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21.6.1924 - Vor 75 Jahren

Seit 52 Jahren steht Traugott Buhre auf der Bühne. Er war unter anderem Lessings "Nathan der Weise", Goethes "Faust", Kleists "Dorfrichter Adam" oder Prospero in Shakespeares "Sturm". Aber die eine Rolle, mit der er auch heute Abend im Berliner Ensemble seinen 75. Geburtstag feiern wird, die ist mit ihm so zusammengewachsen, dass wir sie sofort mit dem Äußeren des massigen Schauspielers verbinden, mit seinem großen Kopf und dem ausdrucksstarken Gesicht: Thomas Bernhards "Theatermacher". Ein besessener Schauspieler namens Bruscon zieht darin mit seiner selbstverfassten Weltkomödie durch die hintersten Dörfer, schikaniert seine Familie und richtet sich an seiner vermeintlichen Genialität auf:

Von Eva Pfister | 21.06.2004
    Also: Was ist dein Vater? Was ist dein Vater? – schluchz – Der größte Schauspieler aller Zeiten. – Na also. Das wollte ich hören. Schließlich ist es ja heute noch nicht gesagt worden.

    Claus Peymann inszenierte die Uraufführung des "Theatermacher" schon 1985 bei den Salzburger Festspielen und führt sie seither in seinem Repertoire. Mit Peymann verbindet sich ein großer Teil von Traugott Buhres Theaterleben: Von Stuttgart über Bochum ans Wiener Burgtheater. Wichtig für seinen künstlerischen Werdegang war aber auch der Regisseur Peter Palitzsch, der seine Auffassung von Theater prägte:

    Also das Theater losgelöst von der Gesellschaft war mir nun auch durch die Arbeit mit Peter Palitzsch gar nicht möglich. Ich habs vielleicht nie auch so sehen können. Ein L’Art pour l’art-Theater wäre für mich gar nicht in Frage gekommen.

    Traugott Buhre ist kein leichtfüßiger, leichtherziger Spieler. Geboren 1929 in Insterburg in Ostpreußen, hatte er als Junge die Zerstörung von Königsberg und schreckliche Kriegsgräuel miterleben müssen. Als Flüchtling landete er in der Lüneburger Heide, arbeitete nach der Schule bei einem Bauern – und warum er plötzlich zum Theater wollte, konnte er nie erklären. In der Schauspielschule war er ein Außenseiter; den Improvisationsübungen konnte er nichts abgewinnen und zudem hatte er mit seinem ostpreußischen Zungenschlag zu kämpfen. Sein erstes Engagement fand er dank seiner technischen Fähigkeiten: Als Beleuchter und Kleindarsteller.

    Auch als berühmter Schauspieler litt Buhre immer wieder unter Selbstzweifeln und quälte sich bei der Entwicklung seiner Figuren. Am schlimmsten war es ausgerechnet beim "Theatermacher":

    Je länger die Proben waren, desto fürchterlicher war’s für mich, desto mehr musste ich sehen, ich kann die Rolle gar nicht spielen ... und ich muss sagen, ich habe bis zuletzt, noch inklusive Generalprobe, gedacht, das wird nicht mal ein Debakel, dazu wird’s gar nicht kommen, irgendwo sinkt das Schiff schon vorher, kentert, ist verschlungen, gar nichts mehr zu sehen, dann werden die Leute aufstehen und irgendwas schreien, aber das wird nicht zustande kommen, diese Premiere wird nicht zustande kommen. Nun, dann kam sie zustande, und wurde ein Erfolg.

    Traugott Buhre ist eben kein eitler Theatermacher. Überblickt man seine lange Theaterlaufbahn, so fällt auf, wie sehr er sich stets auf neue Konzepte und neue Autoren, eingelassen hat. In den 70er Jahren spielte er Stücke von Harold Pinter und Edward Bond, bei Peymann feierte er zwar auch Erfolge als "Nathan der Weise", wurde aber – neben Minetti – zum wichtigsten Protagonisten für die Stücke von Thomas Bernhard.

    Welche Wagnisse Traugott Buhre einzugehen bereit ist, erfuhr die Regisseurin Andrea Breth, als sie mit ihm am Burgtheater Kleists "Zerbrochenen Krug" inszenierte. Wie aus dem Paradies stürzt der Dorfrichter Adam auf die Bretter, die die Welt bedeuten: Nackt und lädiert. Dies kann nur ein Schauspieler, der eben nicht sich selbst darstellt, sondern sich ganz auf die Figur konzentriert.

    Das ich einmal mir sicher für mich keinen anderen Beruf vorstellen könnte – ich hatte mal auch mit dem Gedanken gespielt, Regisseur zu werden – das ist das Sich-Entäußern, das über eine andere Person sich zu entäußern, das ist für mich das Faszinierende, von sich wegzukommen.

    Außerhalb des Theaters ist Traugott Buhre vollkommen öffentlichkeitsscheu. Über sein Privatleben weiß man nur, dass er zuhause eine Tischlerwerkstatt hat und in seiner Freizeit Möbel baut. Er ist ein Starschauspieler, der aber solcher nicht auftreten will.

    Ich nenne das für mich das Rumpelstilzchen-Syndrom, das hatte ich schon als Junge. Im Grunde genommen, ich wollte mich danach verstecken. Also, es wäre mir immer der größte Erfolg, wenn ich rauskäme und man würde mich nicht erkennen.