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Aberdeen und das Öl (5/5)
Windpark statt Bohrinsel

Die schottische Stadt Aberdeen rüstet sich mit neuen Technologien und Ideen für die Zeit nach dem Öl. Der sanfteste Teil des Strukturwandels könnte der Übergang zu erneuerbaren Energien sein, denn Wind und Wellen gibt es im Überfluss. Im Hintergrund spielt das Öl aber noch immer noch eine große Rolle.

Von Erik Albrecht | 28.09.2018
    Ein Dudelsackspieler spielt bei der Eröffnung des "European Offshore Wind Deployment Centre" von Vattenfall vor der schottischen Küste bei Aberdeen
    Ein Dudelsackspieler spielt bei der Eröffnung des "European Offshore Wind Deployment Centre" von Vattenfall vor Aberdeens Küste - der neue Windpark produziert 70 Prozent des Stroms, den die Haushalte der Stadt verbrauchen (picture alliance/ Michal Wachucik/PA Wire)
    "Yeah, I texted Kelly earlier so she booked us in for another night. So we are staying Sunday as well." "Oh, you’re very welcome!"
    Zwei Ferienhäuser für eine weitere Nacht vermietet – für Bob McAlpine zählen derzeit noch die kleinen Erfolge. Seit März betreibt der frühere Ölmanager die Dalriada Lodges, acht 5-Sterne-Chalets mit Blick über die Bucht von Stonehaven, etwa 30 Kilometer südlich von Aberdeen. Geplant war das nicht.
    "Das sollte eigentlich der Ruhesitz für mich und meine Familie und meine Frau entstehen. Aber nach dem Niedergang der Öl- und Gas-Industrie haben wir entschieden, dass wir ein Business brauchen, keinen Ruhesitz."
    Aberdeen hofft auf den Tourismus
    McAlpine war 60, als der Ölpreis einbrach. Seinen Ruhestand hier in Stonehaven hatte er eigentlich erst für ein paar Jahre später geplant. Doch dann baten ihn seine Geschäftspartner, früher aus der gemeinsamen Firma auszusteigen. Damals kam ihm die Idee mit Luxusferienhäusern, erzählt McAlpine:
    "So etwas hatte ich noch nie gemacht. Bei Öl-Tagungen kannte ich normalerweise etwa 50 Prozent der Teilnehmer, bei einer Tourismus-Tagung keinen einzigen. Wir mussten also neue Kontakte knüpfen und lernen, wie man in der Branche arbeitet."
    Bob McAlpine ist zufrieden mit seiner ersten Saison. Seit Mai war stets mindestens eines seiner Chalets belegt, sagt er, während er die Küche in einer der Wohnungen kontrolliert. Langfristig hofft McAlpine auf eine zweistellige Rendite.
    Und auch Aberdeen hofft auf den Tourismus – als Zukunftsbranche. Bis 2020 soll sich der Umsatz mit den Gästen fast verdoppeln.
    Seit 2015 arbeitet die Stadt an einem Masterplan für die Zeit nach dem Öl. Das Geld dazu stammt – wie sollte es auch anders sein – aus der Ölindustrie.
    Ein neuer Campus für Biowissenschaften
    Der Plan ist ehrgeizig: Neben dem Tourismus und der Energiewirtschaft soll Aberdeen in Zukunft von Biowissenschaften, Digitalwirtschaft sowie Landwirtschaft und der Lebensmittelindustrie leben. Für die Biowissenschaften soll um das zentrale Krankenhaus in Aberdeen herum ein Campus entstehen.
    "Wir führen alle Arbeitsschritte in diesem keimfreien Raum durch. Zwei Mitarbeiter stellen hier in Vollzeit unsere Produkte für Kliniken her."
    Stolz zeigt James McIlroy – Jeans, leger geknöpftes Hemd, darüber ein Kapuzenpulli, wie es sich für einen Start-up-Gründer gehört – das Labor seiner Firma Enterobiotix. Der 25-Jährige will sein Team bald von 8 auf 20 Mitarbeiter vergrößern. Für die Stadt ist Enterobiotix eine Art Aushängeschild, das für Aberdeens Zukunft steht.
    James McIlroy im Labor seiner Firma Enterobiotix in Aberdeen/ Schottland
    James McIlroy im Labor seiner Firma Enterobiotix in Aberdeen - für die Stadt eine Art Aushängeschild, das für die Zukunft nach dem Öl steht (Deutschlandradio/ Erik Albrecht)
    40.000 Jobs in der Ölbranche sind schwer zu ersetzen
    Anfang des Sommers hat McIlroy seinen Abschluss in Medizin gemacht. Seitdem absolviert er halbtags im Krankenhaus auf der anderen Straßenseite eine Ausbildung zum Arzt, während er gleichzeitig seine Firma aufbaut. Seine Geschäftsidee: Ein Medikament, das die Darmflora gesunder Menschen für Menschen mit schweren Darminfektionen nutzbar macht.
    "Es gibt ein großes Potenzial, Krankheiten durch die Beeinflussung der Darmflora zu heilen. Und unsere Firma kann global eine sehr wichtige Rolle spielen. Und dabei helfen zu erforschen, welche Bestandteile bei diesen Fäkaltransplantationen tatsächlich medizinisch wirksam sind."
    Allein im Vereinigten Königreich sind jährlich 15.000 Menschen auf solche Transplantationen angewiesen, die Ärzte bislang händisch und direkt vor Ort durchführen.
    2.500 Menschen arbeiten in Aberdeen heute schon im Bereich der Biowissenschaften. Dennoch dürfte die hochspezialisierte Branche langfristig nur einen Bruchteil der etwa 40.000 Jobs im Öl- und Gassektor ersetzen.
    Zukunftsbranche Windkraft
    Ein Stück die Küste hinauf erledigen Bagger noch letzte Erdarbeiten rund um eine neue Trafostation. Auf dem Wasser drehen sich die dazugehörigen Windräder majestätisch im Wind. Ein paar Meilen weiter ankern Versorgungsschiffe für die Ölindustrie auf dem offenen Meer, um Hafengebühren zu sparen. Auch Zukunftsbranchen sind in Aberdeen immer nur einen Steinwurf von der Ölindustrie entfernt.
    191 Meter hoch ragen die Windkraftanlagen in den grauen schottischen Himmel. Die Spannweite der Rotorblätter beträgt 164 Meter. Die elf Windräder zählten zu den größten der Welt, sagt Natalie Ghazi vom Energiekonzern Vattenfall, der den Windpark betreibt.
    "Er produziert 70 Prozent des Stroms, den Aberdeens Haushalte verbrauchen. Dieser Windpark versorgt also 80.000 Häuser im Jahr."
    Der Windpark ist für Vattenfall ein Prestige- und Forschungsprojekt. Dicke Unterseekabel leiten den Strom des Windparks unter einer doppelt so hohen Spannung wie üblich an die Trafostation und vermeiden so Energieverluste. Und auch die Verankerung der Windräder auf dem Meeresboden ist neu: Statt ihre Fundamente in den Meeresboden zu bohren, halten gewaltige Saugnäpfe die Turbinen – eine Technik, die bislang nur bei Bohrinseln verwendet wurde, sagt Ghazi.
    "Während des Baus haben wir mit lokalen Firmen gearbeitet, die Expertise in Offshore-Anlagen haben. Mal im Öl- und Gas-Geschäft, mal im Bereich der erneuerbaren Energien. Zudem kamen viele Mitarbeiter aus dem Öl- und Gas-Sektor."
    Der Abschied vom Öl dauert lange
    Der Übergang zu erneuerbaren Energien – für Aberdeens Wirtschaft könnte es der sanfteste Teil des Strukturwandels sein. Wind und Wellen hat die Stadt im Überfluss. Und im Gegensatz zu den übrigen Zukunftsbranchen können Ingenieure, Projektplaner und Arbeiter viele ihrer Fähigkeiten aus dem traditionellen Energiesektor auch bei alternativen Energien nutzen. Auch Natalie Ghazi arbeitete zuvor für eine Ölfirma.
    Während Ghazi über den Windpark erzählt, fliegen immer wieder Hubschrauber über die elf Windräder. Sie bringen Ölarbeiter von den Bohrinseln zurück an Land. Vattenfalls Windpark liegt direkt in der Einflugschneise des Flughafens.
    Die Öl- und Gasindustrie ist auch nach der Krise immer noch wichtiger als die Zukunftsbranchen. Der Abschied vom Öl – für Aberdeen ist es noch ein langer Weg.