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60 Jahre Taschenbücher

Am 17. Juni 1950 brachte Rowohlt als erster deutscher Verlag moderne Taschenbücher auf den Markt. Der langjährige Rowohlt-Verlagsleiter Michael Naumann bezeichnet diesen Moment als eine "Öffnung des Fensters zur Weltliteratur", das in der Nazizeit verschlossen war.

Michael Naumann im Gespräch mit Jochen Spengler |
    Jochen Spengler: Am 17. Juni 1950, heute also vor 60 Jahren, brachte Rowohlt als erster deutscher Verlag moderne Taschenbücher auf den Markt, wie wir sie heute noch kennen, also: kleines Format, 11 bis 18 Zentimeter, dünne Papierseiten, einfach in einen etwas dickeren, aber flexiblen Einband geklebt. In unserem Berliner Studio begrüße ich Michael Naumann, heute Chefredakteur der Monatszeitschrift "Cicero", früher Bürgermeisterkandidat der SPD in Hamburg, erster deutscher Kulturstaatsminister unter Gerhard Schröder und davor über ein Jahrzehnt lang Geschäftsführer der Verlagsleitung bei Rowohlt. Guten Morgen, Herr Naumann.

    Michael Naumann: Guten Morgen, Herr Spengler.

    Spengler: Vor 60 Jahren also das moderne Taschenbuch. Was gab es denn vorher?

    Naumann: Vorher gab es in Deutschland diesen Rotationsroman. Daher kommt dieser Name "rororo". Das waren Bücher, Romane, nach 1945 gedruckt auf Zeitungspapier. Das war also ein ganzer Roman in Form einer Zeitung.

    Dann gab es schließlich, wie Sie richtig sagten, vor 60 Jahren das erste Taschenbuch. Dem ging aber eine Entdeckung voraus, nämlich wie man nicht fadenheftet, sondern die Buchrückseiten klebt. Das wurde erfunden von einem Mann namens Lumbeck im Ruhrgebiet, ich glaube in Hattingen. Das wissen die meisten Hersteller und auch Büchernarren heute nicht und sie glauben, das muss eine amerikanische Erfindung sein, und darum sagen sie auch, das "Lambeck"-Verfahren. Der Mann hieß aber Lumbeck und ist dadurch auch recht reich geworden, vermute ich einmal.

    Spengler: Was hat sich denn durch das Taschenbuch, das moderne Taschenbuch, wie wir es heute kennen, geändert dann?

    Naumann: Damals war das ein außerordentlicher Durchbruch in einer Nation, die tausend Jahre lang von der Weltliteratur ausgeschlossen war und nur zurückgreifen konnte auf die bereits vorhandenen Bücher und die Unterhaltungsliteratur, die im Dritten Reich neben einigen tertiären Romanen gedruckt wurde. Das war eine Öffnung des Fensters zur Weltliteratur, das eben jahrelang verrammelt war.

    Spengler: Also die Demokratisierung der Bildung, könnte man sagen?

    Naumann: Ja, selbstverständlich! Und vor allem konnte aber der Rowohlt-Verlag zurückgreifen auf seine prachtvolle Liste der 20er-Jahre und 30er-Jahre, also Hemingway, Faulkner, Green, alles Autoren, die schon vor dem Krieg publiziert worden waren in Deutschland und die nun plötzlich wieder zur Verfügung standen. Die Auflagen waren sensationell. Also man druckte eigentlich kein Buch, von dem man ausgehen konnte, dass es in der ersten Auflage unter 50.000 liegt.

    Spengler: Es war ja nicht nur billiger, sondern vielleicht auch für manche Zwecke besser geeignet. Worin lesen Sie denn lieber, in einem Hardcover-Buch, oder in einem Taschenbuch?

    Naumann: Um die Wahrheit zu sagen: Ich bin ja jetzt schon gesetzten Alters, 68, und lege Wert auf ein gepflegtes leinengebundenes Buch. Im Übrigen bin ich in einer Lebensphase, wo man sich seine Bücherwand anschaut und die Bücher rausholt, die man schon mal gelesen hat und die man liebt. Aber selbstverständlich greife ich hin und wieder auch zum Taschenbuch, vor allem zu Sachbüchern. Es wird ja heute unendlich viel gedruckt, zur Politik, zur Wirtschaft, zur Gesellschaft, Quickies, ganz schnell gedruckte Bücher, und die gibt es im Sachbuch und das ist auch ganz vernünftig so.

    Spengler: Wo Sie schon Ihre Bücherwand angesprochen haben: in den 70ern, da gehörten ja diese gelben Buchrücken der "rororo"-Taschenbücher und auch die Regenbogenfarben von Suhrkamp in jedes anständige Wohngemeinschaftsbuchregal.

    Naumann: Richtig, ja. Das sieht heute noch schön aus!

    Spengler: Ja, aber kann man heute noch mit einer Wand voller Taschenbücher angeben?

    Naumann: Das ist eine merkwürdige Frage, Herr Spengler. Ich hatte nie den Eindruck, dass ich mit einer Wand voller Bücher angeben wollte. Vor allem standen sie in Zimmern, in die die Öffentlichkeit keinen Zugang hatte.

    Spengler: Es galt aber doch als Zeichen der Intellektualität, wenn man dort eine Riesenbücherwand hatte.

    Naumann: Ist wahr? - Das habe ich nie so empfunden. Ihre Frage erinnert mich an einen kleinen Witz in New York, den ich mal gelesen habe. Ein älterer rundlicher Verleger hat eine bildschöne Frau in seiner Bibliothek und die fragt ihn, haben Sie das alles gelesen, und er antwortet, ja, aber nicht persönlich.

    Spengler: Und so ist es auch heute noch. - Ist denn die große Zeit des Taschenbuchs heute vorbei, wenn Taschenbuchverlage nicht mehr nur Taschenbücher produzieren, sondern Hardcover, DTV zum Beispiel?

    Naumann: Ich glaube, das Gegenteil ist der Fall. Ich höre jedenfalls aus der Verlagsbranche, zumindest bei Rowohlt, dass die Taschenbücher wieder florieren, und das hat ja auch einen guten Grund. Das muss etwas mit der Wirtschaftslage und den durchaus prekären Finanzverhältnissen der jungen Leute zu tun haben.

    Spengler: Ist das vielleicht, auch wenn Sie das abstreiten, ...

    Spengler: Ich streite es ab, was immer es jetzt sein wird.

    Spengler: Ist das vielleicht, mit dem Wandregal und der großen Bücherwand, doch irgendwann ein Zeichen von Intellektualität, wenn gar kein Buch mehr rumsteht, sondern nur noch ein Kindle, oder ein iPad, also so ein elektronisches Speichergerät, in dem man dann Tausende Bücher drin hat?

    Naumann: Das ist für mich auf alle Fälle eine ästhetische Verarmung, und im Übrigen gehe ich fest davon aus, dass dieser enorme Hype, diese enorme Überbetonung der elektronischen Zukunft des Buches sich geben wird. Ich war in einem iPad-Geschäft, also Apple, und zwar in Hamburg in der feinsten Geschäftslage, und habe gefragt, ob denn nun die 10.000 schon rausgegangen sind. Das ist nicht der Fall. Die Dinger sind sehr teuer und jetzt auch im Sommer praktisch im Freien nicht zu nutzen. Da ist doch ein schönes kleines Taschenbuch, was man am Strand oder im Café mal eben lesen kann - das macht übrigens auch Eindruck, habe ich immer gedacht als junger Mann, auf andere Leserinnen -, da ist man besser bedient. Das behaupte ich einfach mal so und ich glaube, das wird auch stimmen.

    Spengler: Und die immer wieder beschworene Krise des Buches, die wird es auch künftig nicht geben?

    Naumann: Ach, wissen Sie, ich finde, ein Verleger, der nicht von einer Krise des Buches spricht, hat seinen Beruf verfehlt.

    Spengler: Droht denn wenigstens, muss ich jetzt sagen, eine Verletzung des Urheberrechts auch bei Büchern, so wie wir das leidvoll bei der Musik und den MP3-Playern erfahren?

    Naumann: Oh ja! Herr Spengler, das ist eine ganz große Aufgabe der Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger. Das ist die einzige, glaube ich, in der Regierung, die selber noch weiß, worum es eigentlich geht, wenn es um Bücher geht. Sonst kenne ich da nicht sehr viele mir bekannte Leser in diesem Kabinett, aber das ist jetzt nicht unsere Sache. Tatsache ist jedenfalls, dass sie jetzt kürzlich gerade wieder klargestellt hat, dass die angestrebte Verletzung von Urheberrechten auch deutscher Bücher, die unter deutschem Urheberrecht stehen, durch Google in den Vereinigten Staaten mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln zu verhindern sucht, und das betrifft dann auch die Mobilisierung - da ist sie ein bisschen verspätet - der Europäischen Union gegen diesen machtvollen Versuch, europäisches Urheberrecht, das fast identisch ist mit dem amerikanischen - dort hat man sich vertraglich geeinigt mit den Verlagen, hier nicht - zu brechen, dass sie das versucht zu verhindern, und da kann ich ihr nur alles Gute wünschen. Das ist im Interesse der Leserinnen und Leser, das ist im Interesse der Autoren und der Verlage.

    Ich will eine Zahl nennen. In den Vereinigten Staaten , in New York - ich habe dort zwei Jahre lang als Verleger gearbeitet -, damals gab es so ungefähr 150 Buchgeschäfte, auch nicht gerade viel. Wir haben 4000 in ganz Deutschland. Heute sollen dort nach Auskunft eines mir bekannten verlässlichen Verlegers, nämlich André Schiffrin, nur noch 30 Buchgeschäfte inklusive der Ketten existieren. Das heißt, die Geschichte des Buches in Amerika ist nicht identisch und sollte nicht und wird auch nicht identisch werden mit der Geschichte des Buches und des Leseverhaltens in Deutschland.