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30 Jahre nach dem Mauerfall
Verhaltener Optimismus im Jahresbericht zur Deutschen Einheit

Jedes Jahr bietet der Bericht zur Deutschen Einheit eine Bestandsaufnahme der Regierung zur Angleichung der Lebensverhältnisse in Ost und West. Die aktuelle Bilanz fällt grundsätzlich positiv aus. Die Löhne und Renten in den ostdeutschen Bundesländern etwa sind überproportional gestiegen.

Von Volker Finthammer | 25.09.2019
Ein Passant geht an einem Wandbild mit der deutschen Nationalflagge und dem Schriftzug "Ossi oder Wessi?" vorbei.
Auf gutem Wege? 30 Jahre nach dem Mauerfall (dpa/ Rainer Jensen)
Jahr für Jahr reihen sich die Berichte zur Deutschen Einheit aneinander. Der heute von Christian Hirte vorgelegte ist bereits der 23. in Folge, wobei der Grundtenor über die Jahre tatsächlich weitgehend identisch geblieben ist. Wirtschaftlich geht es bergauf, wenn auch in den letzten Jahren deutlich schneller als in den ersten beiden Jahrzehnten nach der Wende, aber in den Köpfen der Menschen spiegelt sich nach wie vor ob der realen Unterschiede zwischen Ost und West ein anderes Bild wieder.
So sehen sich im 30 Jahr nach dem Fall der Mauer 57 Prozent der Ostdeutschen als Bürger zweiter Klasse an, etwa wegen der nach wie vor bestehenden Unterschiede bei den Löhnen und Gehältern, den Renten und der Tatsache, dass der Osten in vielen gesellschaftlichen Bereichen bis hin in die Führungsetagen der Wirtschaft oder auch der Politik unterrepräsentiert ist.
Handlungsempfehlungen an die Bundesregierung
Um dem zu begegnen, hat das Bundeskabinett heute neben dem Bericht zugleich zwölf Handlungsfelder beschlossen, von der Gesundheitsvorsorge im ländlichen Raum, über die weitere Aufarbeitung der SED-Vergangenheit bis hin zum dem Ziel, mehr Bundesverwaltungen in den ländlichen Regionen Ostdeutschland anzusiedeln, um die Bedingungen zu verbessern.
Danach gefragt, was davon ihm am wichtigsten ist, verweist der Ostbeauftragte Christian Hirte auf die neue Kommission "30 Jahre deutsche Einheit", die sich in diesem und im kommenden Jahr explizit dem Dialog mit den Bürgern widmen soll, um über die Unterschiede und wahrgenommenen Ungleichbehandlungen ins Gespräch zu kommen. Die darauf achtet, auch wissenschaftlich validiert, wie die Probleme in der Gesellschaft sind und daraus auch Handlungsempfehlungen an die Bundesregierung entwickeln soll. Darauf hat am Morgen im ZDF auch der Ministerpräsident von Sachsen Anhalt, Rainer Haselhof, hingewiesen:
"Wir sollten jetzt den 30. Jahrestag des Mauerfalls und auch der Wiedervereinigung nächsten Jahr dafür nutzen, um wieder enger zusammenzurücken. Besuche organisieren, Menschen reden lassen, aber eben auch die reden lassen, die bisher kaum eine Rolle gespielt haben. In der Literatur, aber auch im Film und so weiter. Und jetzt muss man sehen, dass man trotz aller europäischen und weltweiten Probleme auch diesen einen Zusammenhang weiter organisieren hilft."
Diskussion über Wirken der Treuhand
Daneben aber kommt es für den Ostbeauftragten Christian Hirte, der ja im Bundeswirtschaftsministerium angesiedelt ist, auch auf eine weitere gezielte wirtschaftliche Förderung an, nämlich besonders dort, wo sich innovative Tendenzen und Entwicklungen abzeichnen, um darüber verstärkt die Gründergeneration in den ostdeutschen Bundesländern zu stärken.
Dabei verweist der Bericht einmal mehr auf den erheblichen Aufholprozess gerade in den vergangenen Jahren. Löhne und Renten sind überproportional gestiegen. Die verfügbaren Einkommen seien - wegen der niedrigeren Lebenshaltungskosten - auf einem vergleichbaren Niveau mit dem Westen. Aber zugleich bleiben die strukturellen Unterschiede bestehen. Also etwa die Kleinteiligkeit der ostdeutschen Wirtschaft, der Mangel an Konzernzentralen großer Unternehmen und die überwiegend ländlich geprägte Siedlungsstruktur. Dazu kommt die Abwanderung vieler junger Menschen nach der Wende, die jenseits der großen Städte bis heute anhält und zu einer unausgeglichenen Altersstruktur geführt hat.
Auf der anderen Seite beugt Hirte aktiv möglichen Geschichtsklitterungen vor, etwa dem Vorstoß der Linken, die einen Treuhand-Untersuchungsausschuss einsetzen will, um die westdeutschen Übernahmestrategien nach der Wende herauszuarbeiten.
Man muss sich eben vor Augen halten, dass ein Großteil der Schwierigkeiten, die wir heute nach wie vor haben, etwa auch mit einer unterschiedlichen Wirtschaftsstruktur, ihre Ursache nicht in einer verfehlten Politik ab 1990 hat, sondern im wesentlichen natürlich aus der Politik vor 1989 und 1990.
Der Fraktionschef der Linken, Dietmar Bartsch, hatte erklärt, der Schaden, den die Treuhand angerichtet habe, sei bis heute eine wesentliche Ursache für den ökonomischen Rückstand des Ostens und für politischen Frust. Bislang aber wird der Ruf der Linken nach einem Untersuchungsausschuss nur von der AfD unterstützt.