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25 Jahre Mauerfall
Kulturtag der Anrainer des Pariser Platzes in Berlin

25 Jahre nach dem Mauerfall fand in Berlin eine Premiere statt: Der Kulturtag der Anrainer des Pariser Platzes. Die Themen waren dabei so verschieden wie die Gastgeber. Einen roten Faden gab es nicht, aber die Diskussionen, Lesungen und Vorträge zeigten, welches Potenzial dieser Zusammenschluss haben könnte.

Von Anna Pataczek | 03.11.2014
    Draußen präsentiert sich der Pariser Platz wie immer: Mit Pferdekutschen, Touristengruppen und Straßenmusikern. Drinnen, hinter den Fassaden der Gebäude rechts und links vom Brandenburger Tor dagegen findet die Premiere des Gedenktags zum Mauerfall statt. Im Haus der Stiftung Brandenburger Tor etwa sitzen auf dem Podium Kunsthistoriker, Künstler und Schriftsteller, sprechen über die Wahrnehmung von Kunst aus der DDR. Schnell kommen die Diskutanten zu dem immer noch herrschenden Tabu, Künstler aus dem Osten in westdeutschen Museen auszustellen. Kunsthistoriker Eckhart Gillen plädiert dafür, vom Schubladendenken Abstand zu nehmen.
    "Überhaupt dieses moralische Sortieren, war das ein Widerstandskämpfer, war das ein stiller, innerer Immigrant, war das ein Staatskünstler - so kann ich Kunstgeschichte nicht betreiben. Wenn ich an Rubens denke (... ) es gab immer Künstler, die gleichzeitig auf der politischen Bühne waren und Kompromisse eingegangen sind, Diplomaten waren."
    Um Erinnerungskultur geht es unter anderem auch in einem Gespräch mit der Bürgerrechtlerin und ehemaligen Leiterin der Stasi-Unterlagen-Behörde Marianne Birthler und mit dem Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk, zu dem die Körber- und die Gerda Henkel Stiftung ins Hotel Adlon geladen haben. Was bleibt von der Friedlichen Revolution? Marianne Birthler: "Ich erinnere mich, wie ich mit Leuten aus Uruguay sprach, und mir ist fast das Wort im Halse stecken geblieben, weil von dem einen die ganze Familie ermordet worden war, und ich fragte mich, was kann ich dem denn eigentlich sagen, der kommt hierher, um sich Rat zu holen? Trotzdem haben wir dann weitergeredet, und dann stellte sich verblüffend heraus: Es sind immer dieselben Fragen, auch wenn die Diktaturen verschieden waren. Was brauchen die Opfer? Was machen wir mit den Tätern? Wie kommen wir an die Wahrheit?"
    Die friedliche Revolution, der Mauerfall und die Aufarbeitung der SED-Diktatur als Erfahrungsschatz für die Opfer anderer Gewaltregime. Der Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk:"Da wird die DDR als abgeschlossener Sammelgegenstand noch lange interessant bleiben, weil man eben auch so einen guten Zugang zu Quellen hat. Was hält so eine Diktatur im Inneren zusammen? Wenn das so einfach war, das Ding über den Jordan zu kippen, warum habt ihr das nicht noch 1958 gemacht? Und da wird das natürlich interessant für die heutige Zeit."
    Der Nachmittag der Anrainer ist so unterschiedlich wie die Gastgeber. In der Akademie der Künste liest die Schriftstellerin Marie-Luise Scherer aus ihrer literarischen Reportage "Die Hundegrenze". Darin erzählt sie von der ostdeutschen Grenze - aus der ungewöhnlichen Perspektive der Wachhunde und ihrer patrouillierenden Herrchen. Im Informationsbüro des Europäischen Parlaments diskutieren junge Menschen, alle 1989 geboren, unter anderem über Jugendarbeitslosigkeit. Politiker antworten, so wie Michael Roth, Staatsminister für Europa im Auswärtigen Amt. Der fordert, junge Leute nach Deutschland zu holen.
    "In Griechenland wurde ich für diesen Satz kritisiert, weil mir die Politiker sagten, ihr raubt uns die jungen Leute. Hier werde ich dafür kritisiert, weil mir vorgeworfen wird, tu doch erst einmal was für die jungen Leute hier. Aber ein Europa ohne Grenzen, vor allem auch in Hinblick auf Arbeitnehmerfreizügigkeit, ist einer der zentralen Errungenschaften."
    Und so spielt das Programm der "Pariser Platz-Nachbarn" sämtliche Bedeutungen von Mauern und Barrieren durch. Im Allianz Forum halten Start-Up-Unternehmer Vorträge über Car-Sharing oder günstiges Möbel-Design. Wie das zum Programm passt? Die Denker innovativer Ideen haben Mauern im Kopf überwunden, finden die Veranstalter. Ein roter Faden zieht sich nicht durch den Nachmittag. Aber die Anrainer zeigen erstmals, welches Potenzial zum Think-Tank dieser Zusammenschluss haben könnte. Weitere jährliche Veranstaltungen sind geplant.