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Auf der Reise zum Ich

Von der Freundschaft zwischen einem schwarzen Pianisten und seinem weißen Chauffeur erzählt „Green Book“. Clint Eastwoods neuer Film "The Mule" zeigt die Karriere eine 90-jährigen Drogenkuriers. „Der letzte Jolly Boy“ ist das Porträt eines Holocaust-Überlebenden und der Orte seiner Vergangenheit.

Von Hartwig Tegeler | 30.01.2019
    Viggo Mortensen und Mahershala Ali in The Green Book
    Die zwei Hauptdarsteller aus dem Film "Green Book": Viggo Mortenson und Mahershala Ali (imago stock&people)
    Ein Künstler im Auto mit Fahrer auf Tournee durch die Südstaaten. 1962. Nur ist dieser Künstler Afroamerikaner und der Chauffeur weiß. Dass Peter Farrelly in "Green Book" mit dieser Grundkonstellation reichlich Stoff für einen Cultural Clash hat: klar. Tony aus der Bronx, Rausschmeißer, auch Rassist, braucht den Fahrerjob. Aber auch der Pianist Don Shirley braucht Tony, und zwar als Bodyguard im rassistischen Süden. Apropos Cultural Clash: Tony, Fresssack vor dem Herren, fährt, während er sich das fette panierte Hühnchen rein schaufelt. Hinten, im Fond, der schwarze Kulturbürger.
    "Es ist, es ist nur irgendwie so unhygienisch."
    "Hauptsache, es schmeckt."
    Meint Pragmatiker Tony, der mit der Ironie seines Arbeitgebers wenig anfangen kann. In der Bronx ging's einfach, auch sprachlich, geradeaus.
    "Wie schmeckt das?"
    "Salzig!"
    "Haben Sie mal erwogen, Gastro-Kritiker zu werden?"
    "Nein, eigentlich nicht. Verdient man da gut?"
    Gegenwärtiger Rassismus
    Der Filmtitel "Green Book" bezieht sich auf das "Negro Motorist Green Book" des Postboten Victor Green, mit dem der in den 1930er-Jahren einen Südstaaten-Reiseführer für Afroamerikaner schrieb und auflistete, wo sie tanken, übernachten oder essen konnten. In den 60ern hat sich das grüne Buch keineswegs erledigt, wie wir sehen. Aber man hat das Gefühl, dass Regisseur Farrelly nicht glaubt, dass so ein Reiseführer heute historisch vollkommen obsolet wäre. Weil dieser Film auch etwas über die Gegenwart erzählt, wirken bestimmte Szenen verstörend. Wenn Don beispielsweise in dem Luxushotel, in dem er am Abend ein Konzert geben soll, nicht die Toilette benutzen darf, weil die nur für Weiße ist. Für solche Situationen hat Don Moralphilosophisches parat:
    "Man siegt nie mit Gewalt, Tony. Gewinnen kann man nur, wenn man seine Würde bewahrt. Würde obsiegt immer."
    Worte, die allerdings in Widerspruch zur Flasche Bourbon stehen, die Don jeden Abend trinkt. In "Green Book" geht es um die Annäherung von Tony und Don, die am Ende zu dick aufgetragen wirken könnte, wenn Viggo Mortensen und Marhershala Ali dieses ungleiche Paar nicht so überzeugend spielen würden. Man muss das nicht als gesellschaftliche Utopie verkaufen, aber "Green Book" hält der rassistischen Welt eine Geschichte über Verständigung entgegen.
    "Green Book" von Peter Farrelly – empfehlenswert.
    Polizeikontrolle auf dem Highway, während Earl die Drogenpakete in der Tasche in seinem Kofferraum entdeckt, besser ihre Größe realisiert:
    "Ach du Scheiße."
    "Brauchen Sie Hilfe, Sir?"
    "Oh, Officer, hi."
    "Was haben Sie da?"
    "Pekannüsse."
    Erzählung über Vergänglichkeit
    Und eben seine aktuelle Ladung Koks. Aber da Earl 90 Jahre alt ist, kommt bei diesem leicht abwesend wirkenden Alten keiner auf die Idee, dass der als Kurier für ein mexikanisches Drogenkartell arbeitet. Die skurrile Story inszeniert Regisseur Clint Eastwood – Hauptdarsteller: Eastwood – als Erzählung über die Vergänglichkeit und über nicht sehr schöne Erinnerungen an falsche Lebensentscheidungen.
    "Ich habe gedacht, es wäre wichtiger, jemand da draußen zu sein, statt der Versager, der ich in meinem eigenen Haus war."
    In "The Mule" geht es um die melancholische Reflexion über das Alter. Wobei Earl, 90 wie gesagt, als Koks-Kurier einige Schlitzohrigkeit an den Tag legt. Schön, wie die Figuren um ihn herum, die Fahnder, die Drogengangster, die falschen und richtigen Freunde wie Zitate alter Eastwood-Figuren aus den vergangenen Filmen vergangener Zeiten erscheinen, auf die der alte Mann, der vergnügt im Pickup über die ewigen Highways fährt, milde herabschaut. Und dabei Jazz und Country hört und mit den faltigen Lippen mitsummt.
    "The Mule" von Clint Eastwood – empfehlenswert.
    Leon Schwarzbaum war, als Filmemacher Hans-Erich Viet mit ihm auf Reise in seine Vergangenheit ging, 97 Jahre alt. Der Titel der Doku, "Der letzte Jolly Boy", bezieht sich auf die Gruppe jüdischer Schüler, die im polnischen Bedzin amerikanischen Swing-a-capella spielten. Dann überfielen die Nazis Leon Schwarzbaums Heimat. Er überlebte mehrere Konzentrationslager, auch Auschwitz.
    "Wir haben gewusst, dass wir nun auch eines Tage umgebracht werden. Dass wir keine Chance haben zu überleben. Aber das Schicksal wollte anders."
    Unendliches Leid
    Viele Jahre lang schwieg Leon Schwarzbaum. Dann begann er zu erzählen, und an die Orte dieser Vergangenheit reiste Hans-Erich Viet über drei Jahre lang mit dem alten Mann. Es zeigt sich: Nichts ist verschwunden aus Inneren dieses alten Mannes, wenn er in Auschwitz Zaun steht, wenn er 2016 als Nebenkläger beim Auschwitz-Prozess in Detmold auftritt. "Der letzte Jolly Boy" gewinnt seine Wucht über die Ausstrahlung Leon Schwarzbaums. Immer wirkt er sehr höflich, aber immer ist da auch etwas Anderes, was Filmemacher Hans-Erich Viet einzufangen gelingt: Es ist das unendliche Leid, das dieser Mann erfahren hat, die Hölle, die er erlebte, was ihm, wenn wir ihn sehen, mit einer unendlichen Last ausstattet und einer ungeheuren Würde.
    "Der letzte Jolly Boy" von Hans-Erich Viet – herausragend.