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Abgasskandal
Hofreiter kritisiert Zurückhaltung der Bundesregierung

Der Grünen-Fraktionsvorsitzende Anton Hofreiter hat der Bundesregierung mangelnden Aufklärungswillen im Abgasskandal vorgeworfen. Verkehrsminister Alexander Dobrindt agiere sehr zurückhaltend, sagte Hofreiter im Deutschlandfunk. Der Staat dürfe nicht auf "Treu und Glauben" handeln.

Anton Hofreiter im Gespräch mit Christine Heuer | 26.04.2016
    Grünen-Fraktionsvorsitzender Anton Hofreiter spricht am 1.7.2015 im deutschen Bundestag
    Der Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, Anton Hofreiter. (dpa / picture alliance / Wolfgang Kumm)
    Hofreiter forderte, es müssten mehr Kontrollen beim Kraftfahrtbundesamt und beim Umweltbundesamt gemacht werden. Zudem bezeichnete er es als schwer vorstellbar, dass die Spitze des VW-Konzerns nichts von dem Betrug gewusst habe, obwohl offenbar alle Führungskräfte unterhalb der Vorstandsebene an den Manipulationen beteiligt gewesen seien.
    Mit Blick auf den heutigen Autogipfel im Kanzleramt betonte der Grünen-Poitiker, es müsse ein kluges Förderprogramm für Elektroautos geben. Eine Finanzierung aus dem allgemeinen Steuertopf sei nicht richtig. Bundeskanzlerin Angela Merkel und mehrere Minister beraten am Abend mit Vertretern der Autoindustrie über eine Förderung von Elektroautos. Die Bundesregierung will nach einem Bericht des "Handelsblatts" eine Milliarde Euro zusätzlich auszugeben.

    Das Interview in voller Länge:
    Christine Heuer: Dieselgate hat VW viele Milliarden Euro gekostet, es bedroht Arbeitnehmer des Konzerns und die Kunden fühlen sich betrogen - ein Gau für den vielleicht deutschesten aller deutschen Automobilkonzerne. Aber mit der Aufklärung des Skandals kommt man bei VW offenbar nicht so recht hinterher. Die interne Untersuchung werde wohl bis Ende des Jahres dauern, hieß es zuletzt. Jetzt aber berichten NDR und WDR über erste Ergebnisse dieser internen Nachforschung. Am Telefon begrüße ich den Fraktionsvorsitzenden der Grünen im Bundestag, Anton Hofreiter, Fachpolitiker für Verkehr kann man auch sagen. Er war jahrelang Vorsitzender im Verkehrsausschuss des Bundestages. Guten Morgen, Herr Hofreiter.
    Anton Hofreiter: Guten Morgen.
    Heuer: Der interne VW-Bericht liegt nicht vor, aber es werden Details aus diesem Bericht offenbar gerade bekannt. Kann es sein, dass die Spitze, die ganz obere Spitze bei VW nichts vom Betrug wusste?
    Hofreiter: Man kann sich es schwer vorstellen bei dem Umfang des Betruges, dass die davon nichts wussten, denn es muss ihnen regelmäßig berichtet worden sein. Und wenn man sich anschaut, wie groß das Interesse von Herrn Winterkorn an technischen Fragen war, kann ich mir das beim besten Willen nicht vorstellen, dass die nicht mindestens eine Ahnung davon hatten und es dann vielleicht im Detail nicht wissen wollten. Aber im Grundsatz müssen sie es eigentlich gewusst haben.
    "VW muss eine ganze Reihe von Konsequenzen ziehen"
    Heuer: Wenn die Berichte zutreffen oder auch Ihre Interpretation, die wir gerade gehört haben, welche Konsequenzen muss man dann daraus ziehen?
    Hofreiter: Ja, man muss eine ganze Reihe von Konsequenzen ziehen. VW muss eine ganze Reihe von Konsequenzen ziehen. Da sind manche kleinere Sachen ja schon passiert, Winterkorn ist nicht mehr im Amt. Aber insbesondere muss man natürlich von Behördenseiten und von politischer Seite die Konsequenzen ziehen, dass man in der Lage ist, selber zu testen und zu überprüfen. Ich meine, es kann ja nicht sein, dass de facto bei so einer relevanten Frage im Grunde der Staat einfach auf Treu und Glauben handelt und es gar nicht genau wissen will und selbst jetzt der Verkehrsminister immer noch den Eindruck erweckt, als wenn er es gar nicht genau wissen wollte.
    Heuer: Haben Sie den Eindruck, Alexander Dobrindt mauschelt mit den Autounternehmen?
    Hofreiter: Man hat zumindest den Eindruck, dass sein Aufklärungswille ein sehr, sehr zurückhaltender ist. Nämlich man darf ja eines nicht vergessen: Wir sind inzwischen im siebten Monat des VW-Skandals und in der Zeit hätte man schon vieles, vieles erreichen können, und man hat den Eindruck, dass die ersten Daten, die wir jetzt haben, auch nur deshalb öffentlich geworden sind, weil wir inzwischen dabei sind, einen Untersuchungsausschuss einzusetzen.
    Heuer: Was konkret fordern Sie denn nun vom Verkehrsminister? Sie haben gesagt, der Staat muss die Kontrollen verschärfen und dahinter her sein. Was kann denn die Regierung konkret tun?
    Hofreiter: Die Regierung kann konkret tun, dass die verschiedenen Fahrzeugtypen nicht von der Industrie selbst getestet werden, sondern man kann einen Rollenprüfstand beim KBA, beim Kraftfahrtbundesamt, oder noch besser beim Umweltbundesamt, das im Grunde über großes technisches Wissen verfügt und auch unabhängiger ist, machen. Man kann entsprechende Real Drive Emissions, wie es so schön heißt, machen. Das heißt, man kann die Fahrzeuge auf der Straße testen. Und man kann dafür sorgen, dass Gesetze, so wie sie gedacht sind, angewendet werden und nicht plötzlich Dinge erfunden werden wie Thermofenster, wo man früher dachte, die kennt man im Grunde nur beim Neubau von Häusern, dass plötzlich erklärt wird, das in den Gesetzen ist ja gar nicht so genau ernst gemeint, unter zehn Grad oder vielleicht sogar unter 17 Grad muss die Abgasreinigungsanlage ja gar nicht an sein. Na ja, wir haben nun das Gutachten beauftragt vom wissenschaftlichen Dienst des Deutschen Bundestages. Daraus geht ganz klar hervor: Nein, das ist alles illegal. Natürlich sind die Gesetze so gemeint, wenn die Fahrzeuge auf der Straße unterwegs sind, dass sie dann die Grenzwerte einhalten und nicht so irgendwie und so ab und zu mal und wenn man glaubt, dass man sie jetzt gerade mal einhalten möchte.
    Heuer: Nach Dieselgate will die Regierung jetzt mit der Autoindustrie über Elektroautos reden und diese fördern. Müssen wir VW am Ende dankbar sein?
    Hofreiter: Na ja. VW muss man nicht dankbar sein. Aber durch den VW-Skandal oder durch den Abgasskandal, muss man ja eigentlich richtigerweise sagen, ist natürlich schon manches jetzt sehr, sehr deutlich geworden und wir sind schon in großer Sorge um die Autoindustrie. Nämlich wenn man sich anschaut: Tesla hat innerhalb von einer Woche 300.000 Neubestellungen für seinen Tesla III bekommen, obwohl man da 1.000 Euro Anzahlung leisten muss, und die deutsche Autoindustrie ist immer noch nicht in der Lage, wirklich Autos zu liefern, die eine große Reichweite haben und abgasfrei fahren. Deshalb ist es richtig, dass da endlich was getan wird, auch wenn es immer noch zu verzagt und zu wenig zielorientiert ist.
    "Wir haben so ein Bonus-Malus-System entwickelt"
    Heuer: Herr Hofreiter, finden Sie es wirklich gut, dass der Staat gerade jetzt - Dieselgate noch mal erwähnt - die Autoindustrie subventioniert?
    Hofreiter: Wir sind der Meinung, dass Null-Emissions-Autos unterstützt gehören, nicht speziell die Autoindustrie, sondern Null-Emissions-Autos. Und wir finden die Art und Weise, wie es finanziert wird, nicht richtig. Wir haben da so ein Bonus-Malus-System entwickelt. Das heißt: Leute, die Autos fahren, die besonders viele Abgase produzieren und besonders viel Benzin verbrauchen, die sollten entsprechend eine etwas höhere Kfz-Steuer bekommen, und derjenige, der ein Null-Emissions-Auto fährt, der soll einen entsprechenden Bonus bekommen über 5.000 Euro. Das heißt: Die Finanzierung aus dem allgemeinen Steuertopf halten wir für falsch. Und außerdem kann es auch sein, dass das nur ein Strohfeuer auslöst, wenn das Geld weg ist und am Ende dann überhaupt nichts bringt.
    Heuer: Aber noch mal zur Finanzierung. Das heißt: Diejenigen, die alte Autos fahren, weil sie sich neue nicht leisten können, die sollen das jetzt bezahlen?
    Hofreiter: Nein! Nicht diejenigen, die alte Autos fahren, sondern die, …
    Heuer: Na ja. Die verbrauchen ja viel Sprit, mehr als moderne.
    Hofreiter: Ja, das ist eher ein Irrtum. Gerade kleinere ältere Autos verbrauchen oft weniger Sprit als die schweren modernen SUV. Betroffen wären die teuren schweren SUV. Bezahlen müssten Menschen, die so was wie einen Porsche Cayenne fahren, so was wie einen Audi Q7.
    Heuer: Also die reichen Autofahrer?
    Hofreiter: Genau die reichen Autofahrer. Nämlich der Glaube, dass gerade die alten Autos besonders viel verbrauchen, das ist ein Irrtum. Ein alter Golf von vor zehn Jahren, der hat unter Umständen weniger verbraucht als viele moderne Autos jetzt.
    Heuer: Herr Hofreiter, anderer Vorschlag. Warum bezahlt die Industrie das nicht selbst? Die verkauft die Autos ja auch am Ende.
    Hofreiter: Das Problematische ist, dass wir ein Interesse daran haben, dass Null-Emissions-Autos gebaut werden, und wir haben auch ein Interesse daran, dass die Industrie das Ganze überlebt. Deshalb ist es in unser aller Interesse, ein kluges Förderprogramm aufzulegen, das wir schnell zu Null-Emissions-Autos kommen. Es ist im Interesse der Gesundheit der Menschen in den Städten, der Umwelt, allerdings auch im industriepolitischen Interesse. Und wie gesagt: So ein Bonus-Malus-System halte ich auch nicht für ungerecht.
    Heuer: Und die Grünen sind dafür, nach den Banken jetzt die Automobilindustrie mit Steuergeldern zu retten?
    Hofreiter: Wir sind nicht dafür, dass aus dem allgemeinen Steuertopf gerettet wird, aber wir sind dafür, dass es ein Fördersystem gibt, dass wir schnell zu modernen Autos kommen, denn wir sind der Meinung - manchmal haben wir das Gefühl, wir sind als einzige inzwischen der Meinung -, dass eine moderne Autoindustrie, die Null-Emissions-Autos herstellt, besser ist als eine bankrottgegangene Autoindustrie, die noch einige Jahre stinkende Dieselautos produziert.
    "Wir brauchen strengere CO2-Grenzwerte auf europäischer Ebene und ein kluges Fördersystem auf nationaler Ebene"
    Heuer: Und die Automobilindustrie, die zeigt sich ja gesprächsbereit. Der Verband der Deutschen Automobilindustrie hat betont in der Krise, eher sei zu allem bereit. Die Politik, die müsse endlich handeln. Frage: Was unternimmt zum Beispiel der grüne Ministerpräsident in Baden-Württemberg, Winfried Kretschmann?
    Hofreiter: Da unternimmt insbesondere der grüne Verkehrsminister sehr, sehr vieles, um die Verkehrswende zu erreichen, denn man darf ja eines nicht vergessen. Man sollte sich nicht nur auf die Autos fokussieren, nämlich zu einer modernen Verkehrswende gehört auch dazu, dass der ÖPNV vernünftig ausgebaut wird, dass wir vernünftige Regionalbahnen bekommen, dass es eine gute Integration gibt der unterschiedlichen Verkehrsmittel. Da passiert einiges. Aber der Umbau der Autoindustrie, das ist eine europäische und eine nationale Frage, denn CO2-Grenzwerte-Fördersysteme können einzelne Länder nicht entsprechend festlegen. Das ist auch richtig, denn sonst hätten wir eine endgültige föderale Zersplitterung in diesem wichtigen Bereich. Deshalb brauchen wir strengere CO2-Grenzwerte auf europäischer Ebene und ein kluges Fördersystem auf nationaler Ebene, das gerecht ist.
    Heuer: Aber, Herr Hofreiter, jedes Bundesland, in dem ein wichtiger Autokonzern steht, kümmert sich um den. Baden-Württemberg hat Daimler. Verstehe ich Sie richtig, der grüne Verkehrsminister in Baden-Württemberg macht die grüne Politik und Winfried Kretschmann, den viele ja inzwischen den neuen Genossen der Bosse nennen, der kümmert sich um die Industrie?
    Hofreiter: Das ist eine etwas provokante Zuspitzung.
    Heuer: Muss man manchmal machen, um zu hören, was Sie denken.
    Hofreiter: Winfried Kretschmann kümmert sich natürlich auch um die Industrie in Baden-Württemberg. Aber die entscheidenden Möglichkeiten, entsprechende Veränderungen durchzusetzen, gibt es auf Länderebene nicht und in meinen Augen auch zurecht nicht. Nämlich wenn wir auch noch in jedem Bundesland ein anderes Fördersystem für Elektromobilität hätten und vielleicht auch noch in jedem Bundesland andere CO2-Grenzwerte, dann hätten wir eine dermaßen Zersplitterung, dass das nicht funktionieren würde. Deshalb ist es richtig, dass die CO2-Grenzwerte auf europäischer Ebene festgelegt werden, und deshalb ist es richtig, dass Fördersysteme für Elektromobilität auf nationaler Ebene festgelegt werden, und im Idealfall sollten solche Fragen wie Lade-Infrastruktur auch europäisch mindestens gestaltet werden, nämlich man stelle sich bloß vor, es gäbe in jedem Bundesland einen anderen Stecker für Elektrofahrzeuge. Ich meine, es ist ja schon schlimm genug, so triviale Sachen, dass man sich immer noch nicht auf einen einheitlichen Stecker europaweit einigen konnte, sondern da immer noch unterschiedliche Modelle unterwegs sind. Daran merkt man ja, dass da so manches nicht funktioniert.
    Heuer: Ein kleines Problem im Großen - der grüne Fraktionsvorsitzende im Bundestag, Anton Hofreiter. Haben Sie vielen Dank für das Gespräch, Herr Hofreiter.
    Hofreiter: Ich sag' danke.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.