Dienstag, 19. März 2024

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91. Oscar-Verleihung
Der Dammbruch ist da

Beste Regie und Kamera, bestes nicht-englischsprachiges Werk: Das Drama "Roma" des Streaming-Anbieters Netflix hat drei Oscars gewonnen. Schon vorab hatte die Nominierung angeeckt. "Ein Dammbruch", bilanziert Filmkritiker Hartwig Tegeler im Dlf. Und auch die Sprache spielte bei den Oscars eine Rolle.

Hartwig Tegeler im Interview mit Sigrid Fischer | 25.02.2019
Rami Malek, Olivia Coleman, Regina King und Mahershala Ali bei der 91. Oscar Verleihung in Los Angeles
Sieger im Glück mit der Trophäe in der Hand: Rami Malek, Olivia Coleman, Regina King und Mahershala Ali (v.l.) bei der 91. Oscar Verleihung in Los Angeles (imago stock&people (Kevin Sullivan))
Sigrid Fischer: Kein Moderator/in wie bei den Oscars letzte Nacht, das wollten wir auch mal ausprobieren heute bei Corso. Ja, geht schon, aber es hat doch seine Grenzen. Deshalb jetzt willkommen bei Corso, ich bin Sigrid Fischer, und es waren 7258 wahlberechtigte Academy-Mitglieder, die entscheiden durften, ob erstmals keines der klassischen Produktionsstudios, sondern ein Streaming-Dienst zum großen Gewinner des Oscar abends wird mit "Roma" als bestem Film - und sie haben dagegen entschieden. Puh, gerade noch mal gut gegangen für die Studios und auch für das Kino als Ort des Filmeschauens, aber vielleicht waren die zehn Nominierungen und die drei Preise für die Netflix-Produktion "Roma" doch ein kleiner Warnschuss, oder Hartwig Tegeler? Guten Tag.
Hartwig Tegeler: Schönen Tag. Also ich weiß ja nicht, ob es ein Warnschuss war oder vielleicht dann doch er der Dammbruch. Also schauen wir uns an: "Roma" hat drei Oscars gewonnen, und das wurde dann von der Academy auch ziemlich geschickt gemacht, nämlich für den "besten fremdsprachigen Film", das ist ja auch nicht ganz unerhebliche Kategorie. Dann für die "beste Regie" und auch für die "beste Kamera" an Alfonso Cuarón, der die Kamera gemacht hat in dem Film. Das bedeutet natürlich schon: Dass mit dem anderen Film der bester Film geworden ist quasi, ist eine Geste gemacht gegen Netflix, und ich glaube einfach, wenn man sich die Auseinandersetzung noch um die Streaming-Dienste bei den Filmfestspielen in Cannes anschaut, Berlin, ebenso in Venedig, dann wiederum Cuarón gewonnen hat und jetzt eben mit drei Oscars auch die Nacht sehr, sehr gut überstanden hat, wenn ich das mal so sagen darf - oder besser noch gesagt, gut bedient worden ist -, dann glaube ich, wie gesagt: Dammbruch - das Ding ist durch. Und von jetzt ab werden einfach Filme, die von Streaming-Diensten produziert worden sind – aus gutem Grund auch von Seiten der Filmemacher, das darf man nicht vergessen –, dass die jetzt einfach hineingekommen sind in den großen Topf der Filme, die Preise bekommen werden in Zukunft.
Fischer: Genau ja. Ohne Moderator ging also diese Oscar-Show über die Bühne, das gab's 1989 schon mal. Da konnten sich ja jetzt theoretisch die Preispaten, die also die Preise überreicht haben, richtig ausbreiten und witzig sein. Haben Sie diese Chance genutzt?
Tegeler: Na ja, teilweise. Also wenn wir mal an die Macht der Sprache glauben, und daran glauben, dass es auch wichtig ist, für die Identität, wie sich Filmemacher, die ja auch nun Menschen bestimmter Ethnien sind, sich ausdrücken in so einer Veranstaltung, dann ist es natürlich schon interessant, dass Javier Bardem, der Spanier, und Diego Luna, der Mexikaner, dass die tatsächlich in ihrer eigenen Sprache, nicht dem Englischen, geredet haben … ja, das, fand ich, klang schon erstmal sehr interessant.
Bemerkung gegen die Mauer
Fischer: Ja, Diego Luna hat gesagt, "es ist möglich, Spanisch bei den Oscars zu sprechen, sie haben uns die Türen geöffnet und wir gehen nicht mehr weg". Und Bardem hatte auch so was gesagt, wie: "Es gibt keine Grenzen, keine Mauern." Also das Thema Ausgrenzung, Mexiko, Rassismus, beziehungsweise - mal positiv ausgewirkt gedrückt – Diversität. Wurde schon häufiger direkt oder indirekt angesprochen bei den Dankesreden.
Tegeler: Von Anfang an, also die drei Präsentatoren, die für einen Moment so getan haben, als wären sie Host - Tina Fey, Amy Poehler und Maya Rudolph -, die haben auch gleich von Anfang an eine Bemerkung gegen die Mauer, sprich: gegen das politische Klima unter Trump, gemacht. Also das war schon präsent, und es waren ja nicht nur die Latinos - wenn man unter dem Begriff der Diversität diese Oscar Veranstaltung anschaut - nicht nur die Latinos, also die wenigen, die ausgezeichnet worden sind … Man darf nicht vergessen: auch Alfonso Cuarón ist, wie Diego Luna, Mexikaner. Aber natürlich auch das afroamerikanische Kino im was ja mit der "besten Nebendarstellerin" und mit dem "besten Nebendarsteller", mit dem "besten adaptierten Drehbuch" und drei Oscars immerhin für "Black Panther" auch schon eine ziemliche Zahl von Auszeichnungen bekommen hat. Und das ist natürlich auch etwas, was diese Veranstaltung – ohne, dass sie jetzt jemand sich mit einem großen antirassistischen Monolog vor das Millionenpublikum der Welt gestellt hat – ist das natürlich Ausdruck für etwas.
Fischer: Ja, und vergessen wir nicht den Hauptgewinner ja, "bester Film", des Abends: "Green Book" - Rassismus ein bisschen unterhaltsam und soft vielleicht, aber das Thema ist bedient.
Tegeler: Das Thema ist bedient, und ich denke, das ist so wie mit der Sprache, der Identität, so ist natürlich auch dieses Thema gesetzt. Man sollte allerdings dann auch ganz deutlich sagen: Es war immerhin ja auch nominiert für den Oscar für den "besten Film" neben "Green Book" auch Spike Lees "BlacKkKlansman", der ja deutlich bessere ist. Und vor allen Dingen der Film ist, der natürlich auch das Thema Rassismus nicht nur als historisches Thema in den 60er-Jahren beleuchtet, sondern ganz klar auch eine Linie ins Heute zieht. Also der Film spielt in den 1970er-Jahren und macht mit seinem, wenn man so will, Epilog ein ganz klaren Schnitt ins Heute. Auf der anderen Seite -und wir sollten eben dann auch nie vergessen -, die Oscar-Verleihung ist eben kein Politseminar, wenn man sich anguckt, welche schauspielerischen Leistungen Viggo Mortensen, der Hauptdarsteller in "Green Book" und Mahershala Ali, der zweite Hauptdarsteller in "Green Book", was die auf die Leinwand zaubern, das ist natürlich so großartig, dass man den Film, auch wenn man ihn politisch ja - sagen wir mal - ein weichgewaschenes Rassismus-Drama nennen muss, ist es natürlich faszinierend das zu sehen. Und ich denke, das macht diesen Film - auch wenn er anders als Spike Lees funktioniert, in jedem Fall zu einem sehenswerten.
Fischer: Ja, Stichwort Diversität. Auch die Frauen kamen ganz schlecht weg - keine Regisseurin überhaupt, nur nominiert bei den Drehbüchern. Wäre die Chance dagewesen zweimal, aber man hat sie vertan. Verlierer des Abends, müsste man sagen: "The Favourite", zehn Nominierung, ein Preis für Olivia Colman als Queen Anne.
Tegeler:Großartig, aber ja, großartiger Film. Und sie hat ja den Preis für die "beste Hauptdarstellerin" gewonnen und ich glaube, man kann sich über vieles, was heute Nacht da Geschehen ist, streiten, aber man wird sich nicht darüber streiten können, dass Olivia Coleman eine grandiose Schauspielerin in diesem grandiosen Film "The Favourite" ist. Und übrigens hatte sie auch noch einen unglaublich witzigen Auftritt, die war so verwirrt und so "durch den Wind", wie wir in Norddeutschland sagen, dass ich schon glauben könnte, dass das authentisch war, als sie da so bisschen vor sich her stammelte.
Fischer: Ja, das waren die Oscars 2019. Das sei noch ergänzt: Nach starken und prominenten Protesten gegen den Plan, die Preisverleihung bei "Kamera", "Schnitt", "Live Action", "Kurzfilm" und "Make-up" in die Werbepausen zu verlegen, hat man dann doch davon abgelassen. Ich meine: Clooney, Pitt, Bullock, De Niro, Tarantino, Scorsese – alle haben dagegen gewettert und den hat man dann besser mal gehorcht. Vielen Dank, Hartwig Tegeler.