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50 Jahre Zweites Vatikanisches Konzil
"Noch viel zu entdecken"

Ob Ökumene, Laien in der Kirche, Dialog mit anderen Religionen oder Fragen des Glaubenslebens: kein Bereich, der nicht durch die Beschlüsse des Konzils berührt wurde. Vor 50 Jahren ging das Zweite Vatikanische Konzil zu Ende. Eine Bilanz mit dem Dogmatiker Jan-Heiner Türk.

Von Henning Klingen | 08.12.2015
    Papst Johannes XXIII. hält am 08.12.1962 im Petersdom eine Abschlussrede zum Ende der ersten Konzilsperiode des Zweiten Vatikanischen Konzils
    Johannes XXIII. hat bei der Ankündigung des Konzils die bewusste Einlassung auf die "Zeichen der Zeit" gefordert. (dpa / picture alliance)
    Das Konzil ist kein Zeitgenosse mehr. Es liegt nicht nur 50 Jahre zurück, seine Texte sind – liest man sie heute aus Anlass des Jubiläums neu – oft sperrig und erschließen sich nur schwer. Der Dogmatiker Jan-Heiner Tück, Professor für Theologie an der Uni Wien, befasst sich seit langem intensiv mit dem Konzil. Sein Fazit: Wer heute Kirche verstehen will, kommt nicht umhin, sich mit dem Konzil und seiner Rezeption zu befassen.
    "Wenn man die Rezeption des Konzils in groben Blöcken nachzeichnen will, kann man sagen, dass nach '65 zunächst eine Phase der Euphorie dominierte, die dann einer umso größeren Ernüchterung gewichen ist. Und seit den 90er-Jahren sind wir in einer Phase der genaueren historischen Rekonstruktion, die auch die Textgenese beachtet, und der theologischen Kommentierung. Unter Papst Franziskus gibt es jetzt nochmal neue Akzentuierungen, die bislang brach liegende Potenziale stark machen."
    Diese Potenziale sieht Tück etwa darin, dass Franziskus durch seinen Fokus auf eine "arme Kirche der Armen" bewusst einen Aspekt des Konzils aufgenommen hat, der bislang eher zweitrangig war beziehungsweise bei den zahlreichen Kommentaren zu den Konzilstexten nie im Vordergrund stand.
    "Das hat immerhin Eingang gefunden in die Kirchenkonstitution Lumen Gentium. Allerdings ist dieser Passus lange verdeckt geblieben, weil in derselben Passage die ökumenische Öffnungsklausel zu finden ist."
    Diese Öffnungsklausel bedeutet, dass das Konzil die "reale" katholische Kirche nicht mehr automatisch gleichsetzt mit der im Glaubensbekenntnis angesprochenen "einen heiligen katholischen Kirche", sondern dass die Konzilsväter davon sprechen, dass auch in anderen Kirchen Gutes, ja Heiliges vorhanden ist, das es anzuerkennen gilt.
    "Insofern hat diese Debatte eigentlich den Passus verdeckt, der geradezu prophetisch davon spricht, dass die Sendung der Kirche darin besteht, den Armen und Verfolgten beizustehen und hier in diesem Sinne eine die Grenzen aufsuchende Dynamik vollziehen solle."
    Aber auch zeigt sich in der Art und Weise, wie Papst Franziskus die Kirche derzeit nicht nur leitet, sondern umbaut, dass er im wahrsten Sinne des Wortes ein "Konzils-Papst" ist.
    "Ich nenne nur ein paar Stichpunkte: Das gemeinsame Priestertum aller Gläubigen. Oder nehmen Sie das Stichwort Synodalität, dass Kirche als Kommunikationsgefüge ganz anders funktioniert, wenn aus den unterschiedlichen kulturellen Großräumen Anregungen in die Leitung der Gesamtkirche mit einfließen, wie Franziskus das ja jetzt eingeführt hat."
    Diese Anstöße sind dem Konzil zu verdanken. Sie sind jedoch alle nicht "vom Himmel gefallen", sondern Ergebnis eines Ringens der Bischöfe am Konzil. Ermöglicht wurden diese Anstöße durch eine wichtige theologische Weichenstellung: die bewusste Einlassung auf die "Zeichen der Zeit". Johannes XXIII. hat sie bei der Ankündigung des Konzils gefordert. Umgesetzt finden sich dieses Konzept und seine weit reichenden Folgen schließlich in einem der letzten und wohl wichtigsten Konzilsdokument "Gaudium et spes".
    "Hier ist auch ein verändertes Konzept des Verhältnisses von Theologie und Pastoral leitend. Es ist nicht mehr so, dass die Theologie die Prinzipien vorgibt, die in der Pastoral einfach angewendet werden, sondern es ist so, dass die unterschiedlichen Orte von Welt selbst mit in die Bestimmung der Theologie hineingehören. Das hat weitreichende Folgen, insofern als das Dogma situativ und kommunikativ verflüssigt werden muss, um seine Relevanz angesichts sich verändernder Zeitverhältnisse zu behalten."
    Gegen eine "kommunikative Verflüssigung des Dogmas", das heißt gegen ein theologisches Ernst-Nehmen zum Beispiel der Einwände des Atheismus, haben sich nicht zuletzt die traditionalistische Piusbruderschaft, sondern auch andere restaurative Kräfte immer wieder gewandt.
    "Ich glaube, man sollte diese Erneuerungspotenziale ganz entschieden verteidigen, denn sie haben uns die Öffnung in der Ökumene, die neue Haltung zum Judentum und den nicht-christlichen Religionen, aber eben auch die erneuerte Liturgie gebracht. Das sind Früchte, die man nicht wieder missen wollte."
    Doch auch mit Blick auf die aktuellen Krisenherde – Stichwort IS-Terror – bietet das Konzil laut Tück eine Antwort – nämlich den Auftrag an die Religionen, gemeinsam nach Allianzen für Frieden und Gerechtigkeit zu suchen.
    "Ich würde zwei Impulse hervorheben wollen, die es auch heute fortzuschreiben gilt. Das eine ist die dialogische Öffnung zu den nicht-christlichen Religionen mit dem Ziel, gemeinsame Allianzen für den Frieden und die Gerechtigkeit in der globalen Welt zu bilden. Angesichts der dramatischen religionspolitischen Dimension ist das ein ganz entscheidender Auftrag. Und das zweite ist die Erneuerung der Liturgie, die eben eine sichtbare Frucht des Konzils ist."
    Gemeint ist damit die Tatsache, dass Messen heute selbstverständlich auf Deutsch beziehungsweise in den Landessprachen und nicht mehr in Latein gefeiert werden. Aber auch die neue Wertschätzung des Judentums in der katholischen Kirche, die sich etwa darin ausdrückt, dass die Texte des Alten Testaments in Gottesdiensten gelesen werden – alles Früchte des Konzils. Und so wundert es auch nicht, dass Tück die vereinzelt aufkommenden Forderungen nach einem neuen Konzil ablehnt. Zu viel gibt es noch zu entdecken im Zweiten Vatikanum. Die Rezeption – sie ist noch lange nicht abgeschlossen.