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28. Filmfestival Cottbus
Widerspenstigkeit aus Osteuropa

Das 28. Filmfest in Cottbus zeigt eine Reihe mutiger Filme, die den aktuellen Populismus zum Thema haben. Systemkritik zu üben, habe in osteuropäischen Ländern lange Tradition, sagte Festivaldirektor Bernd Buder im Dlf. "Man ist da teilweise sogar etwas weiter als westeuropäische Filmemacher."

Bernd Buder im Corsogespräch mit Adalbert Siniawski | 06.11.2018
    Ein Mann steht an einem Lastwagen: Szene aus dem Film "Teret - Die Fracht" vom serbischen Regisseur Ognjen Glavonić
    Szene aus dem Film "Teret - Die Fracht" vom serbischen Regisseur Ognjen Glavonić (Tatjana Krstevski)
    Adalbert Siniawski: Die Länder Osteuropas haben vor 30 Jahren den Wandel vom Kommunismus zur Demokratie eingeleitet - weitgehend erfolgreich - mit dem Ziel einer freien Gesellschaft. Im Jahr 2018 scheint sich das Rad der Freiheit aber zurückzudrehen - siehe Ungarn, Polen, Bulgarien und so weiter. Und so will sich das Festival für den osteuropäischen Film in Cottbus mehr denn je gegen die Polarisierung des politischen Diskurses in Zeiten des Populismus stemmen, wie es heißt. Die 28. Ausgabe des Filmfestivals Cottbus zeigt ab heute und bis Sonntag rund 220 politisch bewegte Filme aus Osteuropa. Bernd Buder ist der Festivaldirektor - und ich habe ihn gefragt, welche Positionen die Filmemacher und Filmemacherinnen in der Wettbewerbskategorie "Spielfilm" zum Beispiel einnehmen?
    Bernd Buder: Also im osteuropäischen Kino das hat ja eine große Tradition, die Situation in der Gesellschaft kritisch zu hinterfragen, zu beleuchten - und das auch psychologisch sehr tiefgehend zu machen. Beispiel wäre dieses Jahr ein Film aus Serbien, "The Load" - die Ladung - von Ognjen Glavonić, hatte Premiere in Cannes. Das ist ein Film, da geht es um die Vergangenheitsbewältigung des Kosovokriegs, es geht um die Massaker an den Albanern damals im Kosovo, verübt im Namen Serbiens, und es geht um einen mitteljungen Mann, der seine Familie versorgen muss und irgendwie Ende der 90er-Jahre in diesen Krieg gerät und einen Job bekommt, wo er an dem Krieg teilnimmt als Mitwisser - vielleicht sogar als Mittäter -, aber das irgendwie austarieren muss mit seinem Familienleben, dadurch natürlich an einen enormen Gewissenskonflikt gerät. Es ist ein bisschen beispielhaft für die Gewissenskonflikte eines ganzen Landes.
    Anderes Beispiel wäre vielleicht der polnische Film wie "Via Carpatia". Ein Mittelschichtspärchen, das den Vater der Frau - der Syrer ist und illegal aus Syrien über die Grenze möchte als Flüchtling. Die sollen den an der Grenze zu Mazedonien-Griechenland abholen, empfangen. Er kommt nicht irgendwie, schafft er es nicht, und dann entscheiden sich beide so ganz lapidar: "Okay, wir verwenden unser Geld, das wir dafür bekommen haben, für einen Griechenlandurlaub. Also zeigt so ein bisschen, wie uns diese sogenannte Flüchtlingskrise dann in der Mittelschicht in Europa auch irgendwann wieder egal wird."
    "Klischees, in denen wir allgemeinen Osteuropa beschreiben"
    Siniawski: Also: Welchen Mut, welche Wirkung Filme aus Osteuropa haben, das kann man ja auch aktuell im Kino sehen, im polnischen kirchenkritischen Film "Kler" - oder "Klerus". Wojciech Smarzowski zeigt da schonungslos die Abgründe in der katholischen Kirche in Polen - preisgekrönt, einer der meist gesehenen Filme seit 1989. Das zeigt uns - auch ihre Beispiele: Es gibt Freiraum für gesellschaftskritische Filme in Osteuropa. Wo wir doch gerade denken, die Freiheit wird immer mehr eingeschränkt.
    Buder: Na ja, ich glaube es gibt einfach eine unglaublich lange Tradition der Widerspenstigkeit, das ist halt Osteuropa. Jahrelang hatte man mit Zensur zu kämpfen, mit Zensoren zu kämpfen, und jahrelang haben es Filmemacher trotz allem immer geschafft, sich meistens zwischen den Zeilen, aber dann doch immer wieder sehr deutlich und sehr schnell verständlich fürs Publikum, Kritik anzubringen an der Regierungspraxis, am Sozialismus, an der Funktionsweise des Sozialismus - und diese Tradition möchten osteuropäische Filmemacher auf keinen Fall aufgeben. Und man ist da teilweise auch sogar etwas weiter, finde ich, als westeuropäische Filmemacher. Die Kritik, die in Osteuropa geübt wird in den Filmen, die ist ja nie so überdeutlich, nie mit dem Zeigefinger. Es geht immer um persönliche Befindlichkeiten und damit gibt es auch einen unglaublich hohes Identifikationspotenzial."
    Siniawski: Kommen wir noch einmal auf ihr Festival generell zu sprechen. In der Ankündigung hieß es bei der Vorstellung des Programms, hier werden "Vorurteile wegdiskutiert und auf Augenhöhe über Ähnlichkeiten und Unterschiede von Weltsichten aus Ost und West geredet". Das klingt nach einer schönen Utopie.
    Buder: Ja, da arbeiten wir seit 1991 dran, also das Festival gegründet worden ist. Wir beobachten immer wieder - und ich beobachte es auch in Gesprächen mit engen Kollegen, guten Freunden -, dass über Osteuropa viele Klischees existieren. Es ist düster, es wird viel getrunken, Kriege, Arbeitslosigkeit, Spiritualität auch. Viele Klischees treffen zu, Klischees sind nicht ganz unbegründet, aber auf der anderen Seite, wenn man diese ganze Bandbreite Osteuropas sieht, wenn man die Größe dieses halben Kontinents sieht - von Zentralasien bis an die Oder und auf der anderen Seite vom Baltikum bis zum Balkan - sieht man doch, wie vielfältig das ist und wie kulturell reich auch, und dass eben die Klischees, in denen wir allgemeinen Osteuropa beschreiben, nicht zutreffen und dass man unbedingt dahinter gucken muss, um auch die Gesellschaften zu verstehen."
    "Cottbus bietet eine Möglichkeit, frei zu sprechen"
    Siniawski: Aber diese Weltsicht oder diese Klischees zu verändern, warum sollte Ihrem Festival gelingen, was der Politik nicht gelingt?
    Buder: Ich denke, wenn man Filme guckt, da taucht man nochmal ganz anders ein. Klar, der Politik gelingt es nicht unbedingt, es ist manchmal einer Kultur einfacher miteinander ins Gespräch zu kommen, weil man muss, wenn man urteilt über das eigene Land ... man muss keine Rücksprache halten mit politischen Akteuren, man kann einfach von der Leber freireden. In Osteuropa gibt's ja auch diese wunderbare Kultur, mit sehr viel schwarzem Humor und Sarkasmus über das eigene Land zu reden. Cottbus bietet ja auch für Regisseure aus Ländern, wo die politische Zensur wieder im Kommen ist oder traditionell stark ist, eine Möglichkeit frei zu sprechen.
    Wir haben noch länger mit Bernd Buder gesprochen - hören Sie hier die Langfassung des Corsogesprächs
    Siniawski: Aber was bietet es den Cottbuserin und Cottbusern? Neben Chemnitz und anderen Städten hat diese Stadt ja in diesem Jahr für abschreckende Schlagzeilen gesorgt: Gewalt gegen Flüchtlinge, Gewalt unter Flüchtlingen natürlich auch, Aufmärsche auf den Straßen. Der Bundespräsident sprach in Cottbus von einer "Tendenz zur Verrohung und Entsolidarisierung in unserem Land". Denken Sie manchmal: Wie lange können wir das Filmfest hier überhaupt noch durchführen? Ist die Stimmung dafür nicht gerade dabei zu kippen - gegen diese Weltoffenheit und Toleranz und das Aufeinanderzugehen?
    Buder: Na ja wir machen es ja gerade dafür, für die Weltoffenheit, diesen Dialog zu fördern, den zu zeigen. Der Dialog muss auf jeden Fall weitergehen, und den Rückhalt, den wir in der Stadt bekommen durch verschiedenste Initiativen, durch unser Publikum - wir hatten letztes Jahr 21.000 Besucher.
    Siniawski: Aber sind die Liberalen und Osteuropa-interessierten, oder?
    Buder: Grundsätzlich sprechen wir alle an. Ich glaube, es ist schwierig, da zu trennen. Cottbus ist eine kleine Stadt, das Filmfestival Cottbus ist ein Leuchtturmprojekt, das heißt, es hat eine unglaublich große Anziehungskraft und ich gehe mal davon aus, dass im Publikum auch Leute sitzen, die die AFD wählen - ob sie dies offen tun oder nicht, weiß ich nicht, kann ich Ihnen nicht sagen. Aber das Interesse am Austausch mit Osteuropa ist jedenfalls groß, also das ist unser Beitrag zur Vielfaltdiskussion und unser Beitrag zu zeigen: In Europa gibt es nicht nur eine Sprache, nicht nur eine Kultur oder eine sogenannte Leitkultur, und das auch zu verdeutlichen. Wir haben ja auch diese Reihe, die sich bewusst "Heimat" nennt, um diesen Begriff nicht nur den Rechten zu überlassen. Diese Reihe beschäftigt sich mit der sorbisch-deutschen Identität von Cottbus. Cottbus ist ja eine zweisprachige Region, es gibt Sorben - also slawischstämmige Leute - und Deutsche. Und von daher ist es an sich dafür gemacht, Vielfalt zu tolerieren, auszuhalten - und vor allen Dingen auch zu propagieren.
    Siniawski: Bernd Buder, Programmdirektor des heute beginnenden 28. osteuropäischen Filmfestivals in Cottbus. Vielen Dank Ihnen für den Einblick und den Überblick.
    Buder: Dankeschön, danke Ihnen für die Fragen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.