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"50 Jahre NASA bedeutet auch 50 Jahre besseres Verständnis für die Erde"

Harro Zimmer, Autor und Wissenschaftsjournalist, konstatiert der Nasa ein gewisses Erstarren. Man verdanke ihr aber viel nützliche Technik, beispielsweise zur satellitengestützten Klimaüberwachung. Die Raumfahrt müsse daher weiter gefördert werden, um unser Universum zu erkunden, so Zimmer. Eine bemannte Mars-Mission sei das Ziel.

Harro Zimmer im Gespräch mit Sandra Schulz | 01.10.2008
    Sandra Schulz: 50 Jahre NASA-Geschichte waren das im Zeitraffer. Und in Berlin ist mir nun der Kollege zugeschaltet, den wir eben auch schon in dem kurzen Ausschnitt gehört haben: der Wissenschaftsjournalist Harro Zimmer. Guten Morgen!

    Harro Zimmer: Guten Morgen!

    Schulz: Herr Zimmer, 50 Jahre, die erst der Anfang waren. Was bringen denn dann die nächsten 50 Jahre?

    Zimmer: Das ist natürlich eine gute Frage und man muss natürlich weitestgehend spekulieren. Was die nächsten zehn Jahre bringen, können wir in etwa abschätzen. Das ist einmal Amerikas Rückkehr zum Mond - zunächst unbemannt mit neuen Techniken, mit neuem Fluggerät, aber mit dem langfristigen Ziel, sagen wir, um 2017, 2018 wieder Menschen auf den Mond zu bringen, nicht nur für eine kurze Stippvisite, sondern für längere Aufenthalte als Grundlage für die Errichtung einer permanenten Station. Wir werden weiter in den nächsten fünf, sechs Jahren erleben, dass eine neue Generation von Trägerraketen und Raumschiffen entsteht, die sowohl in Richtung internationaler Raumstation fliegen können, aber eben auch weiter den Schritt zum Mond, den bemannten Schritt zum Mond möglich machen. Last but not least: das langfristige Ziel wird natürlich ein Besuch, ein bemannter Besuch auf dem roten Erdennachbarn Mars sein. Wann der stattfindet, wird ein wenig davon abhängen, was wir in den nächsten Jahren an sensationell Neuem über Mars erfahren. Wenn wir etwas Bemerkenswertes finden, beispielsweise Mikroben oder Hinweise, dass es in historischer Zeit irgendwann einmal Leben auf dem Planeten gegeben hat, dürfte es relativ schnell gehen. Aber so wie es im Augenblick aussieht, müssten wir uns an der Zeitachse etwa bis in das Jahr 2030 entlang hangeln. Das ist in etwa die Perspektive.

    Schulz: Der Astrophysiker Harald Lesch spricht ja von einem Himmelfahrtskommando mit Blick auf die Mars-Mission. Zurecht?

    Zimmer: Da hat er durchaus Recht. Das ist nämlich eine zeitlich sehr lange Mission. Bei den bisherigen Transporttechniken brauchen wir für eine Mission hin und zurück mindestens eineinhalb Jahre, wenn nicht bis zwei Jahre. Technisch halte ich das durchaus für realisierbar. Die Probleme werden vorwiegend beim Menschen angesiedelt sein, psychologische Probleme, denn die Nabelschnur zur Erde ist ja dann unterbrochen. Das heißt also, man kann nicht so ohne weiteres zurück. Man kann nicht ohne weiteres von der Erde aus irgendwelche technische Hilfe leisten, es sei denn in Form von Software und dergleichen mehr. Es ist eine schwierige Geschichte. Dann kommt die mögliche Strahlenbelastung bei einem solchen Langzeitflug hinzu. Also es ist nicht ganz ohne Risiko. Aber wenn wir überlegen, und da wir über 50 Jahre NASA sprechen: Ende der 60er Jahre war man noch felsenfest davon überzeugt, dass der nächste Schritt bemannt zum Mars führen würde. Wernher von Braun und andere hatten ja entsprechende Pläne und hatten das für Anfang der 80er Jahre angepeilt.

    Schulz: Was wollen wir Menschen überhaupt auf dem Mars?

    Zimmer: Das ist auch eine gute Frage, über die man allzu trefflich streiten und diskutieren kann. Der Mars ist natürlich ein toter Himmelskörper. Das wissen wir seit Viking 1976 etwa die ersten Grabungen und biologischen Untersuchungen dort vorgenommen haben. Aber langfristig könnte der Mars so etwas wie ein Ausweichdomizil für die Erdenbürger sein. Auf dem Mars gibt es Wasser in Form von Eis. Der Mars hat eine zwar dünne Atmosphäre, aber er ist "leichter wohnlich" zu machen als zum Beispiel der Mond und vielleicht finden wir ja doch etwas, wenn wir tief genug graben und bohren. Und wenn wir Leben - und wenn es lange tot ist - auf dem Mars finden, hat das auch erhebliche philosophische und weltanschauliche Bedeutung.

    Schulz: Welche Antworten sind im Weltall auf irdische Fragen zu finden?

    Zimmer: Ich glaube, eine ganze Menge. Ich kehre mal zu einem ganz simplen Beispiel zurück. 50 Jahre NASA bedeutet auch 50 Jahre besseres Verständnis für die Erde. Die NASA hat ja nicht nur nach den Sternen gegriffen, sondern hat eigentlich alle Techniken, die wir heute verwenden, von der Meteorologie bis zur Kommunikation und Navigation, auf den Weg gebracht. Wir überwachen heute mit Hilfe von NASA-Satelliten, aber natürlich auch mit denen von Europäern und anderer Staaten die globale Umwelt in all ihren Facetten. Und wenn wir zum Beispiel von Klimaproblemen reden, bietet die Weltraumtechnik, die die NASA initiiert hat, die Möglichkeit, diese Probleme zu erkennen und vielleicht auch zu managen. Aber die tieferen Antworten im Weltall sind natürlich die: sind wir allein im Universum? Haben wir tatsächlich eine Sonderstellung? Oder ist Leben, intelligentes Leben auf der Erde nur eine Facette unter vielen?

    Schulz: Wenn wir jetzt den Blick zurückwerfen, dann liegt die letzte große Sensation ja mit der Mondlandung 1969 schon rund 40 Jahre zurück. Könnte es auch sein, dass die NASA in der Midlife-Crisis steckt?

    Zimmer: Na ja, die NASA muss sich eigentlich wieder auf ihre eigentlichen Aufgaben besinnen. Sie muss vielleicht auch von der Bürokratie etwas abspecken und wieder selbst sozusagen an der Spitze der Raumfahrt marschieren. Von einer Midlife-Crisis würde ich nicht reden, aber von einem gewissen Beharren, einem gewissen Erstarren. Und bedenken Sie eines: Wir reden ja im Augenblick von der weltweiten Wirtschaftskrise, vom Irak-Krieg, und reden über Summen von vielen Hundert Milliarden Dollar, die dort nach draußen gehen oder verbrannt werden. Bei der NASA streitet man sich darüber, ob sie pro Jahr, was weiß ich, 17 oder 18 Milliarden Dollar bekommt. Da gibt es jedes Jahr einen Krieg und das, finde ich, ist etwas bedrückend. Man sollte eine solche Institution nicht im eigenen Saft schmoren lassen, sondern ihr die finanziellen Möglichkeiten an die Hand geben, wieder Raumfahrt bis tief in das Universum zu gestalten.

    Schulz: Heute vor 50 Jahren hat die NASA die Arbeit aufgenommen. Einschätzungen waren das dazu von dem Wissenschaftsjournalisten Harro Zimmer. Haben Sie vielen Dank.

    Zimmer: Bitte schön.