Freitag, 26. April 2024

Archiv

50. Todestag von José María Arguedas
Die bedeutendste literarische Stimme des Quechua

José María Arguedas, einer der großen Autoren Lateinamerikas, beschäftigte sich obsessiv mit der indigenen Kultur in den Anden, beschrieb sie in zahlreichen Gedichten, Erzählungen und Romanen. Nobelpreisträger Vargas Llosa hielt ihn für den bedeutendsten Vertreter des Indigenismus.

Von Peter B. Schumann | 02.12.2019
    Der peruanische Schriftsteller José María Arguedas
    In Erzählungen, Gedichten und Romanen hat José María Arguedas den indigenen Kosmos dargestellt. Allgegenwärtig dabei: der Zusammenprall der andinen und europäischen Kultur. (imago / Zuma)
    José María Arguedas singt ein Liebeslied auf Quechua, einer der indigenen Sprachen im Andenraum. Der Peruaner war ihr erster entschiedener Förderer und ihre bedeutendste literarische Stimme.
    Für Arguedas war das Quechua neben dem Spanischen die zweite Muttersprache. Er war 1911 in dem Andenstädtchen Andahuaylas geboren und wuchs auf der elterlichen Hacienda zusammen mit den Kindern der indigenen Angestellten auf, besaß also schon früh eine affektive Beziehung zu dieser Sprache. Um die Welt der Anden, ihre Mythen und ihre Veränderungen kreist sein gesamtes Schreiben und Denken. Der Literaturwissenschaftler Marco Thomas Bosshard:
    "Alles, was Arguedas geschrieben hat, hat ganz zentral mit seinen eigenen Lebenserfahrungen zu tun. Das ist ein Fall, wo man Leben und Werk nicht voneinander trennen kann."
    Zusammenprall der andinen und europäischen Kultur
    In zahlreichen Erzählungen, Gedichten und Romanen hat José María Arguedas den indigenen Kosmos dargestellt. Allgegenwärtig ist dabei der Zusammenprall der andinen und der europäischen Kultur als sein zentrales Thema. Deshalb kritisierte er auch die leichtfertige Anpassung der peruanischen Eliten an die westliche Welt.
    "Ich bin kein Akkulturierter; ich bin ein Peruaner, der mit dem Stolz eines glücklichen Teufels sprechen kann wie ein Christ und wie ein Indio, auf Spanisch und auf Quechua."
    Der studierte Ethnologe glaubte, dass die indigene Kultur dem westlichen Fortschrittsdenken weit überlegen sei.
    "In der Technik beherrschen sie uns, wer weiß wie lange noch, aber in der Kunst können wir sie bereits zwingen, von uns zu lernen, und zwar ohne uns von hier zu entfernen."
    In seinem ersten Roman Yawar Fiesta suggerierte er 1941 am Beispiel eines andinen Rituals die potenzielle Besiegbarkeit der europäischen Kultur, wie sie die spanischen Kolonisatoren im Andenraum implantiert hatten. In seinem 1958 erschienenen autobiografischen Meisterwerk Die tiefen Flüsse gestaltete er seine frühe Lebensgeschichte zu einem interkulturellen Bildungsroman. Und 1969 beschrieb er in seinem letzten Werk Der Fuchs von oben und der Fuchs von unten die Landflucht der indigenen Bevölkerung aus den Anden in die Küstenregion und den Verlust ihrer Identität.
    "Die Zeit, die Arguedas in diesem Roman zeichnet, ist quasi der Beginn dieser modernen peruanischen Gesellschaft, in der plötzlich diese althergebrachten Anden-Kulturen, Traditionen, sich mit urbanen Kulturen durchmischen. Er ist der Erste, der das in dieser Radikalität aufgegriffen hat."
    Depressionen, Schreibblockaden, Suizidversuch
    Der Roman blieb unvollendet, denn José María Arguedas starb am 2. Dezember 1969 an den Folgen eines Suizidversuchs. Er litt sein kaum 60-jähriges Leben lang an Depressionen und hatte mehrfach versucht, sich das Leben zu nehmen. Die ausführlichen Tagebuch-Eintragungen, die er den einzelnen Kapiteln des Buches voranstellt, zeugen immer wieder von seinen Schreibblockaden und seiner Verzweiflung.
    "Ich fülle diese Seiten, weil man mir bis zum Überdruss erklärt hat, ich müsse nur wieder schreiben, dann würde ich gesund. Da ich jedoch über selbst gewählte, ausgefeilte Themen, ob kleine oder anspruchsvolle, nicht schreiben kann, werde ich über das Einzige schreiben, was mich noch reizt: dass ich es nicht geschafft habe, mich umzubringen."
    Er fühlte sich oft missverstanden und von den großen Boom-Autoren seiner Zeit nicht angemessen gewürdigt. Julio Cortázar bezeichnete ihn beispielsweise als Provinzautor, was ihn zutiefst getroffen hat. Ein anderer Peruaner allerdings erkannte seine Bedeutung.
    "Vargas Llosa selbst hat ein ganzes Buch über Arguedas verfasst: La Utopía Arcaica. Meiner Ansicht nach verfehlt er da freilich den Kern von Arguedas. Aber darum geht es gar nicht. Schon allein die Tatsache, dass jemand wie Vargas Llosa der Meinung ist, ein ganzes eigenes Buch, eine Monografie über diesen Autor José María Arguedas zu verfassen, unterstreicht, wie eminent wichtig dieser José María Arguedas für die Literatur des 20. Jahrhunderts gewesen ist."