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65 Jahre Lastenausgleichsgesetz
"Zur Liquidierung unserer inneren Kriegsschuld"

Am 1. September 1952 trat das Gesetz zur Entschädigung für Verluste durch den Zweiten Weltkrieg inkraft. Es war ein wichtiger Beitrag zur Integration von Flüchtlingen und Vertriebenen und bis heute eine der größten Umverteilungsmaßnahmen in einem Land mit freier Marktwirtschaft.

Von Monika Köpcke | 01.09.2017
    Die Vertreibung der Sudetendeutschen nach dem Zweiten Weltkrieg geht auf Verfügungen des damaligen tschechoslowakischen Staatsoberhaupts Edvard Benes (1884-1948) zurück. Die etwa 150 von Benes zwischen 1940 und 1945 erlassenen Dekrete gehören zu den umstrittensten europäischen Rechtsakten. Auf der Grundlage der Verfügungen wurden etwa drei Millionen Deutsche sowie die vorwiegend in der Slowakei lebende ungarische Minderheit ihrer Rechte und ihres Eigentums beraubt.
    Millionen Menschen mit deutscher Staatsangehörigkeit irrtten nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in Deutschland umher. Unter anderem für sie wurde Lastenausgleichsgesetz zur Entschädigung für Verluste durch den Zweiten Weltkrieg umgesetzt. (picture alliance / dpa / CTK_Photo)
    "Kurz nach dem Krieg, da kam ein Lkw mit circa 30 Flüchtlingen. Und da war auch der Bürgermeister da und hat dann diese 30 Flüchtlinge auf die Bauernhöfe verteilt," berichtet ein Augenzeuge und der Bürgermeister schildert:
    "Wir sind hier ein Kreis, der von dem unmittelbaren Kriegsgeschehen nicht so hart getroffen ist. Das heißt aber nicht, dass nun hier ein Schlaraffenland ist. Versuchen Sie nicht, irgendwie durch übertriebene Forderungen etwas zu erreichen, denn es ist auch hier nicht alles vorhanden, was Sie glauben."
    Der Finanzminister Fritz Schäffler war verwundert: "Ich wundere mich manchmal, wie rasch ein Mensch und wie rasch ein Volk vergessen kann. Vergessen haben vielleicht viele von denen, die damals die Goebbels-Frage: ’Wollt ihr den totalen Krieg?’ mit ‘Ja’ beantwortet haben. Vergessen, welche Verantwortung sie damals für das Schicksal eines ganzen Volkes auf sich genommen haben."
    Um die 15 Millionen Menschen mit deutscher Staatsangehörigkeit irrten nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in Deutschland umher: Ausgebombte, Evakuierte, entlassene Häftlinge. Unter ihnen zwölf Millionen Flüchtlinge aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten, von denen die meisten nur mit dem ankamen, was sie auf dem Leib trugen.
    Ungleiche Verteilung ausgleichen
    Weiter sagt Schäffer: "Es ist natürlich, dass man daran denkt, dass derjenige, der im Krieg Vermögensschaden erlitten hat, sich an den wendet, der das Vermögen im Krieg behalten hat."
    Nach den Bundestagswahlen 1949 wurde Fritz Schäffer der erste Finanzminister der Bundesrepublik. Alle Parteien waren sich mit dem CSU-Politiker einig: Nur mit einer wirtschaftlich, sozial und politisch befriedeten Gesellschaft kann der Neuanfang gelingen. Deshalb muss die ungleiche Verteilung der materiellen Kriegsfolgen ausgeglichen werden.
    Der SPD-Vorsitzende Erich Ollenhauer. "Es geht hier nicht um ein soziales Gesetz wie in hundert anderen Fällen, in denen Leistungen und Verpflichtungen peinlich genau gegeneinander abgewogen werden. Es ist das Gesetz der Liquidierung unserer inneren Kriegsschuld gegenüber von Millionen unserer eigenen Volksgenossen."
    Die SPD wollte materielle Verluste genauso entschädigen wie den Verlust der Heimat oder des Arbeitsplatzes. Ihr schwebte ein umfangreiches Paket von Sozialleistungen vor, mit denen ein einfacher Arbeiter, dessen Wohnung den Bomben zum Opfer gefallen war, ebenso gefördert werden würde wie ein pommerscher Gutsbesitzer. Mit der CDU war das nicht zu machen.
    Gesetz wurde im Mai 1952 verabschiedet
    "Damit, meine Damen und Herren, ist der Grundgedanke des Lastenausgleichs natürlich überhaupt aufgegeben," sagte Schäffler.
    Die CDU wollte individuell erlittene Verluste auch individuell entschädigen. Ihre Vorstellungen flossen in das ‘Gesetz über den Lastenausgleich’, das sie im Mai 1952 mit ihrer Fraktionsmehrheit verabschiedete. Am 1. September des Jahres trat es in Kraft.
    Mit ihm konnten Geschädigte bei den zahlreichen neu geschaffenen Ausgleichsämtern ihre Verluste geltend machen. Die Entschädigungszahlungen stammten aus einem Sonderfonds, in den fast drei Millionen vermögende Bundesbürger einzahlen mussten. Ihre Abgabe betrug 50 % des Wertes, den das Eigentum zum Zeitpunkt der Währungsreform von 1948 hatte und war über einen Zeitraum von 30 Jahren zu leisten. Die Geschädigten bekamen nur kleine Vermögen voll ersetzt, Verluste ab einer Million Mark wurden nur noch zu 6 % entschädigt. Angesichts der vielen großen Landgüter in den ehemals deutschen Ostgebieten, fiel auch diese Quote beträchtlich ins Gewicht, wie Erich Ollenhauer bei der Verabschiedung des Gesetzes beklagte:
    "Es ist in Wirklichkeit die Krönung dieser Politik der Bevorzugung des großen Privatbesitzes. Das Resultat dieser Politik ist, dass es heute in keinem der Krieg führenden Länder in Westeuropa einen so aufreizenden Gegensatz zwischen größtem Luxus und erbarmungswürdiger Armut gibt wie hier in der Bundesrepublik."
    Trotz dieser Kritik: Der Lastenausgleich war ein wichtiger Beitrag zur Integration der Flüchtlinge und Vertriebenen in die Bundesrepublik. Insgesamt gewährten die Ausgleichsämter gut 60 Milliarden Euro Entschädigungsleistungen. Auch wenn letztlich der Staat über die Hälfte dieser Summe mit Steuermitteln finanzierte, war der Lastenausgleich bis heute eine der größten Umverteilungsmaßnahmen in einem Land mit freier Marktwirtschaft.