Freitag, 17. Mai 2024

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"20 Juli war ein ungeheures Positivum"

Peter Lange: Heute vor genau 60 Jahren, wir haben es in dieser Sendung schon angesprochen, scheiterte das Attentat auf Adolf Hitler, ausgeführt von Claus Graf Schenk von Stauffenberg im Führerhauptquartier Wolfschanze im ostpreußischen Rastenburg. Der Versuch, den Diktator zu ermorden und mit einem Staatsstreich das NS-Regime zu entmachten, war, wie wir heute wissen, fast eine Verzweiflungstat mit einer höheren Wahrscheinlichkeit des Scheiterns als des Gelingens. Aber der Bombenanschlag vom 20. Juli 1944 setzte ein öffentlich sichtbares Zeichen, dass es da noch ein anderes Deutschland gab, das war den Verschwörern bewusst und allein das war es ihnen wert, ihr Leben zu riskieren und letztlich zu verlieren. Einer von ihnen war der Gutsbesitzer und Hauptmann Ulrich Wilhelm Graf Schwerin von Schwanenfeld. Sein jüngster Sohn Detlef Graf Schwerin war damals wenige Monate alt, er ist Historiker und hat sich im Grunde genommen sein ganzes Leben mit dem Widerstand gegen den Nationalsozialismus auseinandergesetzt. Er ist jetzt am Telefon. Guten Morgen, Herr von Schwerin.

Moderation: Peter Lange | 20.07.2004
    Detlef Graf von Schwerin: Guten Morgen, Herr Lange.

    Lange: Großen Teilen des konservativen Widerstands gegen Hitler ist immer wieder nachgesagt worden, er habe viel zu spät reagiert und sich erst zur Opposition gegen das Regime entschlossen als die militärische Niederlage unabwendbar gewesen sei. Ihr Vater scheint da eine Ausnahme gewesen zu sein?

    Schwerin: Vielleicht erstmal was zu der Frage konservativer Widerstand, also ich persönlich ziehe das Wort bürgerlicher Widerstand vor, weil man ja wissen muss, dass es neben den Militärs eine ganz breite zivile Beteiligung an diesem Staatstreichversuch des 20. Julis gegeben hat und diese zivile Beteiligung setzte sich aus ganz unterschiedlichen politischen Kräften zusammen, nämlich dem gesamten Weimarer Parteienspektrum einschließlich der Sozialdemokraten. Insofern ist diese, sagen wir mal, Kurzfassung und Reduzierung auf konservativer Widerstand meiner Ansicht nach nicht richtig und wird den Männern nicht gerecht. Zu der Frage des Zeitpunktes ist zu sagen, ja, es ist richtig, mein Vater war von Beginn an des Dritten Reiches und schon davor erklärter Gegner des Nationalsozialismus, das hing mit seiner Beobachtung des Staatsstreichversuches von Hitler 1923 in München zusammen. Der Marsch auf die Feldherrnhalle, was aus verschiedenen Gründen ein sehr skurriles Ereignis war. Mein Vater und einige seiner Freunde waren zufällig als Studenten in München und haben das beobachtet und das war, sagen wir mal, der Ausgangspunkt seiner kritischen Auseinandersetzung mit den Nationalsozialisten. Natürlich hat er während der Weimarer Republik die Situation beobachtet und es war für denjenigen, der sich politisch interessierte, politisch interessiert war, deutlich, dass die Nationalsozialisten auf Gewalt aus waren. Ein Aspekt dabei ist die Reaktion Hitlers als Leiter der Mehrheitsfraktion 1932 auf den Mord in Potempa. In Potempa wurde im August 1932 ein kommunistischer Arbeiter in diesem kleinen oberschlesischen Dorf von SA-Leuten zu Tode geprügelt, das war leider damals eine sehr häufige politische Straftat. Aber speziell war die Reaktion von Hitler, der in einem Telegramm an die Mörder kurz nach dem Mord diesen Mord rechtfertigte und sich hinter die Mörder stellte. Das war für meinen Vater und einige seiner Freunde ein ganz deutliches Indiz, dass man mit diesen Leuten nicht zusammenarbeiten konnte und nicht auf sie hoffen konnte.

    Lange: Sie selbst haben ihn in einem Buch zu der Gruppe der jungen Leute des 20. Juli gerechnet, obwohl diese Gruppe im Schnitt 40 Jahre alt war. Was waren denn die besonderen Charakteristika, die diese Gruppe von anderen Widerständlern unterschied?

    Schwerin: Ich unterscheide zwischen der jungen und der älteren Generation, dazwischen liegen ungefähr 20 Jahre. Mein Vater und seine Freunde sind Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts geboren worden, zwischen 1900 und 1910 und die ältere Generation war die Generation der 1880, also das sind Hassel, Goerdeler, Popitz. Dazwischen liegt eben ein ganz unterschiedliches Erfahrungsspektrum. Die ältere Generation war in den dreißiger Jahren, sagen wir einmal, in einflussreichen, führenden Stellungen, hatte die entsprechende Lebens- und Arbeitserfahrung, die jüngere Generation im Wesentlichen nicht, weil sie eben zu jung waren. Das führte zu unterschiedlichen Reaktionen. Die jüngere Generation war sehr viel dynamischer, offener und bereiter zu handeln und sich zu engagieren als die ältere. Insofern ist es auch gar kein Wunder, dass, sagen wir einmal, die jüngere Generation letztlich dann ganz entscheidend war, um es wirklich zum Staatsstreich des 20. Juli 1944 kommen zu lassen.

    Lange: Ich habe mich gefragt, wo diese Leute, wie auch besonders Ihr Vater diese mentale Kraft hernahmen. Also jahrelang gegen den, ja, gesellschaftlichen Mainstream anzugehen ohne sich zu verraten und ohne an dieser permanenten Geisterfahrersituation irre zu werden.

    Schwerin: Das ist wirklich interessant, denn man muss wissen, dass diese Männer, die Freunde meines Vaters und eben die ältere Generation, die ich genannt habe, einschließlich Witzleben, Oster, Höppner auch schon den Staatstreichversuch von 1938, im September 1938 im Zuge der Sudetenkrise vorbereitet hatten und seit dem grundsätzlich ohne, sagen wir mal, von der Kriegskonjunktur, um das einmal so auszudrücken, ohne vom Fall von Paris oder der Niederlage vor Stalingrad im Wesentlichen in ihrem Urteil beeinflusst worden zu sein, haben sie versucht, diesen Staatsstreich voranzutreiben, immer wieder von neuem und sie sind nicht denunziert worden. Die Kraft, das ist unterschiedlich bei diesen Menschen, aber für viele muss man doch sagen, dass sie gläubige Christen waren und das ein ganz wesentlicher Punkt ihres eigenen Selbstverständnis gewesen ist. Man muss auch sehen, dass durch die entsetzlichen Eindrücke des Krieges und durch die neuen Erfahrungen der totalitären Herrschaft Menschen auch in stärkerem Maße sich dem Christentum, der Religion geöffnet haben und dort ein Gegenpol zu der herrschenden Ideologie fanden.

    Lange: Ihr Vater wurde am 20. Juli im Bendlerblock verhaftet in Berlin, im August dann vom Volksgerichtshof zum Tode verurteilt und am 8. September 44 hingerichtet. Die Familien der Attentäter wurden verfolgt und verhaftet. Wie ist es Ihnen und Ihrer Familie ergangen?

    Schwerin: Meine Familie hat ein Schicksal wie viele andere Familien der Verschwörer des 20. Juli. Meine Mutter und wir Söhne wurden Anfang August 1944, nachdem mein Vater am 20. Juli verhaftet worden war, in Sippenhaft genommen. Diese Sippenhaft war total willkürlich, hing alleine von Himmlers Willen ab und meine Mutter war im Gefängnis, meine Brüder waren im Gefängnis, ich war ja zu dem Zeitpunkt Säugling und war in einem Kinderheim untergebracht. Das Schlimme für meine Mutter in dieser Situation war einmal die Ungewissheit über das Schicksal meines Vaters, der dann am 21. August vom Volksgerichtshof unter Freissler zum Tode verurteilt wurde mit dem entsprechenden obligaten Vermögenseinzug. Die Ungewissheit über meinen Vater war ein schweres Problem für meine Mutter, das andere war, dass sie Anfang September plötzlich von ihren zwei Söhnen getrennt wurde, also meinen älteren Brüdern, die, ohne dass meine Mutter wusste, was mit ihnen passierte, in ein Kinderheim in den Harz kamen, wo zu dem Zeitpunkt ungefähr 30 bis 40 Kinder aus Familien des 20. Juli zusammengezogen wurden. Das muss für die Mütter eine ganz besondere, traumatische Situation gewesen sein, was dann natürlich auch zusammenfiel mit der Nachricht über das Schicksal ihrer Männer.

    Lange: In den ersten Jahren, Herr von Schwerin, in den ersten Jahren der Bundesrepublik haftete den Attentätern immer noch der Geruch des Verrats an. Ist Ihre Familie in einer Außenseiterrolle geblieben zwischen den vielen, die dann doch mitgemacht und geschwiegen haben und ihre Karriere bruchlos fortsetzen konnten?

    Schwerin: Das ist schwierig zu beurteilen. Direkt nach dem Krieg hat meine Mutter einen Gedenkgottesdienst für meinen Vater abgehalten, das war 1945 im November und hat es offensichtlich nicht für richtig gehalten, den Todesgrund meines Vaters in diesem Gedenkgottesdienst nach außen hin deutlich zu nennen. Aber danach sehe ich das eigentlich nicht so, dass die Familie speziell nun Nachteile hatte aus dem Schicksal meines Vaters. Das kann man nicht sagen und das offizielle Deutschland, sagen wir mal, Anfang der fünfziger Jahre, sobald das Chaos der Nachkriegszeit vorbei war, hat dann ja auch entsprechend die finanzielle Versorgung, wenn auch in sehr bescheidenem Maßstab geregelt. Aber man muss, glaube ich, unterscheiden zwischen der offiziellen Haltung der Bundesregierung und dem offiziellen Deutschland und der Meinung der Bürger. Da waren offensichtlich bis weit in die sechziger Jahre hinein, vielleicht auch in die siebziger, große Unterschiede festzustellen. Solange die Generation lebte, die am Dritten Reich teilgenommen hat und das auch ja, wie wir wissen, in der überwiegenden Mehrheit mitgetragen hat, die hatten Probleme, mit ihrer eigenen Haltung fertig zu werden.

    Lange: Wie habe Sie denn das selbst mitbekommen als Jugendlicher und junger Mann? Wie wurde denn zum Beispiel 64 an den Widerstand erinnert, 20 Jahre danach?

    Schwerin: 64 und 2004 ist im Grunde genommen die Erinnerungskultur, die in der Stauffenbergstraße, ehemals Bendlerstraße in Berlin aktiviert wird, sehr ähnlich, inhaltlich ähnlich und in dem Prozedere ähnlich. Ich sage ja, das offizielle Deutschland hat sich eigentlich, aus meiner Erinnerung, immer weitgehend positiv gestellt, was in den Köpfen der Mitbürger vorging, das ist die große Frage. Ich persönlich und meine Familie hat nie, sagen wir mal, direkte politische oder andere Nachteile durch die Tat unseres Vaters gehabt.

    Lange: Hildegard Hamm-Brücher hat unlängste das Scheitern des Attentats gegen Hitler als Glücksfall für die demokratische Entwicklung in Deutschland bezeichnet. Ich kann mir vorstellen, dass das eine Formulierung ist, die aus der ernüchternden Distanz von 60 Jahren vielleicht zutrifft, aber die jemanden wie Sie trotzdem schmerzt?

    Schwerin: Nein, so kann ich das gar nicht sehen. Ich meine, dieser 20. Juli und der deutsche Widerstand war für unser Volk und für unser Gemeinwesen ein ungeheures Positivum, hat auch ein deutliches Signal in die Zukunft. Das Problem, was wir in Deutschland doch offenbar hatten, ist, dass wir, anders als die angelsächsischen Länder, eine ganz andere politische Kultur hatten. Ich hoffe, dass in der Nachkriegszeit durch die Einführung der parlamentarischen Demokratie bei uns und das Verwurzeltwerden der parlamentarischen Demokratie, sich auch unsere politische Kultur geändert hat, denn das Dritte Reich ist nur möglich vor dem Hintergrund unserer obrigkeitsstaatlichen Ausrichtung, die in Deutschland seit alters her gepflegt wurde und ich denke, da hat sich einiges im Bewusstsein unserer Mitbürger verändert und das ist ein ganz wesentlicher Punkt und ich denke, das hat auch etwas mit diesem Beispiel des deutschen Widerstandes zu tun, der ja ein anderes Politikverständnis deutlich macht, nämlich das Engagement, das Eintreten der Bürger für ihr Gemeinwesen, für ihren Staat.

    Lange: In den Informationen am Morgen war das Detlef Graf Schwerin, er ist Historiker und Sohn des Widerstandkämpfers Ulrich Wilhelm Graf Schwerin von Schwanenfeld. Ich danke Ihnen sehr herzlich für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Schwerin: Ich danke Ihnen auch, Herr Lange.