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Abfall, Klima und Chemie in der EU
Die Umweltkosten werden ignoriert

Lärm und schlechte Luft infolge von Gütertransporten sind nur ein Beispiel: es hapert in Europa an einer effizienten gemeinsamen Umwelt- und Klimapolitik. "Die EU müsste unseren wirtschaftlichen Kreislauf anders gestalten", kritisieren Umweltschützer. Mehr lokale Produktion wäre eine Option.

Von Peter Sawicki | 23.03.2017
    Preis des Komforts? Der Transport der Güter von A nach B belastet unsere Umwelt in erheblichem Maße.
    Preis des Komforts? Der Transport der Güter von A nach B belastet unsere Umwelt in erheblichem Maße. (imago/7aktuell)
    Leben in einem ausgeglichenen Klima, nachhaltig Wirtschaften. Nur einige der Ziele, die sich die EU-Mitgliedsstaaten in ihrem Umweltaktionsprogramm gemeinsam gesetzt haben, und die sie in einem Video bewerben.
    Dass Umwelt- und Klimapolitik heute auf europäischer Ebene behandelt werden, war vor 60 Jahren nicht abzusehen. Im März 1957, als die Römischen Verträge unterzeichnet wurden, stand die wirtschaftliche Zusammenarbeit im Vordergrund. Umweltschutz war – wenn überhaupt – eine nationale Sache. Das änderte sich nach und nach. Seit 1987 hat die EU bei dem Thema den Hut auf. Die meisten Umweltgesetze in Deutschland entstehen nach Vorgaben, die EU-Parlament, Kommission und Mitgliedsstaaten gemeinsam in Brüssel erarbeiten. Zu Recht, betont der Europaabgeordnete Peter Liese:
    "Erstens hat noch nie ein Schadstoff an der Grenze den Pass vorgezeigt. Es geht durch die Luft, durch das Wasser in alle Mitgliedsstaaten. Und zweitens ist es auch eine Frage der Wettbewerbsfähigkeit."
    Gleiche EU-Auflagen zum Schutz von Umwelt und Wirtschaft
    Sprich: Wenn die Auflagen gleich sind und alle Länder ihre Produktion danach ausrichten, profitiert jeder davon – Umwelt und Wirtschaft. Und auch sonst helfe ein gemeinsamer Umweltschutz allen in Europa. Als Beispiel nennt der gelernte Kinderarzt Liese den Abbau des Schadstoffs Dioxin. Als Nebenprodukt chemischer Reaktionen war Dioxin lange Zeit über den Boden in Lebensmittel gelangt, darüber dann länderübergreifend etwa in die Muttermilch. Das sei heute anders:
    "Ich habe in den 90er-Jahren in einer Kinderklinik gearbeitet und dort haben wir tatsächlich den Müttern empfohlen, ihre Kinder nicht zu stillen. Jedenfalls nicht zu lange. Weil irgendwann die Nachteile durch die Dioxinbelastung in der Muttermilch größer sind als die Vorteile des Stillens. Jetzt ist es aber dadurch, dass wir verschiedene Regelungen ergriffen haben, um Dioxin aus der Umwelt zu entfernen, zum Beispiel bei Industrieanlagen, zu einem drastischen Rückgang von Dioxin gekommen. Und man kann jetzt wieder ruhigen Gewissens sagen: Stillen ist das Beste für Ihr Kind."
    Umweltschutz: Einige Staaten haben immer noch Nachholbedarf
    Umgang mit Chemikalien, Recycling von Abfall, Maßnahmen zum Natur- und Klimaschutz. Die EU verordnet ihren Mitgliedsstaaten in vielen Bereichen regelmäßig strenge Vorgaben. Was aber nicht heißt, dass alle EU-Länder diese gleich gut umsetzen. Im Februar kritisierte Umweltkommissar Karmenu Vella:
    "Eine lückenhafte Umsetzung der Umweltrichtlinien hilft niemandem weiter. Der EU-Kommission ist daran gelegen, den Mitgliedsstaaten dabei zu helfen, die Qualität ihrer Luft und ihres Wassers auf ein hohes Niveau zu heben. Einige Staaten haben in diesen Bereichen aber weiterhin Nachholbedarf."
    Kritiker sagen, die EU habe Umweltkosten nahezu ignoriert
    Umweltverbände spielen aber den Ball zurück nach Brüssel: Wenn EU-Richtlinien uneinheitlich umgesetzt würden, sei dies häufig Folge eines zu vagen Rahmengesetzes auf EU-Ebene und zu laschen Sanktionen bei Nichtbefolgung. Magda Stoczkiewicz leitet das Büro von "Friends of the Earth", dem Brüsseler Dachverband europäischer Umweltverbände.
    Sie meint, die EU habe sogenannte externe Umweltkosten des offenen Binnenmarktes nahezu ignoriert. Dazu gehören zum Beispiel Lärm und schlechte Luft infolge von Gütertransporten. Schuld daran seien wenig sinnvolle Marktmechanismen, meint Stoczkiewicz:
    "Die EU müsste unseren wirtschaftlichen Kreislauf anders gestalten, andere Anreize schaffen. Es ist doch zum Beispiel so, dass wenn man Parmaschinken herstellen will und dafür Schweine aus den Niederlanden erst nach Italien transportieren muss, damit sie dort verarbeitet werden – dann stimmt doch mit dem System etwas nicht."
    Stoczkiewicz plädiert dafür, Güter verstärkt auf lokaler Ebene zu produzieren, um externe Umweltkosten besser in den Griff zu bekommen. Dieses Ziel ist auch im aktuellen Umweltaktionsprogramm der EU enthalten. Bis 2020, wenn das Programm ausläuft, bleibt noch viel zu tun.