Nach fünf Jahren hatte er hundert Lokomotiven verkauft. Im Frühjahr 1854 - wenige Monate, bevor er im Alter von 50 Jahren an einem Schlaganfall starb - wurde mit einem rauschenden Fest die Auslieferung der 500. Borsig-Lok gefeiert.
"Heil Dir im Siegerkranz": Auf die Melodie der späteren Kaiserhymne sangen die 2200 Gäste ein Loblied auf den preußischen Gewerbefleiß.
Heil dem Maschinenbau!
Denn so wie Mann und Frau
Zusammensteh’n,
So reichen sich die Hand
Zum innigen Verband
Hier die Gewerbe all';
Heil unser’m Stand!
Und die "Berliner Illustrierte" berichtete:
Wie der Dampf sich mächtig in den Kesseln drehte, hob sich auch unsere Brust bei dem Gedanken: Jeder Mensch kann mit Gott eine Welt aus sich selbst erschaffen.
Borsig beschäftigte in seinen drei Berliner Fabriken inzwischen 1800 Mitarbeiter. Er stellte alle möglichen Maschinen her, aber die Lokomotiven blieben immer etwas Besonderes. Sie waren ein Symbol für den Fortschritt, Preußen fühlte sich damit an der vordersten Front der Industrialisierung.
Die Poesie der Gegenwart ist die Industrie,
dichtete der "Berliner Volkskalender" mit Blick auf Borsigs Imperium. Mit der Wirklichkeit hatte das wenig zu tun. Die Arbeit war hart, Zwölfstundentage waren normal und die Löhne gering. Dabei ging es den Leuten bei Borsig sogar noch vergleichsweise gut. Es gab eine Kantine, eine Kranken- und Sterbekasse, sogar eine firmeneigene Badeanstalt. Nicht aus Altruismus, sondern aus der Überzeugung heraus, dass, wie Borsig während der Revolution von 1848 gegenüber den Aufständischen bemerkte:
... jede mögliche Verbesserung nicht allein das Wohl der Arbeiter befördert, sondern auch das Fortbestehen der Anstalt sichert.
Borsig spürte, dass er dem wachsenden Selbstbewusstsein seiner Belegschaft Rechnung tragen musste. Und integrierte sie kurzerhand in die Bürgerwehr. Eben waren die Leute noch auf die Barrikaden gestiegen, jetzt gingen sie - mit ihm, dem so genannten "Vater Borsig" an der Spitze - gegen verbotene Demonstrationen vor. In dieser Atmosphäre sei, berichtet seine Biographin Ulla Galm, die legendäre Parole der "Borsianer" entstanden:
Wir sind keine Proletarier, wir sind Maschinenbauer.
Dabei blieb Borsig ein Kind seiner Zeit: der unumstrittene Herrscher über ein frühkapitalistisches Unternehmen mit durch und durch paternalistischen Strukturen.
Jeder vernünftige Wunsch findet bei mir ein williges Ohr. Aber versuchen Sie nicht, mit Gewalt, mit Zwang und Terror hier zu herrschen. Hier gilt ein Wille - und das ist der meine!
Ähnlich wie Alfred Krupp, der spätere "Kanonenkönig", hatte auch Borsig in der "feinen" Gesellschaft Fuß gefasst. Nachdem er den ehrenvollen Auftrag, die Kuppel des Berliner Stadtschlosses zu bauen, zur, wie es hieß, "höchsten Zufriedenheit" erfüllt hatte, bekam er den Titel eines "Commerzien-Raths". Er gönnte sich eine pompöse Villa mit Park und Gewächshäusern; das schönste Kompliment machte ihm deswegen der preußische König höchstpersönlich, der bei einem seiner Besuche gesagt haben soll:
So wie Sie, mein lieber Borsig, möchte ich auch mal wohnen.
Bis weit ins 20. Jahrhundert blieb die Firma im Familienbesitz. Dann verblasste der Geist der Gründerzeit. 1933 in eine Aktiengesellschaft überführt, wurde der Konzern 1970 vom Maschinen- und Kraftwerkbauer Babcock aufgekauft. Vor zwei Jahren musste die Babcock Borsig AG Konkurs anmelden. Seit dem 1. März dieses Jahres befindet sie sich im gesetzlich geregelten Insolvenzverfahren. Eine Weile bleibt uns der Name Borsig noch erhalten: Das Verfahren wird erst Ende des Jahrzehnts abgeschlossen sein.