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"2011 hatten wir den historisch niedrigsten Energieverbrauch in Deutschland"

Deutschland ist Vorreiter bei den erneuerbaren Energien, sagt Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) - doch die Umsetzung Energiewende werde laut Plan noch bis 2050 dauern. Ein Gespräch über Atommüll, eine ergebnisoffene Endlagersuche, den dringend notwendigen Netzausbau für Fotovoltaik und Co - und warum kleinere Störungen im Koalitionsmiteinander nicht vom guten Regieren abhalten.

Das Gespräch führte Christel Blanke |
    Christel Blanke: Herr Minister Röttgen, vor genau einem Jahr bebte in Japan die Erde. In der Folge kam es zur Katastrophe von Fukushima. Was bedeutet dieser Tag, der 11. März 2011, rückblickend für Sie?

    Norbert Röttgen: Die bleibende Erfahrung, dass der Mensch Risiken eingeht durch Anwendung von Technik, die ihn überfordern, die er nicht bis in Letzte beherrschen kann, und dass es Risiken gibt, Techniken, Technologien gibt, bei denen die Folgen der Nichtbeherrschbarkeit auch auf nächste Generationen noch ausstrahlen. Und das ist dann eben die Frage der Verantwortbarkeit des Eingehens von Risiken.

    Blanke: Bei uns führte diese Katastrophe von Japan zum Ausstieg aus der Atomenergie. Hat Deutschland damit letztendlich auch ein wenig überreagiert?

    Röttgen: Keine Spur, wie ich finde! Es war auch nicht die Atmosphäre von Überreaktion. Eine der ersten Entscheidungen war ja eine Kommission, die haben wir dann Ethikkommission genannt. Aber es war ja die Entscheidung, eine Kommission einzurichten, in der auch neben den parlamentarischen Beratungen gesellschaftliche Pluralität und Meinungsbildung sich abbildet - also die Entscheidung, einen Raum zu schaffen für Diskurs, für Abwägen. Und die Entscheidungen, die dann von dieser Kommission vorgeschlagen worden sind, die getroffen worden sind, sind rational, ökonomisch, technologisch und ethisch gut begründet. Es ist ja erst jetzt ein Dreivierteljahr her, dass wir die Gesetze beschlossen haben, aber sie tragen immerhin bislang und sie haben sich als erfolgreich und richtig erwiesen.

    Blanke: Mit Blick auf unsere Nachbarn stehen wir damit aber ziemlich allein. Frankreich setzt weiter stark auf Atomenergie, Polen will gerade erst einsteigen in diese Art der Energiegewinnung. Wie passt das zusammen, wenn Europa doch insgesamt immer mehr versucht, eine Einheit zu werden?

    Röttgen: Ich glaube, wir sind Vorreiter, aber die Probleme bei den anderen werden ja auch immer sichtbarer werden, wenngleich ich respektiere, dass jedes Land auch seine nationalen Entscheidungen trifft – wenngleich auch das wiederum zu relativieren ist, denn wenn etwas passiert in den europäischen Nachbarländern, dann wird es nicht an den nationalen Grenzen haltmachen. Wir haben uns dazu entschieden, als Erstes großes Industrieland statt auf die alten konventionellen Technologien zu setzen auf neue Technologien zu setzen, statt auf Zentralität auf Dezentralität, auf erneuerbare Energien, auf Energie-Effizienz. Andere haben das nicht getan, glauben vielleicht auch, es nicht zu können. Der französische Rechnungshof hat vor wenigen Wochen festgestellt: Frankreich hat nicht die ökonomisch-technologische Möglichkeit, eine solche Energiewende zu machen. Das war in der Zeit, als es ganz kalt geworden war, die Temperaturen runter gingen, also eine Zeit, wo man gesehen hat, dass Frankreich irrsinnige Probleme hat. Wir haben eine stabile Situation gehabt, wir haben in riesigen Mengen Strom exportiert. Das heißt, diese Kälteperiode war ein erster wirklicher Bewährungstest für unsere Entscheidung, und wir haben, glaube ich, gut abgeschnitten.

    Blanke: Jetzt, mit Blick auf diesen Jahrestag Fukushima, haben in den vergangenen Tagen viele Organisationen und Politiker eine Bilanz oder Zwischenbilanz gezogen mit Blick auf diese Energiewende, die bei uns stattfindet. Der Tenor war eigentlich allenthalben, egal aus welcher Richtung: Es geht nicht schnell genug, und was fehlt ist eine Art Masterplan, der sich nicht nur ins nächste Jahr oder ins übernächste Jahr zieht, sondern der über mehrere Jahrzehnte sagt, wo es langgehen soll. Wo ist dieser Plan?

    Röttgen: Der ist da. Die Energiewende ist ja nicht so zusagen einmal beschlossen und da ist sie da, sondern es ist ein Plan bis 2050. Und der wird nun auch mit konkreten Entscheidungen und einer Planung etwa für dieses Jahr, die wir am vergangenen Sonntag im Koalitionsausschuss beschlossen haben, umgesetzt, fortgesetzt. Das mag vielleicht daran liegen, dass so eine Energiewende spektakulär war und ist und die Umsetzungsschritte technisch, administrativ und jedenfalls nicht so spektakulär ist. Also wenn wir im Kabinett eine neue Verordnung beschließen, die Netzinvestitionen schneller rentabel macht, dann ist das ganz wichtig, aber vielleicht nicht spektakulär und wird vielleicht gar nicht zur Kenntnis genommen. Es geht Schritt für Schritt voran, wir haben im letzten Jahr 2011 zum Beispiel eine Steigerung des Anteils der erneuerbaren Energien am Strom um 14 Prozent gehabt, also 20 Prozent unserer Stromerzeugung kommt aus erneuerbaren Energien. Das ist erstmalig Platz zwei vor der Kernenergie und gleichzeitig ist erstmalig die Belastung oder die Förderung für die erneuerbaren Energien, die die Stromverbraucher zu bezahlen haben, praktisch gleich geblieben. Das sind enorme Erfolge. Wir haben gerade in den kalten Tagen jetzt des Jahresanfangs mit den niedrigsten Börsenstrompreis in Europa gehabt, jedenfalls niedriger als der europäische Durchschnitt, deutlich niedriger als in Frankreich. Wir haben Versorgungssicherheit, Preisstabilität und haben permanente Steigerungen der erneuerbaren Energien, auch bei der Windenergie, die erstmalig im letzten Jahr wieder über 2000 Megawatt gekommen ist. Wir haben ganz neue Rechtsgrundlagen für den Netzausbau, die abgearbeitet werden, und, und, und, es findet Schritt für Schritt statt.

    Blanke: Aber es hängt auch immer wieder. Also, man kriegt immer wieder mit, dass sich die Ministerien – es sind ja mindestens sechs Ministerien an dieser Energiewende beteiligt –, dass da keine Einigkeit herrscht, namentlich vor allem zwischen Bundeswirtschaftsminister Rösler und Ihnen immer mal wieder – Stichwort Energie-Effizienz oder auch Solarförderung – dann gibt es Streit, dann wird sich geeinigt auf den kleinsten gemeinsamen Nenner, wie man oft denkt. Also wäre es nicht doch gut, Sie haben ja auch Sympathien dafür erkennen lassen, das Ganze zu bündeln und ein eigenes Ministerium für die Energiewende einzurichten?

    Röttgen: Na ja, das Erste, was ich schon erwidern möchte, ist: Das, was Sie sagen, sagt man so. Es stimmt aber nicht, erfreulicherweise stimmt es nicht. Sondern wir diskutieren, das muss doch auch möglich sein, das ist ein Fundamentalprojekt, das ist kein Spaziergang, da muss es auch mal Diskussionen geben. Da gibt es auch möglicherweise Konflikte. Aber wir haben immer entschieden, wir haben gerade entschieden, dass aus dem Energie- und Klimafonds, den wir erstmalig begründet haben auch zur Stärkung der Finanzierung all dieser Politik, zum Beispiel die energetische Gebäudesanierung, unangetastet bleibt, obwohl die Finanzquellen, aus denen dieser Fonds gespeist wird, unter Druck geraten sind wegen des niedrigen CO2-Zertifikate-Preises in Europa. Aber dieses Projekt, die energetische Sanierung der Gebäude in Deutschland zu fördern – mit 1,5 Milliarden Euro pro Jahr –, bleibt unangetastet. Wir setzen uns auch für die steuerliche Förderung ein, da stimmt der Bundesrat noch nicht zu. Also gibt es politische Konflikte, keine Frage. Aber wir entscheiden Schritt für Schritt und haben einen Gesamtplan für das Jahr 2012 vorgelegt, übrigens mit ambitionierten Zielen bei der Energieverbrauchsenkung und der Energieeffizienz.

    Blanke: Aber gerade bei der Energieeffizienz bleibt ja diese Einigung von Herrn Rösler und Ihnen hinter dem zurück, was Sie sich eigentlich vorgestellt haben. Das heißt, Deutschland wird jetzt in Brüssel die Richtlinie blockieren. Das heißt, da wird weniger erreicht, als Sie zum Beispiel von vornherein eigentlich wollten.

    Röttgen: Nein, es wird nicht weniger erreicht. Vielleicht darf ich noch mal eine Tatsache nur kurz nachtragen: Im letzten Jahr 2011, nach zwei ausgesprochenen Wachstumsjahren mit drei Prozent und 3,7 Prozent Wachstum 2010 und 2011, hatten wir den historisch niedrigsten Energieverbrauch in Deutschland. Das heißt, dass all die, die sagen es geht nicht schnell oder sonst was, die sehen diese Entwicklung nicht. Es geht wirklich voran. So. Energieeffizienz: Da haben wir einen Vorschlag gemacht, der konstruktiv ist und auf dessen Basis wir uns nun in der europäischen Gesetzgebung mit beteiligen. Ich räume ein, ich hätte mich gern auch früher darauf verständigt, dann hätten wir früher eine aktive Rolle spielen können. Aber wir haben jetzt anspruchsvolle Ziele, und zwar Ziele, die verbindlich sein sollen für die Mitgliedsstaaten, den Energieverbrauch zu senken oder die Energieeffizienz zu steigern – wahlweise. Und dazu müssen auch konkrete Maßnahmen und Aktionspläne der Mitgliedsstaaten erarbeitet werden. Welche Maßnahmen das sind, da bin ich allerdings auch für ein bisschen Flexibilität, denn das mag in Rumänien und Deutschland dann eben auch einen Unterschied ausmachen, welches Instrument das geeignetste ist. Also wir sind dort aktiv und konstruktiv dabei.

    Blanke: Wir sind ein bisschen abgeschweift. Ich hatte angefangen die Frage nach dem Energieministerium. Wäre das nicht was für Sie, Ressortleiter Energie?

    Röttgen: Auch zwei Antworten. Also, erstens ist das immer der wichtigste Aspekt, was bringt das für mich persönlich, das ist klar. Aber von dem wichtigsten Aspekt zu den zweitwichtigsten Aspekten. Erstens: Historisch wären wir niemals an der Stelle in der erneuerbaren Energiepolitik, wo wir sind, wenn es für diese Technologien nicht die Anwaltschaft eines Ministeriums des Bundesumweltministeriums gegeben hätte, und zwar bis in die jüngsten Tage, bis in die Tage der Energiewende hinein. Meine These ist: Ohne Bundesumweltministerium und –minister hätten wir die Energiewende nicht. Die Energiewende selber hat aber natürlich einen Wechsel, der bedeutet, dass wir perspektivisch 80 Prozent des Stromes aus erneuerbaren Energien produzieren wollen. Das heißt, das ist ein Wechsel, erneuerbare Energien brauchen Netze, brauchen Infrastruktur. Und wenn das so zusammen wächst, tatsächlich dann auch die Kompetenzen zusammenzulegen – das ist ein Gesichtspunkt, den halte ich für sachlich gut diskutierbar.

    Blanke: Und Sie werden dann Minister?

    Röttgen: Das wird man ja sehen, wie alles sich fügt.

    Blanke: Norbert Röttgen ist zu Gast beim Interview der Woche im Deutschlandfunk – Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit und stellvertretender Vorsitzender der CDU Deutschlands. Herr Röttgen, Sie sind für die Energiewende natürlich, Sie sind für den Ausbau erneuerbarer Energien. In dieser Woche mussten Sie jetzt erleben, dass Sie auf einer Demonstration als "Solarfeind Nr. 1" hingestellt wurden. Mussten die Kürzungen wirklich so drastisch ausfallen und so schnell, wie Sie das mit Herrn Rösler zusammen vereinbart haben? Also, auch Ihnen muss doch klar gewesen sein, dass Investoren Planungssicherheit brauchen und dass die nicht investierenden, wenn sie die nicht bekommen?

    Röttgen: Die erhalten sie ja, die Kürzungen sind nicht drastisch. Und das, was ich jetzt erlebe an Vorwürfen, an Horrorszenarien, an Lobbyismus, hat es vor zwei Jahren exakt bis in die einzelnen Aktionsformen genau so gegeben. Als ich nämlich kurz im Amt war und die erste EEG-Novelle vorgelegt habe, die erstmalig beendet und umgekehrt hat die Übersubventionierung der Fotovoltaik durch meinen Vorgänger. Da wurde das genau so gesagt ...

    Blanke: … das war Sigmar Gabriel ...

    Röttgen: ... das war Sigmar Gabriel. Wir haben jetzt durch die vergangenen Vergütungseinsparungen, das heißt durch Kosteneffizienz, dafür gesorgt, dass die Stromverbraucherinnen und –verbraucher über 50 Prozent weniger für Fotovoltaik bezahlen müssen mit ihrer Stromrechnung, als das war, als ich das Amt angenommen und übernommen habe. Gleichzeitig hat die Erfolgsgeschichte der Fotovoltaik vor zwei Jahren in Deutschland in Wahrheit erst begonnen, denn in den beiden letzten Jahren sind 15.000 Megawatt Kapazität Fotovoltaik in Deutschland gebaut worden, so viel wie nie zuvor. Das ist ein Erfolg bei gleichzeitiger deutlicher Senkung der Kosten dafür, die ja die Verbraucher bezahlen für die Fotovoltaik – 6,8 Milliarden Euro pro Jahr, von 12 Milliarden Euro Förderung insgesamt für die erneuerbaren Energien. Aber obwohl das der große Kostenbatzen ist, leistet die Fotovoltaik nur 15 bis 16 Prozent der erneuerbaren Stromversorgung. Das ist kein gutes Verhältnis. Die Marktpreise gehen weiter runter, und ein Zubau von 7500 ist zu viel ...

    Blanke: ... die Verbraucher müssen aber auch zahlen - und das ist in Ihrer Zeit verabschiedet und beschlossen worden - dass es immer mehr Ausnahmen gegeben hat. Das heißt, die Summe verteilt sich vor allem auf die Verbraucher, weil viele intensive Nutzer, die Betriebe, gar nicht zahlen müssen. Müsste man da nicht doch noch mal ran?

    Röttgen: Ich komme sofort zu dem Punkt. Wenn ich nur noch ausführen darf, dass 7,5 Tausend Megawatt das zwei- oder dreifache von dem ist, was wir im EEG als Ausbauzielkorridor, nämlich 2,5 bis 3,5 Tausend Megawatt, festgelegt haben. Und das ist nicht nur ein Kostenthema, sondern auch ein wirkliches Problem für die Netzstabilität örtlich und regional, insbesondere in Süddeutschland. Darum, wer Fotovoltaik erhalten will, der muss die Kosteneffizienz nutzen. Das ist das Geld der Stromverbraucher und nicht von Investoren. Und der muss die Netzstabilität, die Integration der Fotovoltaik in den Strommarkt gewährleisten. Und alle, die da jetzt so demonstrieren – das ist meine These –, die denken mehr an ihre persönlichen Renditen als an die Funktionsfähigkeit und den Erfolg der Fotovoltaik als Technologie. Nun zu den Ausnahmen – das ist richtig: Wir haben die Befreiung und Entlastung von dieser EEG-Umlage, die rund 3,5 Cent pro Kilowattstunde ausmacht, ausgeweitet für energieintensive Unternehmen, weil der Energiepreis und der Strompreis für energieintensive Unternehmen, die im internationalen Wettbewerb stehen, ein Wettbewerbsproblem, ein Investitionsproblem ist. Und wir wollen diese Energiewende ja als ein Projekt der wirtschaftlichen Modernisierung. Und darum wollen wir die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands stärken und nicht beeinträchtigen. Und darum ist es richtig, dass wir die Unternehmen, die ja Wertschöpfung, Arbeitsplätze in Deutschland schaffen, auch solche Rahmenbedingungen geben, dass sie mit der Energiewende in Deutschland bleiben und nicht aus dem Land getrieben werden. Dazu stehe ich und das halte ich auch wirtschaftspolitisch für richtig.

    Blanke: Sie haben den Netzausbau angesprochen, ein weiterer großer Punkt, wo es nach Meinung vieler Kritiker viel zu langsam vorangeht. Woran liegt das? Wir wissen, wir wollen den Strom transportieren. Wir wissen, wir brauchen regionale Anbindung, um den nicht immer vorhandenen Strom von Sonne- und Windenergie transportieren zu können. Warum geht das nicht schneller?

    Röttgen: Weil keiner, der sich mit der Sache ein bisschen auskennt, die Erwartung hatte, dass man innerhalb von einem halben Jahr Transportnetze über Land von Nord nach Süd bauen kann. Das, was wir über Jahre und Jahrzehnte nicht geschafft haben, das kann man innerhalb eines halben Jahres nicht korrigieren, schon allein, weil die Bürgerbeteiligung, die dafür notwendig ist, länger als ein halbes Jahr dauert. Aber vor allen Dingen mussten wir auch ganz neue Rechtsgrundlagen schaffen. Das ist ja sozusagen ein großes Versäumnis, eine Sünde der Vergangenheit, die die Politik zu verantworten hat, die keine Netze gebaut hat, und die großen Stromversorgungsunternehmen, weil Netze bedeutet Wettbewerb. Und an Wettbewerb war früher kein Interesse in der zentralen oligopolistischen Stromstruktur. Und darum haben wir hier einen Rückstand. Den bauen wir ab durch neue Rechtsgrundlagen, die aber umgesetzt werden müssen. Die Bundesnetzagentur wird den Bedarfsplan nun vorlegen. Aus dem wird der Bundesnetzplan als Gesetz abgeleitet werden. Es wird auch gebaut, sind auch 200 Kilometer gebaut worden in den überörtlichen Übertragungsnetzen. Aber das braucht auch Zeit. Der entscheidende Punkt ist, wir fangen jetzt damit an und werden es machen, erstmalig. Das war bislang noch nicht der Fall.

    Blanke: Herr Röttgen, Sie werden am Montag zum ersten Mal das marode Atommülllager Asse besuchen. Ist das ein erster Schritt hin zu einem Bundesgesetz zur Asse, das unter anderem der niedersächsische Umweltminister fordert?

    Röttgen: Nein, es geht nicht um ein Bundesgesetz, sondern es geht darum, dass wir diesen Skandalfall des Wegkippens von radioaktiven Abfällen, ohne an die Sicherheit und die Folgen zu denken, dass wir den in den Griff bekommen. Ich war ganz zu Beginn meiner Amtszeit bei der Begleitgruppe, die sich vor Ort gebildet hat. Und die parlamentarische Staatssekretärin im Ministerium, Frau Heinen-Esser, hat seither an jeder dieser Sitzungen teilgenommen. Und jetzt gucke ich mir das auch mal vor Ort an, weil wir jetzt auch eine Klarheit gewonnen haben, wie es weitergehen soll. Wir arbeiten daran und werden es nun auch alsbald schaffen, dass wir an einer Stelle jedenfalls mal eine Kenntnis davon erhalten, was da eigentlich alles hingebracht wurde, in welcher Verfassung es ist. Gleichzeitig müssen wir, weil die Stabilität dieses Bergwerkes nicht dauerhaft gewährleistet ist, auch Notfallmaßnahmen ergreifen. Das heißt, wir haben jetzt die tatsächliche Kenntnis darüber, wie wir versuchen wollen und alles daransetzen wollen, dieses Zeug aus diesem Bergwerk heraus zu bekommen – in tatsächlicher und gegebenenfalls auch rechtlicher Hinsicht.

    Blanke: Die Forderung aus Niedersachsen bezieht sich auch darauf, dass rechtliche Hürden beseitigt werden müssten, damit man diese Fässer eben schneller als bisher möglich aus diesem Lager herausholen kann. Wie steht es denn damit?

    Röttgen: Ja, was heißt Forderung? Niedersachsen ist ja im Vollzug selber sein Verantwortungsträger. Und es richtet sich manche Kritik gerade gegen diesen Vollzug. Das will ich aber jetzt nicht weiter vertiefen. Ich bin für jede Beschleunigungsmaßnahme, die zu ergreifen ist. Aber man muss sie dann auch konkret benennen. So allgemein ist das noch kein Fortschritt. Wir haben ja auch dort vor wenigen Wochen in einem Workshop alle Beteiligten zusammengeholt. Das Bundesamt für Strahlenschutz hat das getan. Und da sind all diese Beschleunigungspotenziale und –möglichkeiten auch diskutiert worden. Ich bin für jede Beschleunigung, aber an einer Stelle gibt es auch eine klare Grenze, die nicht zu überschreiten ist. Beschleunigung darf nicht dazu führen, dass die Menschen, die damit betraut werden, das Zeug raus zu holen, Gefahren ausgesetzt werden. Wir dürfen beim Rausholen keine Risiken eingehen von Explosionen und anderen Dingen, die Folgen haben, die wir nicht beherrschen können. Das heißt, die Bergung, das Rausholen, die Vorbereitung des Rausholens der Abfälle aus dem Bergwerk ist eine gefährliche Angelegenheit. Und unter dem Aspekt der Beschleunigung darf und kann es nicht zur Gefährdung von Menschen kommen, die wir mit dieser Aufgabe betrauen. Das ist der Gesichtspunkt, der ehrlich und offen auch benannt werden muss.

    Blanke: Nicht weit weg von der Asse ist Gorleben. Sie sind gerade dabei, mit den Ländern zusammen ein neues Standortsuchverfahren auf den Weg zu bringen, ein Gesetz dafür zu schreiben. Es ist – wie Sie immer sagen – 90 oder noch mehr Prozent sind in trockenen Tüchern. Aber die letzten offenen Fragen haben es in sich. Da geht es um die Frage, bleibt Gorleben im Topf? Da geht es um die Frage, soll es ein neues Bundesinstitut geben, das den ganzen Ablauf koordinieren, und die Sicherheitskriterien festlegen soll? Und sollen nicht diese Sicherheitskriterien schon im Gesetz festgeschrieben werden, statt sie hinterher von dem Institut entwickeln zu lassen? Sind Sie denn optimistisch, dass Sie da zu Einigungen kommen?

    Röttgen: Also, zunächst einmal muss man festhalten, 11. März 2012 ist ein Jahr nach der Katastrophe in Fukushima. Wir haben daraufhin die Energiewende beschlossen. Und Ende des vergangenen Jahres habe ich nach jahrzehntelangem Kampf oder Stillstand erstmalig die Länder eingeladen, um einen nationalen Konsens in einer Frage nationaler Verantwortung, nämlich den sichersten Lagerort für hoch radioaktive Abfälle zu finden. Und jetzt sind wir Mitte März, erst wenige Monate später, und können bei gutem Willen einen Konsens zwischen Ländern und Bund und damit einen politischen Konsens erreichen. Das ist auch bis auf letzte Fragen reif, und ich bin von dem Ergebniswillen aller Beteiligten, aller Bundesländer und auch natürlich von der Bundesregierung völlig überzeugt. Darum darf man noch nicht den Tag vor dem Abend loben, aber ich bin optimistisch und erfreut darüber, dass alle wissen, was für eine historische Chance das ist, dass wir auch in der Frage der Lagerung die Verantwortung von uns Deutschen, unserer Generation, erkennen; und die Notwendigkeit, das im Konsens mit breiter Beteiligung von ganz neuen Partizipationsformen der Bürger wissenschaftsbasiert transparent zu machen. Und dann wäre das ein ganz, ganz wichtiger Baustein der Energiewende, nämlich die Befriedung und die mindestens mal prozedurale Lösung der Frage, wie wir wissenschaftsbasiert mit breiter Partizipation und darum Legitimation setzend am Ende einen Lagerstandort für radioaktive Abfälle finden. Ich bin ganz optimistisch, ja.

    Blanke: Zur Befriedung würde passen, wenn man Gorleben aus dem Topf nehmen würde.

    Röttgen: Nein, das Gegenteil von Befriedung wäre der Fall, weil unsere Einigung schon jetzt ist, dass das das Gegenteil von Befriedung und Sachlichkeit wäre. Unser Ansatz, über den wir schon einig sind zwischen Ländern und Bund, ist, dass Deutschland eine weiße Landkarte abbildet und wir nach geologischen wissenschaftlichen Kriterien und nicht durch politische Setzung Standorte bestimmen oder ausschließen. Die Befriedung für Gorleben ist erreicht, wenn wir klar machen, Gorleben wird behandelt wie jeder andere Standort, jede andere Region in Deutschland auch. Es gibt keine Bevorzugung, es gibt keine Benachteiligung durch politische Opportunität, sondern entscheidend ist die Geologie und ein Verfahren, in dem nach bestem Wissen und Gewissen dann der Standort ausgewählt und untersucht wird.

    Blanke: Das heißt, auch Gorleben muss sich den gleichen Kriterien stellen wie alle anderen Standorte? Oder bleibt es dabei, dass Gorleben gesetzt ist?

    Röttgen: Nein. Meine Meinung ist – wir haben den Punkt ja noch nicht vollständig ausdiskutiert –, dass die sogar einzig vernünftige, sachliche Position die ist, dass Gorleben wie jeder andere Standort sich den einzelnen Prüfungsschritten, die wir in dem neuen Gesetz bereits konsentiert und festgelegt haben, unterwerfen muss und weder begünstigt noch benachteiligt wird, sondern sachlich gleich behandelt wird wie andere Standorte auch.

    Blanke: In genau einer Woche, Herr Röttgen, wird die Bundesversammlung einen neuen Bundespräsidenten wählen. Sie sind auch stellvertretender CDU-Chef, deswegen muss ich auch danach noch mal fragen. Der Ausgang dieser Wahl dürfte ja keine Überraschung sein, es wird aller Voraussicht nach Joachim Gauck sein. Die Nominierung von Joachim Gauck durch die Koalition hätte fast deren Bruch bedeutet. Wird sich die Koalition davon tatsächlich wieder erholen?

    Röttgen: Also, ich finde, dass die CDU und auch die CSU im Nachgang zu dem, wie die Findung war an dem Sonntag, bewiesen haben, dass wir ein kluger Teil der Regierung sind, die so etwas bemerkt, solche Verfahrensverstöße, aber damit klug umgeht. Und das ist, glaube ich, auch die richtige Art und Weise, solche Dinge zu verarbeiten.

    Blanke: Den Verfahrensverstoß hat in diesem Fall die FDP begangen?

    Röttgen: Ja, ich glaube, das kann man so sagen, dass das so war. Und damit sind wir, glaube ich, richtig umgegangen. Das hat unsere Wertschätzung für Joachim Gauck nicht gemindert und das führt auch nicht dazu, dass wir von dem Willen abgehen, in der Politik erfolgreich zu sein. Wir haben nämlich große Chancen und Herausforderungen. Wir haben jetzt über die Energiewende gesprochen, Europa und der Euro als das überragende Thema. Wir sehen uns in der Pflicht, gut zu arbeiten und zu regieren und lassen uns von kleineren Störungen an einem Sonntag davon nicht abhalten.

    Blanke: Herr Minister, ich danke Ihnen für das Gespräch.

    Röttgen: Vielen Dank.