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70 Jahre nach der Zerstörung
Das "neue" Magdeburg

Gleich zweimal wurde Magdeburg in seiner 1.200 Jahren alten Geschichte zerstört, zuletzt im Zweiten Weltkrieg. Nun prägen DDR-Plattenbauten und moderne Gebäude Sachsens-Anhalts Landeshauptstadt. Aber auch einiges, was verschüttet und vergessen war, wurde wieder ausgegraben.

Von Eva Firzlaff | 11.01.2015
    Ansicht des Magdeburger Doms
    Der Magdeburger Dom ist mehr als 800 Jahre alt. (Deutschlandradio / Ulf Dammann)
    Der älteste Bau in Magdeburg ist das Kloster Unser Lieben Frauen, gegründet vor 1.000 Jahren zählt es zu den bedeutendsten romanischen Anlagen Deutschlands. Seit fast 900 Jahren prägen die zwei schlanken Türme und der hohe romanische Giebel die Silhouette der Stadt. Es ist schon lange kein Kloster mehr, war Bibliothek, zu Napoleons Zeit Kaserne, Hospital, sogar Viehstall, und ist nun kultureller Mittelpunkt der Stadt.
    "Wir sind im Innenhof des Klosters Unser Lieben Frauen, uns umgibt der Kreuzgang. Es ist ein wunderbarer Ort der Ruhe und auch Besinnung im Trubel einer modernen Stadt. Das Kloster ist das älteste Gebäude der Stadt, über 900 Jahre alt. Und es ist wie durch ein Wunder durch Kriege und Zeiten unversehrt hindurch gekommen. Und es spielt auch eine ganz wichtige Rolle im kulturellen Leben der Stadt. Es ist das Kunstmuseum für Gegenwartskunst, mit wirklich spannenden wechselnden Ausstellungen."
    Und es finden Konzerte statt, in der früheren Klosterkirche und im Innenhof. Beim Entdecken des neuen alten Magdeburgs begleitet mich die Architektin Cornelia Heller. Nach wenigen Schritten schon sind wir auf dem Domplatz, haben nach dem schlichten romanischen Kloster nun ein Wunderwerk der Gotik vor uns: die älteste gotische Kathedrale in Deutschland, deren Türme die des Klosters weit überragen.
    "Hier stand ja der Dom Ottos des Großen. Der ist allerdings 1207 abgebrannt. Und Kardinal Albrecht hat sich 1209 dazu entschlossen, einen Dom zu bauen in diesem modernen, von Frankreich her kommenden gotischen Stil."
    Riesengroß und trotzdem luftig leicht anzusehen.
    "Das ist ja auch das Grundprinzip der Gotik, das Licht in den Innenraum hinein holen zu können. Durch dieses Strebewerk war es überhaupt erst möglich so hohe und so große Fenster zu bauen, das Licht Gottes in das Bauwerk hinein strahlen zu lassen.
    Innen beeindruckt die Kunstfertigkeit, mit der der Lettner gearbeitet ist und das Chorgestühl geschnitzt.
    "Wunderschöne Holzschnitzkunst ist das. Dass sich so ein Kulturgut über die Zeiten und auch über so eine schwere Zerstörung, wie sie Magdeburg erlebt hat mit dem Bombenangriff am 16. Januar 1945, wo ja bis zu 80 Prozent der Altstadt zerstört wurden, dass sich das trotz dieses Feuerinfernos erhalten hat, das ist schon wirklich ganz Besonders."
    Parallel zur Elbe türmt sich das "Knattergebirge" auf
    Dom und Kloster haben den 30-jährigen Krieg überstanden, von dessen Zerstörungen sich die Stadt nie wieder richtig erholt hat. Und standen auch nach dem verheerenden Bombenangriff, der im Januar 1945 die Innenstadt zu großen Teilen ausgelöscht hat. Parallel zur Elbe verläuft die Jakobstraße. Dort am Hang hatte sich das Knattergebirge aufgetürmt, so nannte man ein enges verwinkeltes Fachwerk-Viertel.
    "Man sagte, vor dem Krieg sei es das Viertel mit der höchsten Einwohnerdichte Europas gewesen. Das war schon ein Gebiet, wo jetzt nicht gerade die Begütertsten gelebt haben, mit drängender enge, in Fachwerkhäuser, auch treppauf, treppab, weil da so ein höher gelegenes Gelände war. Dieses Knattergebirge ist in diesen Januartagen des Bombenangriffs komplett verbrannt und eben auch mit hohen Opferzahlen."
    Mein Vater, der im Süden der Stadt aufgewachsen ist, hat mir vom tagelangen Großfeuer erzählt. Anstelle des Knattergebirges stehen jetzt Plattenbauten. Das alte Rathaus in der Nähe wurde 1965 originalgetreu wieder aufgebaut.
    Unterhalb des Domes – zur Elbe hin – liegt die Bastion Cleve. Dieser Teil der einstigen Festung war über ein Jahrhundert verschüttet und vergessen, wurde erst vor wenigen Jahren bei Bauarbeiten entdeckt und freigelegt. Enge gepflasterte Gänge, wuchtige Mauern, sogar ein kleiner Wasserlauf, hier konnte der Bischof mit dem Boot anlanden. Ein Modell zeigt die Ausmaße der Anlage. Auch unterhalb des Doms, etwas nördlich dieser Bastion, wurde schon vor Jahrzehnten ein Zwinger zu einem kleinen versteckten Park.
    "Dieser Möllenvogtei-Garten ist eine wunderschöne verträumte Gartenanlage im Rücken des Fürstenwalls. Der Fürstenwall – also wir kommen ja wirklich von Geschichte zu Geschichte – das war die erste Bürgerpromenade Deutschlands, die auf einer alten Festungsanlage errichtet worden ist. Und entlang dieses Fürstenwalls sind auch noch Wehrtürme aus der Festungsgeschichte Magdeburgs übrig. Und hier sind, wenn wir hier weiter laufen, in den Nischen dieser Mauer Reste, Trümmerreste aus Magdeburgs Altstadt, das sind Skulpturen und Bauschmuck, der eben bei der Beräumung der zerstörten Altstadt gefunden wurde. Wir haben hier einen 'Petrus' – gehörte zum Hauszeichen 'im Himmelreich' im Breiten Weg 181. Eine Skulptur von um 1700. Oder vielleicht noch er: ein Apollon, vom Barockportal des 1945 zerstörten Schloss-Cafes, Breiter Weg 193."
    Der Breite Weg war die Prachtstraße und zog sich durch die ganze Altstadt.
    "Also mir ist erzählt worden: die schönste Geschäftsstraße Deutschlands. Eine Handelsstraße mit wohl über 300 Cafés, Kneipen und Bars, mit Geschäften und Kaufhäusern, wie man es von Berlin kennt, KDW oder Wertheim, mit wirklich traumhaften Gebäuden, die über die Jahrhunderte entlang dieser Straße gewachsen sind. Viele sprechen auch davon, dass es die Barock-Straße war. Das würde ich so nicht sagen. Ich denke, das sind Häuser aus den verschiedensten Baustilen gewesen, die diese sehr schöne Geschäftsstraße prägten. Und um deren Verlust die Magdeburger eigentlich auch heute noch trauern."
    Gründerzeit-Häuser erinnern an einstigen Glanz
    Am Süd-Ende des Breiten Wegs am Hasselbach-Platz und in dessen Nachbarschaft vermitteln etliche Gründerzeit-Häuser einen Eindruck vom damaligen Glanz. Und anstelle eines Plattenbau-Quartiers steht nun die "grüne Zitadelle". Der letzte große Entwurf von Friedensreich Hundertwasser. Doch anfangs wurde gestritten.
    "Ja, die Magdeburger waren sich schon im Unklaren darüber, ob man im Angesicht des historischen gotischen Domes ein solches, ganz anderes Haus bauen darf, das ja mit einem ganz anderen Baustil daherkommt. Aber mittlerweile lieben sie es. Es hat sich so selbstverständlich in das Stadtbild eingepasst. Und es ist für Touristen ein derartiger Magnet, dass allein schon deshalb ein gewisser Stolz darauf gewachsen ist, ein Hundertwasser-Haus im Stadtbild zu haben."
    Es sind die berühmten runden Ecken, die fröhlichen Farben, mehrteiligen Säulen, Scherbenmosaike, die golden Kugeln auf den Türmchen. Bäume und Sträucher wachsen auf den Dächern und aus Nischen der Fassade. Drinnen sind begehrte Wohnungen, Hotel, Kindergarten. Es scheint anzuknüpfen an die Siedlung Reform, die von Bruno Taut am Südrand der Stadt gebaut wurde, damals am Rand, vor 100 Jahren. Eine der ersten Gartenstädte in Deutschland.
    "Die ist ab 1913 entstanden und dann in einzelnen Bauabschnitten. Und wenn man sich diese Siedlung ansieht, kann man diesen Zeiten auch folgen, also auch diesem Zeitgeschmack auch von einem romantisch geprägten Gedanken bis hin zu einem sehr strengen, reduzierten und sicherlich auch dem Geld geschuldeten kleineren Stil."
    Reihenhäuschen für Arbeiterfamilien statt Mietskaserne. Gärtchen und Kaninchenstall statt Hinterhof. Mittlerweile sind die Kaninchen verschwunden, die Häuser innen modernisiert und die Siedlung Reform strahlt wieder, wie von Bruno Taut gedacht.
    "Reform begeistert ja durch diese unglaubliche Farbenvielfalt und auch diese expressionistische Farbgestaltung, die ja Bruno Taut seinerzeit in der ganzen Stadt zelebriert hat. Er hat ja auch das Rathaus einfach mal farbig angemalt und damit gar Ilja Ehrenburg fast in die Flucht geschlagen, der sagte: Hört mir hier mit dieser Farbenvielfalt auf."