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Ab in den Knast

Für Ungelernte bleiben die Aussichten auf dem Arbeitsmarkt düster. Die JVA im niedersächsischen Lingen begegnet der Lehrstellennot mit einer ungewöhnlichen Initiative: Sie bietet in ihren Werkstätten auch Nichtinsassen einen Ausbildungsplatz zum Tischler.

Von Britta Nareyka |
    Der Weg zur Arbeit führt Til Fährmann und Jasmin Mulgat direkt in den Knast. Jeden Morgen, kurz vor sieben beginnt der Tag mit der Ausweiskontrolle am Gefängnistor. Die Außenstelle Damschke der JVA Lingen – ein offener Vollzug. Das bedeutet: keine Gitter vor den Fenstern, keine hohen Zäune. Doch trotzdem: Knast bleibt Knast. Und daran mussten sich auch Til und Jasmin erst gewöhnen.

    Til Fährmann: "Man geht rein und denkt sich so: Ich geh in den Knast. Das ist schon ein anderes Gefühl, als wenn man woanders hingeht."

    Jasmin Mulgat: "Ich wusste nicht, was auf mich zukommt, ich wusste nicht, was für Leute hier sind."

    Der direkte Kontakt mit den Gefangenen verunsichert die jungen Leute. Gerade zu Beginn der Ausbildung, in den ersten Tagen, lassen sich Ängste oft nicht verbergen. Das hat auch Ausbildungsleiter Helmut Fels festgestellt:

    "Die Scheu ist erst da, die Scheu das man sagt, der Gefangene auf der einen Seite und ich als frischer Lehrling, der hier reinkommt, hab natürlich erst ein Problem. Ich weiß nicht, was für Leute das sind, ich weiß nicht, was da mit denen abgeht und man hat ja gewisse Vorstellungen."

    Auch der 17-jährige Til Fährmann hat sich im Vorfeld viele Gedanken gemacht. Wie ist das wohl mit Kriminellen zusammenzuarbeiten? Das Kopfkino hat dem Emsländer lange keine Ruhe gelassen.

    "Klar, die haben schon was gemacht und man muss den Abstand halten. Aber man muss auch mit denen reden, wenn man was nicht weiß. Aber nach einer Zeit gewöhnt man sich eigentlich ziemlich dran."

    Die Zusammenarbeit klappt immer besser. Beim gemeinsamen Schrauben und Bohren sinkt die Hemmschwelle. Mittlerweile hat Til kein Problem mehr damit nachzufragen. Schließlich will er wissen, mit wem er es zu tun hat.

    Häftling Sven Thoms hat damit kein Problem. Mit Details zu seiner Vergangenheit hält er sich zwar zurück. Doch zumindest so viel: Er ist Schwarzgefahren. Im Auto, ohne Führerschein.

    "Ich bin jetzt schon ein halbes Jahr hier und habe jetzt noch ein halbes Jahr. Und ja, ist halt so gelaufen und ich wurde halt dabei erwischt und sitz jetzt halt meine Strafe ab."

    Für die Gefangenen bedeutet die Arbeit mit den Azubis auch ein Stück weit Verantwortung. Ein wichtiger Schritt – auch für die eigene Zukunft, glaubt Ausbildungsleiter Helmut Fels.

    "Die Gefangenen haben den Umgang mit den jungen Leuten und die sehen halt, dass diese Leute von draußen auch genauso behandelt werden wollen wie sie auch. Von daher ist dieser Kontakt, dieses Miteinander, kommt denen zum Vorteil, ja."

    Til und Jasmin sind im ersten Lehrjahr. 440 Euro brutto verdienen die beiden im Monat. Nicht mehr und nicht weniger als in anderen Tischlerbetrieben. Und trotzdem: Der Knast war für beide nicht die erste Wahl. Bei Jasmin sogar so etwas wie eine letzte Chance.

    "Ich hab schon versucht irgendwo anders eine Ausbildungsstelle zu finden, hab aber auch nur Absagen bekommen und dann hab ich auch gehört vom Arbeitsamt, dass man auch hier Ausbildung machen kann und dann bin ich übers Arbeitsamt auch hier drangekommen."

    Die ungewöhnliche Ausbildungsinitiative der JVA hat sich mittlerweile bewährt. Schon seit 13 Jahren werden hier in Lingen nun Lehrlinge ausgebildet. Und das mit großem Erfolg, sagt Ausbildungsleiter Helmut Fels.

    "23 waren's, ja. Und die sind hinterher immer irgendwo untergekommen. Das passte."

    Gute Voraussetzungen also auch für Til und Jasmin. Jetzt heißt es durchhalten.

    Jasmin Mulgat: "Erst mal erhoffe ich's mir, dass ich es überhaupt bestehe und dass ich dann auch irgendwo weiterarbeiten kann."

    Noch haben sie zwei Ausbildungsjahre vor sich. Doch ganz egal, was am Ende dabei raus kommt. Die positive Lehrzeit im Knast kann Til und Jasmin schon heute keiner mehr nehmen.