
Doch die Feiern zum 60. offiziellen Geburtstag des Bundesnachrichtendienstes fallen klein aus. Eine Fotoausstellung in Hamburg, eine Ausstellung im Militärhistorischen Museum in Dresden - zu viel öffentliche Feierlaune erscheint der Behörde derzeit offenbar nicht angebracht.
Dabei war der Bundesnachrichtendienst in den vergangenen Monaten oft in den Nachrichten. Erst wenige Tage ist es her, da wurde Markus R. in München verurteilt. R. war technischer Sachbearbeiter beim BND – einer, über dessen Schreibtisch viele Dokumente liefen. Und R. war ein Spion – ein Spion im Bundesnachrichtendienst. Im Auftrag derer, die den BND geschaffen haben.
"Die Organisation Gehlen, die der direkte Vorläufer war, war eine amerikanische Geheimdienstgruppe mit deutschem Personal, deutschen Informanten. Organisiert, finanziert und unterstützt von erst dem amerikanischen Militärgeheimdienst, und dann später ab '49 der CIA."

"Es gibt ja diesen schönen Spruch, dass es befreundete Menschen gibt, aber keine befreundeten Nachrichtendienste. Sondern, es war ein bisschen aus der Not geboren, dass die Amerikaner so kurz nach dem Krieg schon mit zum Teil Personal aus der Wehrmacht und auch SD, SS, SA zusammengearbeitet haben, und es war immer auch ein "Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser"-Verständnis - zumindest bei den Amerikanern."
Vertrauen und Kontrolle? Nur durch Zufall flog Markus R. vor zwei Jahren auf: Er bot seine Dienste zusätzlich auch dem russischen Auslandsgeheimdienst SWR an, was die deutsche Spionageabwehr beim Verfassungsschutz mitbekam. Ein Geständnis folgte – eines, das den BND kalt erwischte: R. sagte aus, dass er 2008 angefangen habe, Dokumente an die CIA weiterzugeben und dafür nicht einmal 100.000 Euro bekam. Sein Motiv: Langeweile in der Pullacher Zentrale. Ein peinlicher Prozess für den Bundesnachrichtendienst, der Fragen aufwirft: Wer hat den Dienst und seine Mitarbeiter eigentlich unter Kontrolle, 60 Jahre nach seiner offiziellen Gründung? Oder führt der BND ein Eigenleben?
Fragen, die auch die Politik umtreiben. Ende April soll klar sein, ob der Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages ein größeres Aufgabenspektrum bekommt. Bislang untersucht er eigentlich nur die Kooperationen des BND bis zu seiner Einsetzung im Frühjahr 2014. Stimmen die Koalitionsparteien CDU, CSU und SPD einem Antrag von Linken und Grünen zu, wird auch der BND selbst und zwar bis ins heute vom NSA-Untersuchungsausschuss unter die Lupe genommen. Stimmen sie dagegen, wird die Opposition einen U-Ausschuss eigens für den BND beantragen. Dafür benötigen sie die Zustimmung der Koalition nicht. Martina Renner, Obfrau der Linkspartei im Ausschuss:
"Wir konnten relativ deutlich klären, dass der BND, insbesondere die Technische Aufklärung, so etwas wie ein Eigenleben führen, dass manchmal selbst im BND nicht bekannt ist, was dort getrieben wird."
In den 1990er Jahren, nach dem Fall des Eisernen Vorhangs, galt der BND politisch als ziellos und technisch als hoffnungslos veraltet. In den 2000ern sollte er - mit freundlicher Unterstützung der US-Amerikaner - fit für die Zukunft gemacht werden. Die Übernahme alter US-Lauschposten wie Bad Aibling und Gersthofen-Gablingen, dazu Software und Hardware von befreundeten Diensten sollten den BND ins digitale Zeitalter der Nachrichtendienste bringen. Martina Renner fasst es so zusammen:
"Diese Standorte in Deutschland sind für die Amerikaner aus vielerlei Gründen wichtig. Was die Satellitenüberwachung angeht: Einmal, weil sie nicht selbst auf die entsprechenden Satellitenstrecken in den Krisenregionen im Nahen Osten Zugriff haben. Und, was die Kabel angeht, gibt es einfach Verkehre, die in Deutschland verarbeitet werden, die an keiner anderen Stelle in Europa so gut abgegriffen werden können. Das heißt, das ist das Schatzkästlein, die Kronjuwelen des Bundesnachrichtendienstes, und die hat man sich teuer bezahlen lassen."
Daten gegen Technik: Der BND beschritt den Weg in die Zukunft mit Hilfe der Amerikaner, teils auch mit Hilfe des britischen Geheimdienstes GCHQ. Und das mit dem Segen der wechselnden Bundesregierungen. Leistungsfähig ist der BND jetzt, das bestreiten die wenigsten Parlamentarier. Und das sei wichtig in diesen Zeiten. Aber: Er müsse sich dabei eben auch an Recht und Gesetz halten.
Der CDU-Abgeordnete Clemens Binninger ist derzeit Vorsitzender des Parlamentarischen Kontrollgremiums für die Nachrichtendienste. Er sagt:

Das Bundesnachrichtendienstgesetz ist eines der einfachsten und zu gleich schwierigsten deutschen Gesetze. Einfach, weil es erstaunlich kurz ist. Schwierig, weil es sehr wenig konkret regelt. Auch das Gesetz zur Beschränkung des Telekommunikationsgeheimnisses, das sogenannte G10-Gesetz, regelt wenig im Detail. Vor allem nicht die spezifischen Probleme, die mit der digitalen Kommunikation einhergehen. In einer Millisekunde können auf einer Leitung schon einmal Millionen Kommunikationspakete ganz unterschiedlicher Teilnehmer durchrauschen. Und diesen Daten ist oft weder ihre Herkunft noch die Nationalität ihrer Absender und Empfänger direkt anzusehen. In Zeiten der Telefonüberwachung war das viel einfacher.
Erst der Untersuchungsausschuss hat herausgefunden, was beim BND tatsächlich vor sich ging. Der setzte für die NSA Suchbegriffe zum Fischen in den Datenströmen ein. Suchbegriffe, die sich auch gegen europäische Verbündete, Firmen und Organisationen richteten. Gewusst haben will davon an der BND-Spitze und im Kanzleramt keiner. Doch auch für seine eigene Aufklärung setzte er auf Suchbegriffe, die mit dem sogenannten Auftragsprofil - dem streng geheimen, schriftlichen Arbeitsauftrag der Bundesregierung - nicht zusammenpassten. Der Elysée-Palast, Sitz des französischen Präsidenten, beispielsweise sei sicherlich nicht vom Auftragsprofil gedeckt, sagte BND-Präsident Gerhard Schindler vor dem Untersuchungsausschuss.
In einem Gebäude am Potsdamer Platz sitzt Stefan Heumann. Der Politologe arbeitet bei der Stiftung Neue Verantwortung. Seit fast drei Jahren forscht der Think Tank zur Rechtslage für die Nachrichtendienste in westlichen Demokratien. In der Kooperation, sagt er, dominiere eine Regel:
"Das heißt 3rd Party Rule, dass also Dritte Parteien dürfen diese Vorgänge nicht sehen. Und zu diesen Dritten Parteien zählt man dann auch die Kontrollgremien."
Der Spiegel titelte im Sommer 2013 unter Berufung auf die Snowden-Dokumente etwas rätselhaft, dass monatlich 500 Millionen Daten aus Deutschland an die NSA weitergegeben würden. Heute, sagt Martina Renner von der Linkspartei, wisse man, dass das so nicht stimme. Bei der Kooperation würden zwei Sorten von Daten ausgeleitet: Inhaltsdaten und Verkehrs-, sogenannte Metadaten zur Kommunikation.
"Diese Daten sind dann tatsächlich weitergeroutet worden in die USA, insbesondere die Metadaten, also die Telekommunikationsverkehrsdaten, wer telefoniert wann wie lange mit wem, oder wer schickt wann eine E-Mail mit welcher Betreffzeile an wen und ähnliches mehr – und das ist nicht mehr millionenfach. Wir sind im Bereich von Milliarden von Daten, die im Rahmen dieser Kooperation weitergegeben wurden."
Ob darunter aber auch die Daten Deutscher in Deutschland sind, sei nach wie vor nicht geklärt, so Renner. Auch dafür muss der Auftrag des Untersuchungsausschusses erweitert werden.
Wie viel vom Tun des BND legal ist, darüber streiten die Experten. Der BND jedenfalls fand immer einen Weg, das Recht im Sinne seiner Projekte zu interpretieren. Doch die vom Bundestag gewählte G10-Kommission fühlte sich an einem Punkt vom BND dermaßen hintergangen, dass sie Ende des vergangenen Jahres sogar Klage beim Bundesverfassungsgericht eingereicht hat.
Der CDU-Politiker Clemens Binninger sagt, man könne dem BND für die Vergangenheit zwar wohl keinen Gesetzesbruch nachweisen. Aber, man müsse die Frage stellen:
"Reichen Generalklauseln für solche Eingriffe aus? Und da ist Konsens, jetzt auch zwischen den Fachpolitikern in der Koalition, dass wir sagen: Nein."
Aber weniger können dürfen soll der BND dadurch nicht.
"Wir wollen eine klare rechtliche Regelung, die den Rahmen setzt, die aber den BND in seiner Aufgabenwahrnehmung, und wer will die bestreiten in diesen Tagen, nicht beeinträchtigt."
"Das ist im Grunde anlasslose Vorratsdatenspeicherung, wenn man es mal auf den Punkt bringen will. Und das ist auch das Problem, das ist rechtlich untersagt, das geht nicht so einfach."
Das Bundeskanzleramt hat nun erste Reformvorschläge für das BND-Gesetz erarbeitet. Klarheit soll es schaffen – vor allem für den BND. Ein erster Entwurf sorgte für Unmut, die Ressortabstimmung soll aber in den kommenden Wochen abgeschlossen werden. Hinter den Kulissen soll der BND eine zu starke Beschränkung seiner Arbeitsmöglichkeiten beklagen.
Dabei ist der Gesetzentwurf zur "Ausland-Ausland-Fernmeldeaufklärung" eher eine Aneinanderreihung von Regeln, die für Beobachter wie Selbstverständlichkeiten klingen – und nicht besonders einschränkend sind, wenn man Informations- und Genehmigungspflichten für besonders heikle Vorhaben nicht bereits als Einschränkung der Arbeitsfähigkeit versteht. Teils würden sogar Vorgehensweisen legalisiert, die bislang als rechtlich zweifelhaft angesehen wurden - wie die Verbindungsdatenweitergabe an Kooperationspartner.
"Ich kann mir gut vorstellen, dass man ihn im Kanzleramt mittlerweile auch bereut. Man sieht eben auch, dass Deutschland nicht anders ist als andere Länder. Und wenn es um die nationalstaatlichen Interessen geht, dann geht es um die Interessen des eigenen Landes und Interessen kennen nun einmal keine Freunde und Feinde."
Sagt Stefan Heumann von der Stiftung Neue Verantwortung. Freunde oder Feinde? Offenbar war auch der Bundesregierung nicht immer klar, was der Bundesnachrichtendienst tatsächlich tut.
"Selbst die Bundesregierung hat sich ja im Zuge der Snowden-Verhandlung bei den Vereinten Nationen für eine Resolution eingesetzt zum Schutz der Privatsphäre. Und in dieser Resolution steht explizit drin, dass Überwachungsmaßnahmen, Eingriffe in die Privatsphäre auf einer rechtstaatlichen Grundlage zu beruhen haben. Diese fehlt aber nun in Teilen für Deutschland, und das hat das Bundeskanzleramt erkannt. Und deswegen arbeitet man intensiv im Bundeskanzleramt an einer Gesetzesreform, die vor allem dem BND die Befugnisse geben soll, die er zum Teil auch schon ausübt."

"Da würde sich das Parlament auch übernehmen, wenn es sagen würde, jetzt wollen wir jeden Detailvorgang sehen, das geht nicht, das wollen wir auch nicht."
Im Einzelfall aber will der CDU-Abgeordnete dann doch genauer hinschauen dürfen.
"Das parlamentarische Gremium erhält einen Arbeitsstab, einen sehr funktionsfähigen Unterbau mit qualifizierten Leuten, die dann wiederum im Auftrag des Gremiums – also ohne Eigenleben – diese Aufträge abarbeiten."
Dass das Parlamentarische Kontrollgremium des Bundestages mehr Befugnisse benötigt, darüber sind sich Abgeordnete aller Parteien einig.
"Ich musste viele Sachen lernen, weil: Ich sitze ja in den Kontrollgremien alleine den Fachleuten der Dienste oder auch der Bundesregierung gegenüber."
Sagt der Grüne Hans-Christian Ströbele. Der Informationsvorsprung des Bundesnachrichtendienstes könnte mit professionellem Personal auf Seiten der Kontrolleure kleiner werden, hofft er. Aber Ströbele sieht noch ein ganz anderes Problem.
"Dass sie viele Sachen nicht berichten, damit habe ich immer gerechnet. Aber dass sie mir Sachen ins Gesicht sagen und ich dann nachher feststelle, das war falsch – das darf nicht sein. Also da scheitert auch jede Möglichkeit der Kontrolle, wenn man sich auf Auskünfte nicht verlassen kann."
"... die Genehmigung verweigern. Das sorgt auch dafür, dass hier eine Kontrollinstanz da ist, die auch von den Diensten dann respektiert werden muss. Und dieses G10-Gremium sollte aus unserer Sicht mehr Kompetenzen bekommen und auch die Ressourcen bekommen, dass es eine vernünftige Prüfung der Überwachungsmaßnahmen leisten kann. Und dann auch überprüfen kann, ob diese Maßnahmen auch im Sinne der Genehmigung durchgeführt werden."
Welcher Weg der beste für eine wirksame Kontrolle ist, darüber wird hart im Parlament und hinter verschlossenen Türen gerungen. Immerhin sind sich alle einig, dass der BND kontrolliert werden muss. In den ersten Jahrzehnten nach seiner Gründung war das anders:
"Selbst vielen Abgeordneten war die schiere Existenz des BND nicht so bewusst und erst recht nicht, was genau dort passiert."
Erzählt die Historikerin Eva Jobs über die Bonner Republik und ihr Verhältnis zum Auslandsnachrichtendienst.
"Mir scheint es immer so, als wäre das der politischen Gesamtlage untergeordnet worden, dass man Informationen gern genommen hat, egal woher sie kamen, und das im Prinzip auch gar nicht so genau wissen wollte."
Nicht so genau wissen wollen - das ist jedenfalls Geschichte. Gerhard Schindler, der amtierende BND-Präsident, formulierte in seiner Antrittsrede 2011 einen Wunsch:
"Wenn also ein Mitarbeiter frühzeitig Probleme meldet, dann muss er dies im Vertrauen darauf tun können, dass nicht am nächsten Tag die gesamte Führungsebene über ihn herfällt. Diese Fehlertoleranz muss gerade in sensiblen Bereichen möglich sein."
Erfüllt wurde dieser Wunsch bislang nicht. Der BND als Nachrichtendienst im Dienste des demokratischen Rechtsstaates, das bleibt auch 60 Jahre nach seiner offiziellen Gründung ein holpriges Miteinander. Nur die Weltlage nimmt darauf keine Rücksicht.