Kaess: Das hört sich dennoch sehr skeptisch an. Welche Befürchtungen haben Sie denn?
Zimmermann: Die israelischen Politiker befürchten, dass es alles nur eine Art Waffenstillstand sein wird und wenn die Palästinenser irgendwann mal sich doch für die Vorsetzung der Intifada entscheiden, dass sie dann besser vorbereitet in die nächste Phase gehen. Das ist die Vermutung auf dem rechten Flügel in Israel, das ist die Befürchtung eigentlich der Mehrheit. Man ignoriert die Tatsache, dass Israel auch mit verantwortlich ist für diese Situation und für diesen Teufelskreis.
Kaess: Abbas hatte ja die Wahlen mit knapp über 60 Prozent der Stimme gewonnen. Das ist ein eindeutiger Sieg. Allerdings sind viele Palästinenser nach einem Aufruf der Hamas, die Wahlen zu boykottieren, gar nicht wählen gegangen. Wie viel Rückhalt hat Abbas denn bei einer Annäherung an Israel im palästinensischen Volk?
Zimmermann: Das ist ja das Ziel von Abbas, so viel Rückhalt wie möglich zu erhalten. Er führt Gespräche nicht nur mit Israel, sondern auch mit der Opposition im palästinensischen Lager, mit Hamas und mit Dschihad und mit den anderen Gruppierungen, die für die Vorsetzung der bewaffneten Intifada sind und da hat er bisher große Fortschritte gemacht. Dass es eine Garantie ist dafür, dass keine Rakete in Israel fällt, oder keine Bombe wieder hochgeht, das ist nicht der Fall. Aber er versucht es und diese Versuche sind schon wichtig genug, um Israel eine neue Hoffnung zu geben.
Kaess: Wird sich Abbas denn auch halten können, wenn er, wie er angekündigt hat, in der palästinensischen Autonomiebehörde hart gegen Korruption vorgehen wird?
Zimmermann: Also das wird ihm sogar noch mehr Rückenstärkung geben. Eine Sache, die auch die Palästinenser, alle Palästinenser unterstützen werden, ist ein Kampf gegen die Korruption. Das ist eine klare Sache. Und die korrumpierten Eliten, die werden das akzeptieren müssen. Das ist nicht das Problem. Das Problem ist, dass er die Extremisten in seinem Lager zähmen muss, um eben irgendwelche Erfolge zu erzielen und Erfolg bedeutet, dass Israel nachgiebig sein wird, oder kompromissbereit sein wird. Wenn Israel kompromissbereit sein wird, dann kann er die Opposition zwar nicht ausschalten, aber dann kann er die mindestens zähmen und das ist eben das Ziel, nicht nur seiner Politik, oder der Politik Israels, sondern das ist die Politik aller Interessenten, Ägypten und Europa und Amerika.
Kaess: Angeblich hat Abbas gute Kontakte zu den radikalen Gruppen, wie der Hamas oder dem Islamischen Dschihad. Ist das eine gute Basis, oder kann das genauso schnell umschlagen und die Stimmung gegen ihn sich wenden?
Zimmermann: Im Nahen Osten kommen die erratischen Änderungen immer wieder vor. Etwas Stabiles kann man hier nicht auf Anhieb schaffen. Die guten Beziehungen hatte auch Arafat, nur hatte Arafat nicht die Absicht gehabt, zu zeigen, dass er bereit ist, Extremisten oder kampfbereite Palästinenser zu bremsen. Das ist anders bei Abbas und das wird er versuchen. Aber wie gesagt, eine Garantie für eine ewige Ruhe oder für den ewigen Frieden ist das nicht und in dem Moment, wo Israel dann auch etwa erratisch reagiert, kann wieder der Teufelskreis sich öffnen.
Kaess: Wie weit sind denn die Palästinenser bereit und gehen in den Verhandlungen?
Zimmermann: Die Palästinenser brauchen irgendwie ein Quid pro quo, die müssen etwas mitbringen, etwas gewinnen aus diesen Verhandlungen, sonst bedeutet es eine Niederlage und wenn es eine Niederlage ist, rein psychologisch gesehen, kommt die nächste Phase der Intifada garantiert. Nur Israel hat große Probleme mit der Kompromissbereitschaft. Was bedeutet Kompromissbereitschaft? Bedeutet sie der Verzicht auf die gesamten besetzen Gebiete oder ist es nur die Freilassung von Palästinensern, palästinensischen Terroristen? Darum gibt es jetzt die Verhandlungen und darüber muss man mindestens zum Teil oder mindestens über den ersten Schritt am Dienstag entscheiden.
Kaess: Sie haben es gerade angesprochen: Israel hat angekündigt, palästinensische Gefangene frei zu lassen, aber bereits jetzt streiten sich beide Seiten über die genaue Anzahl. Von palästinensischer Seite ist bereits verkündet worden, dies sei entscheidend für den Erfolg des Gipfels. Ist das ein Indiz dafür, dass die Gespräche vielleicht doch nicht ernst genommen werden oder vielleicht sogar torpediert werden?
Zimmermann: Eher umgekehrt, weil eben diese Gespräche ernst genommen werden, ist das Thema Gefangene plötzlich so hoch auf der Rangliste. Für Israel geht es nicht nur um die Zahl, wie für die Palästinenser, es geht auch viel mehr darum, welche Art von Gefangenen freigelassen wird. Es galt die Parole hier in Israel immer "Wir sind bereit hier kompromissbereit zu sein, nur wenn die Inhaftierten, die wir frei lassen, kein", so heißt es, "But auf den Händen haben" und jetzt bedeutet es, wenn Israel oder die israelische Politik, die israelische Regierung nachgibt, dass man nicht nur harmlose Gefangene freilässt, sondern auch Gefangene, die tatsächlich an Terroraktionen teilgenommen haben. Darum geht es. Aber meines Erachtens, wenn Israel hier Kompromissbereitschaft zeigt, bedeutet das für die Palästinenser, dass sie etwas errungen haben, etwas geschafft haben und das erzeugt mehr Rückhalt für Abbas bei den nächsten Schritten in den Verhandlungen mit Israel.
Kaess: Der israelische Historiker Moshe Zimmermann war das, über Aussichten auf einen Frieden im Nahen Osten.