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"2009 wird ein sehr, sehr anspruchsvolles Autojahr"

Der frühere Mercedes-Vertriebschef und Geschäftsführer der Automobilberatung International Car Concept (ICC), Uwe Röhrig, hat davor gewarnt, die Perspektiven der Branche nur schwarzzumalen. Tatsache sei, dass die Gesamtzulassungen 2008 zwar unter den Prognosen geblieben seien. So dramatisch, wie der potenzielle Autokäufer es vermittelt bekomme, sei die Lage am Automarkt jedoch nicht.

Uwe Röhrig im Gespräch mit Jürgen Liminski | 23.12.2008
    Jürgen Liminski: Wir haben uns in diesen Krisenzeiten schon an Hiobsbotschaften aus der Automobilindustrie gewöhnt. Die weltweite Wirtschafts- und Finanzkrise hat in der Tat diese Branche besonders hart getroffen. Doch mit dem Verbreiten von sich ständig überbietenden Horrormeldungen ist den Händlern, Herstellern und auch den Kunden nicht geholfen, sagt Uwe Röhrig, Chef des Automobilberatungsunternehmens "International Car Concept" in Berlin. Ihn haben wir nun im Studio im Funkhaus Berlin. Guten Morgen, Herr Röhrig.

    Uwe Röhrig: Ich grüße Sie, Herr Liminski.

    Liminski: Herr Röhrig, Sie sehen die Lage nicht so schwarz wie andere, aber über die miesen Nachrichten für die Branche können auch Sie nicht hinwegsehen. Erst gestern wieder die Nachricht, dass Toyota einen Verlust von 1,2 Milliarden Euro für 2008 erwartet. Deshalb die generelle Frage: Wie sieht denn Ihre Bilanz des Autojahres 2008 aus?

    Röhrig: Vorab vielleicht eine Anmerkung. Leider ist immer wieder festzustellen, dass die Medien und auch so mancher so genannter Autoexperte sehr viel lieber "bad news" als "good news" aufnehmen und veröffentlichen, wobei ich mich dann immer frage, gerade in letzter Zeit, was soll das, wem soll das im Wesentlichen helfen? Tatsache ist doch aber, dass die Gesamtzulassungen 2008 zwar unter den Prognosen und Erwartungen geblieben sind, aber doch längst nicht so dramatisch und so schlecht ausgefallen sind, wie der potenzielle Autokäufer heute vermittelt bekommt. Natürlich ist die Situation in der Autobranche schon bedenklich, aber die Gründe dafür sind ja nun auch sehr vielschichtig. Dabei kommt es aber aus meiner Sicht auch zu kurz, dass die Autohersteller und der Handel doch auch erhebliche Anstrengungen unternommen haben, um der negativen Berichterstattung auch mit adäquaten Fahrzeugkonzepten und Dienstleistungsbausteinen entgegenwirken.

    Liminski: Dazu können wir gleich kommen. Da habe ich eine Frage. Aber vielleicht erlauben Sie eine Zwischenfrage, da Sie gerade von den Überbringern schlechter Nachrichten sprechen. Vor kurzem ging durch die Presse, dass Opel rechtliche Schritte gegen den Autoexperten Dudenhöffer von der Uni Duisburg erwägt. Dieser hatte eine Insolvenz der Opel-Mutter General Motors um die Weihnachtszeit vorhergesagt, wenn keine staatliche Hilfe kommt. Lenkt man hier nicht vom eigenen Versagen ab und bekämpft die Überbringer schlechter Botschaften?

    Röhrig: Vor allen Dingen aber sollte jeder der Autofachleute sich im Vorhinein klar darüber sein, was er mit seiner Kommentierung erreichen will. Wie hat Dr. Alfred Herrhausen gesagt: zu Ende denken! Vor diesem Hintergrund scheint mir mancher Kommentator echt überfordert. Nehmen Sie einen Ansatz unsererseits, dass wir im Rahmen einer Unternehmensberatung immer aufzeigen, was und wo ist das Problem, und hier dafür dann die nachhaltige Lösung schaffen, also Probleme gemeinsam lösen und nicht Ängste schüren. Das hilft nun wirklich keinem.

    Liminski: Aber die großen drei, Chrysler, Ford, General Motors, stehen ja nun doch kurz vor der Pleite. Da heißt es immer, der Staat hilft auch nur zögerlich. Was heißt das denn für deutsche Verbraucher, die einen Opel oder Ford fahren, wenn der US-Mutterkonzern voll gegen die Wand fährt? Kann man den Kunden in Deutschland überhaupt noch guten Gewissens raten, ein solches Fahrzeug zu kaufen?

    Röhrig: Herr Liminski, zunächst: Was heißt "zögerlich"? - Denn die Verantwortlichen können und müssen ja froh und happy sein, wenn der Staat hilft, denn zum einen - und das darf man nicht ganz außer Acht lassen - ist das ja ein klarer Eingriff in die freie Marktwirtschaft, aber unter den sozialen Gesichtspunkten sicherlich auch gut so. Andererseits, da haben Sie völlig Recht, wird über diese Vorgehensweise ein Stück weit auch der fast totale Ausfall und das Versagen der Verantwortlichen gedeckt. Hier stört mich am meisten, wenn Sanierungskonzepte aufgezeigt werden, das immer einher geht mit Vernichtung von Arbeitsplätzen. Nun aber doch zum Auto zurück. Aus meiner Sicht sind die deutschen Hersteller Opel und Ford mit ihren Produkten sehr gut aufgestellt. Nun muss die Vertriebsleistung und die Performance hier noch nachziehen: Zum einen darin, dass beispielsweise die Millionen-Budgets, die bisher in die klassische Werbung gesteckt wurden, die nebenbei auch nicht jeder gleich versteht, wenn man so manchen Werbespot im Fernsehen sieht, ummünzt in Qualifizierung der Vertriebsmannschaft und sie in innovative, ja ich denke auch und für den Kunden einfache und verständliche Dienstleistungsprodukte investiert werden und das ganz schnell.

    Liminski: Sie sagen, es müsse Schluss sein mit der Schwarzmalerei. Schließlich sei Mobilität ein Zukunftsmarkt. Aber liegen diese Zukunftsmärkte nur in Asien oder Lateinamerika?

    Röhrig: Alle Schwellenländer sind aus meiner Sicht Zukunftsmärkte, die einerseits sowohl von europäischen Herstellern als auch von den aufstrebenden einheimischen Herstellern in Zukunft bedient werden. Doch aus meiner Sicht wäre es wirklich fatal, wenn dabei sowohl die Fahrzeugentwicklung mit der erforderlichen Neuausrichtung von Verkehrssystemen - das darf man nämlich nicht ganz außer Acht lassen - in Europa und der NAFTA als Kernmärkte vernachlässigt würden. Hier sollte man nach wie vor erste Prioritäten setzen. Außerdem lässt diese Strategie es unter anderem auch zu, auf weltweite Schwankungen viel besser reagieren zu können.

    Liminski: Herr Röhrig, Sie sind auch Wirtschaftssenator des Bundesverbandes Mittelständische Wirtschaft. Wie wird denn das Autojahr 2009 Ihrer Meinung nach aussehen und vor allem was bedeutet das für unsere gesamtwirtschaftliche Entwicklung?

    Röhrig: Unter der Voraussetzung, dass nicht nur die direkte Autoindustrie, sondern auch die Zulieferindustrie ich sage mal mit intelligenten Integrationskonzepten bei Bedarf gestützt werden, wird das Autojahr 2009 mit Sicherheit ein sehr, sehr anspruchsvolles Autojahr sein. Und nur wer in Summe bereit ist, gravierende Veränderungen anzugehen, der wird es auch mit einer Nachhaltigkeit schaffen, erfolgreich zu sein. Denn ich sehe nur, dass das bisherige Handeln zu dem geführt hat, wo man heute steht, und das kann ja nun so auch nicht weitergehen und auch nicht so bleiben, ohne dass ganz gravierende weitere Einschnitte auch in der volkswirtschaftlichen Sozialstruktur Einzug halten. Also nach dem Motto von Nelson Mandela: "Der richtige Zeitpunkt zu beginnen ist immer jetzt", und eine glaubwürdigere Aussage gibt es in diesem Zusammenhang aus meiner Sicht nicht.

    Liminski: Das klingt alles ein bisschen abstrakt. Vielleicht mal eine ganz konkrete Frage deswegen. Es heißt ja auch immer, der Trend geht hin zu sparsamen und umweltfreundlichen Autos. Was mache ich jetzt als Kunde? Soll ich noch warten, drei, vier Jahre, bis wirklich ein sparsames Auto kommt, oder ist jetzt der Zeitpunkt, sich von seinem Altblech zu trennen?

    Röhrig: Ich denke mal, alle oder zumindest die meisten Menschen in unseren Haushalten sind mittlerweile ja schon sehr umweltbewusst, und das schlägt sich sowohl schon beim Einkauf, als auch bei der Strom- und Gasnutzung bis hin zur Müllentsorgung beziehungsweise deren Trennung nieder. Doch ich kann es nicht begreifen, dass nun bei der Inanspruchnahme der urbanen Mobilität, die jeder gerne für sich in Anspruch nimmt, die Autobesitzer enorme Abstriche machen. Denn bei einem Fahrzeugbestand von zirka 46 Millionen und davon immerhin mehr als zwei Drittel an Autos, die älter als sechs Jahre alt sind, wird der Handlungsbedarf gerade für Ersatzbedarf doch sehr deutlich. Das heißt, der Löwenanteil an genutzten PKW heute fährt mit veralterter Technologie und Verbräuchen und CO2-Schadstoffemissionen, Geräuschemissionen. Wenn also das Umweltbewusstsein auch in diesem Punkt wie in den Haushalten greift, lohnt es sich gerade jetzt ein neues Fahrzeug zu kaufen, denn erstens die aktuelle Produktpalette, sowohl verbrauch- als auch emissionsreduzierte Fahrzeuge zu finden, und das ganze dann gekoppelt mit den aktuellen Dienstleistungsbausteinen oder Sorglospaketen genannt, das heißt mit Leasing-Finanzierung und vielleicht sogar mit Garantieverlängerung, und das dann auf eine Laufzeit überschaubar von 36 Monaten, nimmt ja letztlich jedem Nutzer dann auch das volle Risiko, so dass er dann im Anschluss daran, nach 36 Monaten, die weiter entwickelte Fahrzeugtechnologie bekommen kann und überhaupt kein Risiko eingeht, egal ob dann reine elektrobetriebene Fahrzeuge oder Hybridfahrzeuge am Markt den Ausschlag geben.

    Liminski: Der Vergleich mit den Haushalten, wenn Sie erlauben, hinkt etwas, denn ob ich nun einen Mülleimer kaufe mit drei Fächern oder ein Auto, da ist ja doch ein großer Preisunterschied. Glauben Sie denn, dass die Preise für die Autos auch runtergehen?

    Röhrig: Sie haben natürlich Recht. Eine Investition mit einem Auto ist nicht so, als wenn man ein Paar Schuhe kauft. Ich meinte hiermit auch nur das Bewusstsein, umweltverträglicher zu reagieren. - Ich denke, die Preispositionierung lässt sich nicht weiter wie bisher so nach unten drücken, denn die Produktqualität und der Markenwert, der verbaut wird, der hat natürlich seinen Preis. Die Frage wird zukünftig nur sein: Werden es mehr Fahrzeuge sein in der mittleren Fahrzeugkategorie, in der unteren, und wie wird man in der oberen Fahrzeugkategorie mit alternativen Antriebssystemen die Zukunft gestalten können.

    Liminski: Es gibt Hoffnung auch für die Autobranche. Das war der Branchenexperte Uwe Röhrig, Chef von "International Car Concept" in Berlin und Wirtschaftssenator des Bundesverbandes Mittelständische Wirtschaft. Besten Dank für das Gespräch, Herr Röhrig.