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65 Jahre ARD
Viel Geld für die FIFA - aber auch kritische Berichte

Die ARD wird 65 - und bleibt nach Meinung ihres Vorsitzenden Lutz Marmor weiter modern. Dass die ARD gemeinsam mit dem ZDF für die beiden kommenden Fußball-Weltmeisterschaften mehr als 400 Millionen Euro an die skandalumwitterte FIFA entrichtet, rechtfertigt er mit kritischen Berichten. "Wir haben immer wieder Kritisches und Unangenehmes aufgedeckt", sagte Marmor im Deutschlandfunk.

Lutz Marmor im Gespräch mit Mario Dobovisek | 09.06.2015
    Die Übertragung von WM-Spielen ist mit hohen Zahlungen an die FIFA verbunden.
    Die Übertragung von WM-Spielen ist mit hohen Zahlungen an die FIFA verbunden. (imago Sportfoto)
    Die ARD sei stark, sagte Marmor und verwies auf 39 Millionen Radiohörer und 33 Millionen TV-Zuschauer, die die ARD täglich erreiche. Bei vielen Formaten wie der Tagesschau und dem Tatort habe die ARD Erneuerungen geschafft. Die häufig kritisierten Unterhaltungsprogramme hätten zudem einen weiteren Nutzen. "Damit kann man Menschen für nachfolgende politische Programme interessieren." Er nannte dabei auch die Tagesthemen in den Halbzeitpausen von Fußballspielen.
    Fußball wichtig für die Akzeptanz
    Der Fußballweltverband FIFA finanziert sich weitgehend mit den Einnahmen aus dem Verkauf von Übertragungsrechten für die von ihr organisierten Fußball-Weltmeisterschaften. Die ARD zahlt gemeinsam mit dem ZDF mehr als 400 Millionen Euro für die Weltmeisterschaften in Russland 2018 und Katar 2022. Als Finanzier des korrupten Systems der FIFA sieht sich Marmor aber nicht. "Wir zahlen für die Spiele, nicht für die Organisation", sagte Marmor. "Mir ist nicht bekannt, dass es während eines Spiels irgendwelche Bestechungen gegeben hat."
    Der ARD-Vorsitzende Lutz Marmor.
    Der ARD-Vorsitzende Lutz Marmor. (picture alliance / dpa / Oliver Berg)
    Er verwies auf die kritische Berichterstattung, die gerade die ARD in Sachen FIFA vornehme. Immer wieder werde Unangenehmes und Schwieriges gerade durch ARD-Reporter aufgedeckt. Und im Umkehrschluss sei die ARD für die ausgebliebene Übertragung der jüngsten Handball-WM in Katar vielfach kritisiert worden. Mit Blick auf die WM 2014 in Brasilien mit dem Sieg der deutschen Mannschaft sagte Marmor: "Das sollten wir im frei empfangbaren Fernsehen sehen. Das ist auch wichtig für unsere Akzeptanz, dass die Leute sagen können: 'Auch das kriegen wir von unseren Gebühren.'"
    Das sei aber stets zu trennen von der Frage, was die FIFA mache, das werde die ARD immer kritisch begleiten. Und jeden Preis zahle man für den Fußball ohnehin nicht, sagt Marmor. Schließlich seien ARD und ZDF bei der UEFA im Kampf um die Übertragungsrechte der Qualifikationsspiele zur EM 2016 von RTL überboten worden.

    Mario Dobovisek: Der Zweite Weltkrieg war zu Ende, Deutschland lag in Trümmern und sollte wieder auferstehen mit Hilfe der Alliierten auf demokratischen Füßen. Sie gründeten Militärsender und übergaben sie alsbald in deutsche Hände. Heute vor 65 Jahren wurde die Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland gegründet, kurz ARD. Ihr vielleicht bekanntestes Produkt bis heute ist die "Tagesschau"
    Neun Landesrundfunkanstalten, fast 23.000 Angestellte, "Tagesschau" und "Tatort", "Brennpunkt" und "Sportschau" im Fernsehen, Hörspiele, die Bundesliga-Schaltkonferenz im Radio und aktuelle Nachrichten auf tagesschau.de oder auf der App - das ist die ARD heute, 65 Jahre nach ihrer Gründung.
    Ich begrüße Lutz Marmor. Er ist Intendant des Norddeutschen Rundfunks und derzeit Vorsitzender der ARD. Herzlichen Glückwunsch zum 65., Herr Marmor.
    Lutz Marmor: Ja, herzlichen Dank und einen guten Tag!
    "'Tatort' - das ist ein ganz modernes Format"
    Dobovisek: Angestellte denken mit 65 allmählich über die Rente nach oder sind bereits mittendrin. Ist auch die ARD bald reif für den Ruhestand?
    Marmor: Danke für diese Frage. Wir sind da, glaube ich, wirklich weit von entfernt. Wir sind - das ist immer subjektiv natürlich empfunden - wirklich nach wie vor stark, wir sind gut. Überlegen Sie: Allein im Radio erreichen wir jeden Tag knapp 39 Millionen Menschen in Deutschland, im Fernsehen 33 Millionen Menschen, wobei die das dann wieder länger nutzen. Wir sind ein ganz, ganz wichtiger Faktor, glaube ich schon, für die politische Meinungsbildung in Deutschland mit vielen exzellenten Journalistinnen und Journalisten und mit dem breiten Spektrum, das Sie eben aufgezählt haben, und wir versuchen, uns immer wieder zu erneuern.
    Nehmen Sie mal die "Tagesschau", die Sie ja eben eingespielt haben. Die hat den Kern schon noch Informationen, harte Informationen, gut informiert in den Tag zu gehen, aber sie hat sich natürlich gewandelt und das prägt uns. Das müssen wir auch weiter so machen. Das ist eine Zukunftsaufgabe und da gehen wir mit vielen, vielen übrigens auch jüngeren Kolleginnen und Kollegen dann auch engagiert ran.
    Dobovisek: Bleiben wir doch für einen Moment beim Fernsehprogramm. "Rote Rosen", "Sturm der Liebe", "Papageien, Palmen und Co.", "ARD-Buffet", "Großstadtrevier", "hart aber fair" - ein schneller Auszug aus dem Programm des Ersten heute. Würden Sie Ihr Hauptprogramm noch als modern bezeichnen?
    Marmor: Doch. Das ist eine Auffassungsfrage. Modern ist die "Tagesschau" mit einem der modernsten Studios, das wir, glaube ich, in der Welt haben. Wir haben ständig den "Tatort" - das ist ein ganz modernes Format - auch erneuert. Das ist ja nicht so einfach, das ist im Gespräch, das erfolgreichste Format in Deutschland. Wir haben auch neue Angebote, denken Sie mal an die Comedy-Schiene, die wir jetzt am Donnerstagabend haben. Wir haben das Fernsehspiel. Natürlich leben wir davon, unsere starken Marken - das ist ja eine Stärke, wenn sie so lange bei den Menschen sind - auch zu erhalten, zu erneuern und zu verbessern. Die prägen uns auch, da gibt es auch nichts zu verstecken.
    Das andere, das ist Unterhaltung. Das finde ich auch legitim. Und im Gegensatz zu dem, was manche behaupten, können wir wirklich auch belegen, dass man mit Unterhaltungsprogramm auch Menschen für nachfolgende politische Programme beispielsweise interessieren kann. Oder denken Sie an Fußball. Wenn Sie ein Fußballspiel haben und haben in der Halbzeit die "Tagesthemen", dann haben Sie viel, viel mehr Menschen als bei einer normalen Ausgabe, und das ist in Ordnung so.
    Dobovisek: Über Fußball müssen wir nachher, glaube ich, noch mal gesondert reden, Herr Marmor.
    Marmor: Wenn Sie mögen gerne.
    "Und unsere Schwächen haben wir eher im Bereich der Unterhaltung"
    Dobovisek: Aber bleiben wir doch erst mal beim Unterhaltungsprogramm. Da gab es ja heftige Kritik am öffentlich-rechtlichen Rundfunk insgesamt, insbesondere an der ARD, und zwar vom wissenschaftlichen Beirat beim Bundesfinanzministerium. In seinem Bericht heißt es, die Sender seien von außen praktisch ununterscheidbar von ihren privaten Pendants. Auch sei die große Zahl an Unterhaltungssendungen als Lead-in zu den gelegentlichen Nachrichten und Informationsformaten kaum zu rechtfertigen. Das Fazit der Berater lautete damals, die öffentlich-rechtlichen sollten nur da auftreten, wo das privatwirtschaftliche Angebot klare Defizite aufweist. Was heißt das für die ARD?
    Marmor: Erst mal ist die Diagnose komplett falsch. Wir haben einen Anteil der Unterhaltung am Gesamtprogramm von unter zehn Prozent. Das ist ja nicht das Dominierende. Das können wir auch belegen. Diese These stimmt schon nicht. Vielleicht schauen die Menschen zu wenig fern, das kann sein, obwohl ich von Wissenschaftlern auch erwarten würde, dass sie sich den Fakten dann auch letztlich stellen. Das sehe ich, ehrlich gesagt, ganz und gar nicht so. Kritik ist immer richtig, die kann auch weiterführen, aber ich glaube, dass es genau so ist, dass wir dadurch, dass wir ein Vollprogramm sind, das für viele etwas bietet, dass wir die Menschen nach wie vor erreichen. Wir sind ein informationsgeprägtes System. Da sind unsere Stärken. Und unsere Schwächen haben wir eher - das muss man einräumen - im Bereich der Unterhaltung und vielleicht auch manchmal des Fiktionalen, wobei der "Tatort" natürlich das umgekehrte Beispiel ist.
    Dobovisek: Nun stehen die kritischen Wissenschaftler ja nicht ganz alleine da. Die Zeitungsverleger und Privatsender sägen beständig am Thron der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten.
    Marmor: Na, auf einem Thron sitzen wir ja nicht. Das wäre ja auch falsch.
    Dobovisek: So sehen es jedenfalls die Kritiker, spätestens seit Einführung der neuen Rundfunkabgabe vor gut zwei Jahren. "Zwangsabgabe" nennen das die Kritiker. Klagen gegen sie gibt es inzwischen. Ist die Gebührenfinanzierung ein Auslaufmodell?
    Marmor: Nein. Das verbindet uns ja übrigens auch mit dem Deutschlandradio.
    Dobovisek: In der Tat!
    Marmor: Das ist ein sehr gut funktionierendes Modell. Wir haben ja Umfragen bei den Menschen. Wir haben beispielsweise gefragt, ist der Norddeutsche Rundfunk als pars pro toto für andere sein Geld wert bei einem Beitrag, den man sich ja nicht aussuchen kann. Wenn Sie dann einen übrigens gestiegenen Wert von 70 Prozent haben, die sagen, ja, er ist sein Geld wert, dann finde ich das zumindest beachtlich. Wir haben auch die Menschen gefragt, sind Sie mit der Umstellung zufrieden. Viele finden es gerechter. Ich finde es übrigens auch gerecht, dass es nicht mehr so leicht ist, sich der Zahlungspflicht, die es ja nun mal gibt, wenn man nicht aus wirtschaftlichen oder anderen Gründen befreit werden kann, entziehen kann.
    Von daher: Ich finde und bin nach wie vor den Ländern, die das ja am Ende beschlossen haben - das machen wir ja nicht selbst - dankbar, dass sie dafür eine zukunftsfähige Grundlage uns gegeben haben.
    Dobovisek: Wenn wir über die Gebühren sprechen, Herr Marmor, dann zwangsläufig auch über das, was wir vorhin angesprochen haben. Über den Fußball nämlich. Seit 1954 hat sich einiges getan, vor allem an den Beträgen, die ARD und ZDF an die FIFA für die Rechte an den Weltmeisterschaften überweisen. Weit über 400 Millionen sollen es für die Meisterschaften in Russland und Katar sein. Immer mehr kosten die Übertragungsrechte also. Machen sich ARD, ZDF und damit letztlich auch die Gebührenzahler gemein mit dem skandalgeschüttelten System Blatter?
    Marmor: Nein, das kann man, glaube ich, wirklich nicht sagen. Dafür spricht ja schon, dass es genau nicht so ist, wie kritisch unsere Kolleginnen und Kollegen - und zwar wirklich an der Spitze auch der Aufklärung - das begleiten. Denken Sie an den Kollegen Florian Bauer vom Westdeutschen Rundfunk, der wirklich auch schon langjährig die FIFA, ich sage mal, begleitet, kritisch, und auch immer wieder Unangenehmes und Schwieriges aufdeckt. Wir möchten Übertragungsrechte haben, und wir haben selbst das allergrößte Interesse daran, dass es bei der FIFA korrekt zugeht.
    Stellen Sie sich mal umgekehrt den Fall vor. Wir hatten ja mal eine Handball-Weltmeisterschaft nicht in der Übertragung. Das wurde heftigst kritisiert, obwohl es gute Gründe gab und es kaum möglich war, die Rechte dort zu kriegen. Ich finde, die Menschen in Deutschland, denken Sie mal an das letzte Finale in Brasilien, das sollten wir im frei empfangbaren Fernsehen sehen, und da versuchen wir vernünftig auch zu verhandeln. Das ist ja eine öffentliche Ausschreibung, da geht es nicht darum, dass da einzeln mit irgendwem gekungelt würde, sondern da gibt es dann ein Gebot und dann kriegt man einen Zuschlag.
    Dobovisek: Ein Grundrecht wird das ja auch manchmal genannt. Aber um jeden Preis?
    Marmor: Grundrecht - um jeden Preis sowieso nicht. Es gibt ja auch Dinge, jetzt ein anderes Beispiel: Bei der Qualifikation zur Fußball-Europameisterschaft hat RTL mehr geboten. Dann ist das so, das gehört dazu. Deshalb werden wir eben nicht jeden Preis zahlen. In letzter Zeit hat sich übrigens auch, ohne dass ich Zahlen im Einzelnen kommentiere, der in der Tat frühere langjährige Anstieg durchaus sehr, sehr relativiert. Aber das ist ein hoher Wert! Ich meine, die Zuschauerzahlen für das, was in Deutschland los war. Das ist auch wichtig für unsere Akzeptanz, dass die Menschen sagen können, auch so etwas kriegen wir von unseren Rundfunkbeiträgen, was aber zu trennen ist, strikt zu trennen ist - und das beobachten wir natürlich ganz genau - von der Frage, was die FIFA macht. Da müssen wir sehr kritisch weiterhin schauen und das werden wir auch tun.
    "Kritik ist immer richtig"
    Dobovisek: Auch kritisch auf die Zahlungen, die bereits geleistet worden sind? Waren die vielleicht zu hoch, wie zum Beispiel der Deutsche Journalistenverband sagt?
    Marmor: Na ja, darüber können Sie immer streiten. Das sind Preise, die sich am Markt ergeben haben. Ich habe ja gesagt, dass beim letzten Mal uns RTL, ich glaube, auch durchaus deutlich überboten hat. Ich finde, für den Gegenwert, den wir dort bekommen haben, war das rückblickend nicht zu hoch. Unsere Gremien haben dem Ganzen natürlich auch zugestimmt, das ist ja auch richtig. Wir machen ja nicht alleine das. Aber wie wollen Sie jetzt objektiv bewerten, was zu hoch ist?
    Ich weiß noch, wie es war, als das Erste keine Bundesliga-Rechte hatte. Da gab es heftige Kritik nach dem Motto, was kriege ich denn für meinen Beitrag. Damit werden wir leben müssen, das ist auch legitim in einer Demokratie, dass es dazu unterschiedliche Auffassungen gibt.
    Dobovisek: Aber sehen Sie es, dass Sie in gewisser Weise eine Mitverantwortung tragen für das, was in der FIFA geschieht? Denn die FIFA finanziert sich zum Großteil aus den Gebühren, aus den Rechten.
    Marmor: Aber wie sollten wir denn sozusagen eine Mitverantwortung tragen für eine Organisation, zu der wir keinerlei Zugang haben? Wir müssen nur sehen, ob es bei den Turnieren selbst mit rechten Dingen zugeht. Mir ist jetzt nicht bekannt, dass es beispielsweise dort während eines Spiels Bestechung oder sonst was gegeben hätte. Das weiß man natürlich alles nicht, aber ich nehme es nicht an. Das Turnier selbst ist immer nach dem, was wir so gesehen haben, interessant und korrekt verlaufen. Dafür zahlen wir und, ehrlich gesagt, nicht für die Organisation. Für uns ist es eher schwierig, dass die Organisation im Augenblick so aufgestellt ist, wie sie aufgestellt war, aber da gibt es ja vielleicht Hoffnung, dass sich was ändert.
    "Die ARD wird auch ohne Jauch weiter gute Sendungen machen können"
    Dobovisek: Am Freitag gab Günther Jauch bekannt, den Vertrag für seine sonntägliche Polit-Talkshow nicht weiter verlängern zu wollen, ein Zugpferd weniger für die ARD, Herr Marmor. Sind Sie enttäuscht?
    Marmor: Nein. Das wäre wirklich überspitzt formuliert. Ich finde, das ist das gute Recht. Dafür haben wir Verträge. Wir haben vier Jahre zusammengearbeitet. Herr Jauch wird seinen Vertrag auch erfüllen. Da wird es noch viele interessante Sendungen am Sonntag geben. Und wenn er dann aus einer Mischung unterschiedlicher Gründe sagt, ich persönlich habe mich jetzt entschieden, ich möchte das nicht weitermachen, dann ist das legitim. Und ehrlich gesagt, die ARD wird auch ohne Herrn Jauch auf dem Sonntagabend weiter gute Sendungen machen können.
    Dobovisek: Mit wem denn?
    Marmor: Das ist eine schöne Frage. Das kann ich Ihnen noch nicht beantworten, weil wir das natürlich - wir sind ein föderales System, wo nie einer alles entscheiden kann, was übrigens ja auch gut ist -, das werde ich mit meinen Kolleginnen und Kollegen beraten.
    Dobovisek: Lutz Marmor ist Vorsitzender der ARD, die vor 65 Jahren mit einer Vereinbarung der damals sechs Landesrundfunkanstalten gegründet wurde. Ich danke Ihnen für das Gespräch.
    Marmor: Herzlichen Dank auch nach Köln.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.