Die "Gesänge aus der Gefangenschaft" sind die Vorstufe zur fünf Jahre später begonnenen Arbeit an seiner wohl bedeutendsten Oper "Il Prigioniero", der Gefangene, 1950 in Florenz uraufgeführt. Seine Diktaturerfahrungen spiegeln sich noch später in zwei anderen Bühnenwerken über göttliche Dulder: im "Hiob" von 1950 und im "Ulisse", dem homerischen Odysseus, 1968 von Lorin Maazel in Berlin uraufgeführt.
Italiens Diktatur bis 1945 war gemildert durch Schlamperei. Dallapiccola, geistig in der inneren Emigration, kam in groteske und paradoxe Situationen: Während sich Laura verstecken musste, um nicht in einem Vernichtungslager zu enden, erhielt ihr Mann zu repräsentativen Anlässen, selbst nationalsozialistischen Staatsbesuchen in Florenz, Einladungen für zwei Personen - auch für sie. Vom Kultur- und Erziehungsminister Bottai wird Dallapiccola sogar zum Professor ernannt.
Nach der Katastrophe des Krieges, als Europas Kulturleben wieder von vorne begann, war Dallapiccolas große Zeit. Zwar warf man seinem "Ulisse" mangelnde Bühnenwirksamkeit vor, seinen "Canti di liberazione", den Gesängen der Befreiung nach jenen der Gefangenschaft, mangelnde Unmittelbarkeit.
Aber sein vergleichsweise nicht sehr umfangreiches Werk - vier Bühnenwerke, zwei Dutzend weitere Chor- und Vokalwerke und ein Dutzend Instrumentalkompositionen - ist so streng, so reich und vielschichtig wie nur eines. Selbst noch seine ganz späten Werke zeigen eine nicht nachlassende Schöpferkraft, so der bewegende "Commiato", der Abschied, für Sopran und Kammerensemble, 1972 für das Grazer Musikprotokoll komponiert, drei Jahre vor seinem Tod. So schloss sich der Kreis: In Graz wurde der kleine, reservierte und noble Mann für sein Gesamtwerk geehrt wie nie zuvor, in der Stadt, in der er als Kind so gelitten hatte.