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50. Todestag
Bildhauer Gustav Seitz: der menschliche Körper als Thema

Das Grundrecht auf Kunstfreiheit gehört zu den Selbstverständlichkeiten der Demokratie. Dass das in Deutschland nicht immer so war, macht der Lebensweg des Bildhauers Gustav Seitz deutlich. Durch die NS-Diktatur hangelte er sich mit Privataufträgen, später eckte er in der DDR an. Gustav Seitz starb heute vor 50 Jahren in Hamburg.

Von Carmela Thiele | 26.10.2019
    Die Statue Flensburger Venus von Gustav Seitz ist zu sehen.
    Die Flensburger Venus schuf Gustav Seitz 1963 (imago stock&people)
    Damals standen sie für den Neubeginn, heute kennt sie so gut wie niemand mehr: die Künstler der Nachkriegszeit wie etwa Theodor Werner, Karl Hofer und Hans Uhlmann. Oder Gustav Seitz. Der Bildhauer erhielt bald nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs eine Professur an der Technischen Universität Berlin, ein Jahr später unterrichtete der damals 40-Jährige zusätzlich an der Hochschule für bildende Kunst Berlin-Charlottenburg.
    Sein Thema war der menschliche Körper, auch Porträtköpfe und Zeichnungen gehörten zu seinem Repertoire. Der Kunsthistoriker Will Grohmann schrieb 1949: "Seitz ist ein großer Könner. Schüler Gerstels wie Blumenthals, kommt er vom klassisch-statischen Körperideal der Griechen, nur dass Blumenthal viel linkischer auf die Quellen zurückging, während Seitz mit 30 Jahren fertig dastand. Das ist Glück und Verhängnis in einem. Es wird Seitz nicht erspart bleiben, durch eine gewisse Formauflösung hindurchzugehen, um zu Neuem oder Eigenem zu kommen."
    Grohmann argumentierte als Verfechter der Abstraktion, aber er traf einen wunden Punkt. Dass Seitz durchaus zu Antworten auf die Gegenwart fähig war, bewies der Bildhauer bei einer Auftragsarbeit 1946/47, dem Denkmal für die Opfer des Faschismus in Weißwasser/Oberlausitz. Es zeigt den ausgemergelten Körper eines Toten, gehalten von einer monumentalen Frauengestalt. Er verwendete das religiöse Motiv der Pietà - Maria hält den toten Christus.
    Seitz verfügte über eine besondere Sensibilität. Die hatte den 1906 in Neckarau bei Mannheim geborenen Sohn eines Stuckateurmeisters schon davor bewahrt, sich der Kulturbürokratie des Dritten Reichs anzubiedern. In einem Brief an einen Freund schrieb Seitz 1937: "Aufträge sind heute für mich ein Brechmittel, weil ich mit dem, was verlangt wird, doch nicht zurechtkomme. Führt man den Entwurf so aus, wie man selbst fühlt, so wird er abgelehnt."
    "Im Westen bekomme ich stets eine auf den Kopf"
    Sein Beharren auf persönlichen Ausdruck brachte Gustav Seitz in den 1950er-Jahren auch auf Konfrontationskurs zu den Machthabern der DDR. Zunächst hatte der neue Staat den Bildhauer umworben, mit Preisen und der Berufung an die neugegründete Akademie der Künste, die Seitz umgehend seine Professuren im Westen kostete. Mit der zunehmenden ideologischen Durchdringung des Staatswesens der DDR ging auch eine Indienstnahme der Kunst einher. Gustav Seitz schrieb 1951 in einem Brief an Anne Hentzen:
    "Es wird noch schwieriger für mich werden. Im Osten bemühe ich mich, die Moderne durchzusetzen, im Westen bekomme ich stets eine auf den Kopf. Ich habe nun Arbeiten gemacht, neue sind im Entstehen. Meine ganze Seele und Liebe wird darin sein, meine Aufrichtigkeit, Ehrlichkeit wird aus meiner Arbeit atmen."
    Spätestens seit dem Aufstand vom 17. Juni 1953, dem brutal niedergeschlagenen Arbeiteraufstand der DDR, bemühte sich Seitz mehrfach um eine Professur im Westen. Doch die Fronten des Kalten Krieges hatten sich bereits verhärtet. Seitz widerstrebte auch der offene Bruch mit der Ost-Akademie, mit Kollegen, die er schätzte: "Man möchte im Westen, dass ich zuerst mit einem politischen Knall den Osten verlasse, dann erst erhalte ich die Professur. Also man möchte aus mir einen Gauner machen, als Dank dafür gibt’s die Lehrtätigkeit. Nun, darauf verzichte ich."
    1958 schließlich gelang ihm trotz politischer Anfechtungen der Wechsel an die Hochschule der bildenden Künste Hamburg. Es folgten zwei Documenta-Teilnahmen, seine leicht abstrahierten Porträt-Köpfe von Bertolt Brecht oder Ernst Bloch gehören zu seinen besten Arbeiten. Als sein Freund Alfred Hentzen, damals Direktor der Kunsthalle Hamburg, Seitz jedoch 1968 auf die ganz große Bühne brachte, den Deutschen Pavillon der Biennale von Venedig, endete dieser Karriereschritt in einem Fiasko. Die Presse kritisierte unisono das Werk des Bildhauers als unzeitgemäß, was der Künstler als schlimmste Anfechtung seiner Person empfunden haben muss. Im Jahr darauf, am 26. Oktober 1969, starb Gustav Seitz im Alter von 63 Jahren in Hamburg.