Freitag, 19. April 2024

Archiv

365-Euro-Ticket
Wien fährt Bahn statt Auto

In Deutschland wird noch darüber diskutiert, in Wien gibt es bereits seit 2012 das 365-Euro-Ticket. Mit einem Euro pro Tag kann man in Wien im gesamten Stadtgebiet Bus und Bahn fahren. Und das funktioniert: Inzwischen gibt es dort mehr Jahreskartenbesitzer als angemeldete Autos.

Von Srdjan Govedarica | 09.09.2019
Eine Straßenbahn vor der Staatsoper in Wien
Eine Straßenbahn vor der Staatsoper in Wien (picture alliance/Dumont Bildarchiv/Toni Anzenberger)
Mit der U-Bahn fahren – das Auto stehen lassen. Was in diesem Werbespot der Wiener Linien in Neue-Deutsche Welle Sounds verpackt ist, ist für viele in der Stadt Realität. Denn die meisten Wiener sind mit ihren Verkehrsbetrieben sehr zufrieden. Dieser Student, fasst zusammen, was viele in der Stadt denken. Er findet es sehr gut, "dass man in Wien von jedem Punkt zu jedem anderen Punkt kommt ohne Probleme durch die öffentlichen Verkehrsmittel, und dass man nicht auf das Auto angewiesen ist". In Umfragen zeigen sich laut Wiener Linien bis zu 99 Prozent der befragten Fahrgäste zufrieden mit dem Angebot. Und auch bei den Fahrgästen der U-Bahn-Linie 1, die gerade am Wiener Stephansdom um- und aussteigen, fällt das Urteil fast unisono aus: "Sehr zufrieden".
Nicht nur der Preis ist entscheidend
Es ist zum einen der sehr günstige Preis für das Jahresticket, der die Wiener Linien so attraktiv macht. Seit 2012 kostet es für das gesamte Stadtgebiet 365 Euro – also einen 1 Euro für jeden Tag, wie es im griffigen Werbeslogan des Unternehmens heißt. In vielen deutschen Städten muss man für ein vergleichbares Ticket mehr als das Doppelte bezahlen. Doch der Preis ist nur das eine - sagt Wiener-Linien-Sprecherin Kathrin Liener:
"Es muss natürlich auch das Angebot stimmen. 96 Prozent der Wienerinnen und Wiener haben eine Haltestelle in Gehweite, also sprich binnen 500 Metern. Und wir glauben, dass dieser Mix aus Preis und Angebot sehr gut von den Wienern angenommen wird."
Das günstige Ticket war eine politische Entscheidung der rot-grünen Wiener Stadtregierung. Bei der Vorstellung der Tarifreform formulierte die damalige Grüne Vizebürgermeisterin Maria Vassiliakou das folgende Ziel:
"Uns geht es darum, so viele Wienerinnen und Wiener wie möglich davon zu überzeugen, dass es eine hervorragende Idee ist, das Auto stehenzulassen und auf die Öffis umzusteigen."
Für die Stadt nicht ganz billig
Der Plan scheint aufzugehen. Seit der Einführung des Jahrestickets für 365 steigen die Fahrgastzahlen jedes Jahr. Mehr als 820.000 Menschen haben inzwischen das Jahresticket gekauft, sagt Wiener-Linien-Sprecherin Kathrin Liener. "Damit haben wir seit 2015 mehr Jahreskarten Besitzer in der Stadt als angemeldete Autos."
Die Stadt Wien lässt sich das auch einiges Kosten. Die Ticket- und Mieteinnahmen der Wiener Linien decken noch nicht einmal die Personalkosten der fast neuntausend Mitarbeiter. Die Stadt Wien schießt jedes Jahr zu, im Schnitt rund eine halbe Milliarde Euro. Markus Gansterer ist Experte beim Verkehrsclub Österreich, der sich für ein ökologisch verträgliches Verkehrssystem einsetzt. Der öffentliche Nachverkehr spiele in Wien eine zentrale Rolle, sagt er:
"Wien hat ja glücklicherweise eine sehr gute Basis, und die auch ausgebaut in den letzten Jahrzehnten. Der Anteil von Wegen, die die Wienerinnen und Wiener mit dem Auto oder mit dem öffentlichen Verkehr zurücklegen, hat sich seit den 90er Jahren gedreht. Heute werden fast 40 Prozent aller Wege in Wien mit dem öffentlichen Verkehr zurückgelegt und weniger als 30 Prozent mit dem Auto."
Keine Anti-Auto-Stadt
Doch das Auto hat in Wien längst noch nicht ausgedient. Markus Gansterer vom VCÖ möchte Wien jedenfalls nicht als autofahrerfeindlich bezeichnen:
"Nein - ich würde sogar sagen: im Gegenteil. Bei den großen Veränderungen, die wir in der Mobilität in Wien sehen, werden zwar mutige Schritte gemacht, aber eigentlich selten etwas, wo dem Auto etwas weggenommen wird. Selbst wenn es fünf oder zehn Parkplätze sind, die für einen Radweg oder eine Kreuzung aufgegeben werden müssen, gibt es schon großen Protest."