer-Szene, also Musik, die wirklich Leute bei sich zuhause an ihrem kleinen Computer gemacht haben. Da musste man nicht bestehen, man musste sich nicht breitbeinig hinstellen und angeben – sondern man konnte bei sich alleine das zuhause machen, konnte sich entscheiden, wann man es auch irgendwie rausgibt. Und das ist, glaube ich, was, wo tatsächlich eine Menge Frauen ganz gut mit klarkommen, oder besser mit klarkommen, als wenn sie jetzt immer sofort in einer Konkurrenz mit anderen Leuten wären. Aber dazu Gudrun, die da was beobachtet hat:
    "Wo es um die Professionalisierung ging, wo man dann plötzlich irgendwie Geld verdient hat und Touren gemacht wurden und die Plattenfirmen Interesse hatten - da waren dann plötzlich nur noch die Jungs da, das war schon so ein bisschen auffällig."
    Zylka: Da hört man ja auch dann heraus, dass es natürlich auch nicht nur die Musik selber … sondern auch die Strukturen begründen das auch so ein bisschen, dass da Frauen dann vielleicht, wenn sie keine Lust haben, sich zu beweisen und diese Ellbogengeschichte in dem Musikbusiness auf sich zu nehmen. Wobei ich das gar nicht gut finde, dass die Frauen dann so sind, aber ich glaube, das könnte ein Grund sein, warum die dann wegbrechen.
    Lechler: Und dass wir dann auch vom Underground oder vom Indie-Bereich sprechen. Also im breiten Publikum wird den meisten Leuten beim Stichwort "Elektronische Musik von Frauen" vielleicht zuerst Marusha einfallen, also die älteren, das ist 20 Jahre her. Und "Kaltes klares Wasser", Malaria, noch länger her. Und da kam ja aber eigentlich niemand nach. Also wie entwickelt sich das in der elektronischen Szene, auch der internationalen? Sehen Sie die Frauen die Männer einholen?
    Zylka: Also, ich sehe sie ehrlich gesagt jetzt noch nicht einholen. Ich sehe schon eine Menge Frauen da, Monika Records, beziehungsweise Gudrun Gut und verschiedene andere, auch Ellen Allien, haben jetzt zum Beispiel so eine Geschichte gegründet und zählen jetzt immer die Frauenquote bei Festivals und so und veröffentlichen das immer zum Frauentag jedes Jahr. Also, die versuchen da wirklich, auch Druck zu machen. Female:pressure network heißt das. Die versuchen, Druck zu machen und tatsächlich auch den Leuten die Augen zu öffnen. Es geht ja um ein Bewusstsein, um das Sichtbarmachen dieser Geschichte, dass da halt weniger Frauen sind. Und es gibt natürlich ein paar erfolgreiche Frauen, das haben Sie ja gerade schon gesagt, Beispiele wie Laurie Anderson zum Beispiel oder Anne Clarke, die sind so die großen Namen. Aber so richtig 50:50 wird das Verhältnis nicht sein. Aber das liegt vielleicht auch daran, dass die Musik – wie gesagt – eh gar nicht so massenkompatibel ist, dass das überhaupt so wahnsinnig auffällt, wer da gerade Musik macht. Und da gibt es einen kleinen Traum, den Frau Gut dazu im Kopf hat:
    "Ich fänd's super wenn sich das umdrehen würde, wenn 100% Frauen sind, das wäre das Ziel für mich. Aber das ist ja noch lange nicht erreicht: Also ran die Gitarre, ran an den Computer, ran an den Bass, an das Schlagzeug, was immer ihr spielt. Oder die Flöte!"
    Lechler: Gudrun Gut von Monika Records, die ja dann aber, wenn es schon nicht der Breitenerfolg ist, zumindest ein Netzwerk geschaffen haben, oder?
    Zylka: Das auf jeden Fall. Und man kennt die da in der Szene, man weiß auch jetzt als elektronische Musikerin, dass man sich an sie wenden kann. Und auch an andere. Es gibt noch zwei, drei andere Labelbetreiberinnen, die auch, nicht die gleichen, aber vielleicht ähnliche Profile haben. Und das ist natürlich immer wichtig. Das Networking ist ja sowieso das, was den Frauen oft lange Jahre gefehlt hat, weil sie einfach nicht vorkamen in der aktiven Musik. Und diese Netzwerke der Männer viel, viel älter sind und stärker sind und größer sind.