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30 Jahre nach Atomkatastrophe
Tschernobyl wird eingesargt

Der havarierte Atomreaktor in Tschernobyl bekommt eine neue Schutzhülle. Sie soll einen Betonsarkophag ergänzen, der nach der Kernschmelze 1986 eilig errichtet wurde und brüchig ist. Der Mantel soll in einem spektakulären Manöver ab heute 250 Meter weit über den Meiler geschoben werden. Das dauert bis Ende des Monats.

Von Florian Kellermann |
    Die Schutzhülle für den Atommeiler ist eine 110 Meter hohe geschwungene Dachkonstruktion
    Die Schutzhülle soll langsam über den havarierten Atommeiler geschoben werden. (picture alliance / dpa / Sputnik)
    Direkt neben dem Unglücksreaktor ist in den vergangenen vier Jahren eine monströse Konstruktion entstanden. Ihre Grundfläche entspricht der von sechs Fußballfeldern. In einer Bogenform schwingt sich das Stahlgerüst 110 Meter in die Höhe. In den beiden Tagen wird es sich Zentimeter für Zentimeter über den ehemaligen Block vier des stillgelegten Atomkraftwerks in Tschernobyl schieben, dafür wurden spezielle Schienen konstruiert.
    Der leitende Ingenieur des Projekts, Wolodymyr Kaschtanow:
    "Die Konstruktion entspricht höchsten Anforderungen. Sie hält einem Erdbeben der Stärke sechs stand und einem Tornado der Stufe drei. In der Ukraine wurde bisher kein Objekt nach so strengen Richtlinien gebaut."
    Das französische Konsortium, das die Bauarbeiten leitet, garantiert, dass der neue Schutzmantel mindestens 100 Jahre halten wird. Er erfüllt zwei Zwecke: Zum einen verhindert er, dass Radioaktivität in die Atmosphäre gelangen kann. Der alte Sarkophag aus Beton, der vor 30 Jahren eiligst über den Unglücksreaktor gelegt wurde, ist brüchig.
    Neuer Sarkophag kostet 2,1 Milliarden Euro
    Zum anderen ist die neue Stahlkonstruktion innen mit Spezialkränen ausgestattet. Sie sollen es möglich machen, den Reaktor zu öffnen und ihn nach und nach zu dekontaminieren. Im Reaktor liegen noch rund 200 Tonnen hochradioaktives Uran. Ebenfalls auf dem ehemaligen AKW-Gelände entsteht derzeit ein Zwischenlager für Atommüll.
    Insgesamt kosten der neue Sarkophag und ihn begleitenden Maßnahmen in Tschernobyl 2,1 Milliarden Euro. Der Großteil der Mittel kommt von den G7-Staaten, auch Russland hat sich beteiligt. Ursprünglich war die Ukraine von einem Drittel der Summe ausgegangen.
    Mit dem neuen Sarkophag werde es bald auch wieder möglich sein, das Gelände des ehemaligen Kraftwerks zu nutzen, meint Umweltminister Ostap Semerak:
    "Wir wollen, dass aus der Sperrzone um das Kraftwerk eine Region mit Perspektiven wird. Hier kann sich die ukrainische Wissenschaft entwickeln, wir können hier alternative Energiequellen schaffen. Auch die touristische Nutzung wollen wir vorantreiben und untersuchen gerade, was wir tun müssen, damit das keine Gefahren mit sich bringt."
    Kritik an Nutzung der Sperrzone
    Ein chinesisches Unternehmen sei bereit, in eine Anlage für Solarenergie in Tschernobyl zu investieren, so Minister Semerak.
    Einige Wissenschaftler sehen jedoch die Pläne, das Gelände und die Sperrzone wirtschaftlich zu nutzen, kritisch. Vor allem die Gedankenspiele, dort Landwirtschaft anzusiedeln - wie in den ebenfalls stark kontaminierten Gegenden in Weißrussland - hält der Mediziner und Strahlenforscher Witaliy Korsun für unverantwortlich:
    "Manche sagen, wir sollten dort Mais anbauen. Aber die Menschen, die dort arbeiten, wären auf Dauer einer zu hohen Strahlung ausgesetzt. Dort gibt es ja nicht nur Cäsium, sondern auch Plutonium und Uran. Man sollte das Ganze noch mindestens einige Jahrzehnte in Ruhe lassen. Die Natur wird sich selbst reinigen."
    Bei all dem immer stärker in Vergessenheit geraten diejenigen, die vor 30 Jahren die Folgen der Katastrophe beseitigten und dabei ihr Leben riskierten. Zigtausende von ihnen sind bereits gestorben. Vor wenigen Tagen versuchten einige der sogenannten "Liquidatoren", das ukrainische Parlament zu stürmen. Sie forderten, dass ihnen eine Sonderrente, die ihnen von den Abgeordneten gestrichen wurde, wieder ausbezahlt wird.