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Abhörskandal in Polen
Tusk ist "ein harter Kämpfer"

Diese Runde im Abhörskandal habe Donald Tusk eindeutig gewonnen, sagte Adam Krzeminski, Kommentator der polnischen Wochenzeitung "Politika" im Deutschlandfunk mit Blick auf die gewonnene Vertrauensfrage. Dem Ministerpräsidenten sei es gelungen, die Debatte umzudrehen.

Adam Krzeminski im Gespräch mit Reinhard Bieck | 27.06.2014
    Porträt von Adam Krzeminski
    Adam Krzeminski: "Es ist auch eine Affäre, in der einige ausländische Mächte mit im Spiel sein könnten." (dpa / Bernd von Jutrczenka)
    Christoph Heinemann: In der Krise um illegal abgehörte Gespräche in Polen will die national-konservative Opposition Regierungschef Donald Tusk das Misstrauen aussprechen. Damit soll die liberal-konservative Koalition Tusks, der erst am Mittwochabend im Parlament erfolgreich die Vertrauensfrage gestellt hatte, doch noch zum Rücktritt gezwungen werden. Über das Misstrauensvotum solle bei der am 9. Juli beginnenden nächsten Parlamentssitzung abgestimmt werden. Das sagte der Fraktionschef der Partei Recht und Gerechtigkeit. Darüber hat mein Kollege Reinhard Bieck mit Adam Krzeminski gesprochen, er ist Publizist und Kommentator der polnischen Wochenzeitung "Politika", und er hat ihn gefragt: Ist Donald Tusk nach der gewonnenen Vertrauensabstimmung politisch tatsächlich über den Berg?
    Adam Krzeminski: Ob er über dem Berg ist, ist schwer zu sagen. Aber erstens: Er ist ein harter Kämpfer, er ist auch hart im Nehmen und er hat diese Runde eindeutig gewonnen. Nicht nur, weil er das Vertrauensvotum gewann, sondern bei der Debatte, wie sie noch vor einer Woche, vor zehn Tagen in den Medien war, gelang es ihm, nicht nur im Sejm, auch davor schon umzudrehen, und es ist nicht mehr die Frage im Vordergrund dieser unflätigen, wirklich unakzeptablen Sprache in dem privaten Gespräch der Politiker, sondern es ist die Abhöraffäre und es ist auch zum Teil die Medienaffäre und zum Teil, wie es jetzt angedeutet wurde, nicht angedeutet, sondern sogar festgestellt wurde während der Parlamentsdebatte, es ist auch eine Affäre, in der einige ausländische Mächte mit dabei im Spiel sein könnten.
    Reinhard Bieck: Aber Donald Tusk macht ja allen Ernstes die Russen verantwortlich. Putin wolle Polen bestrafen, weil es härtere Sanktionen gegen Moskau wegen der Ukraine fordert. Ist das denn wirklich denkbar?
    Klare Verbindungen zu Kohle-Großhändlern
    Krzeminski: Nein, so hat er das nicht gesagt. Es gibt eine Spur zur russischen Kohle-Mafia. Das heißt, es stimmt, dass die Leute, die festgenommen oder verhört wurden und auf freien Fuß gestellt wurden, in diesen drei Restaurants Verbindungen, klare Verbindungen haben zu Großhändlern, Kohle-Großhändlern, die mit der russischen Kohle die polnische Kohle aus dem Markt verdrängt hatten. Die ist nämlich viel billiger und Donald Tusk hat vor wenigen Wochen den polnischen Kumpeln, den streikenden Kumpeln versprochen, dass er den Dumping-Handel unterbinden wird. Diese Linien sind hier ganz eindeutig. Bis jetzt sind von diesen Unmengen von abgehörten Gesprächen nur diejenigen an die Medien lanciert worden, die tatsächlich jene Politiker betreffen, die irgendwas mit der Ostpolitik zu tun haben. Das ist der Außenminister, das ist der Chef der Nationalbank, der für den raschen Beitritt Polens zur Euro-Zone ist, und der Innenminister, der für die Untersuchung dieser ganzen Kohlegeschichte verantwortlich war. Insofern kann man natürlich sagen, es sind nur Indizien. Niemand behauptet, dass Putin dahinter wäre. Aber die einschlägigen Interessen der Energiewirtschaft dahinter sein könnten, das ist überzeugend.
    Bieck: Wir müssen aber auch mal über den Inhalt dieser Gespräche uns unterhalten.
    Krzeminski: Das ist wahr.
    Bieck: Außenminister Sikorski hat mit dem früheren Finanzminister Rostowski buchstäblich und dermaßen unter der Gürtellinie palavert, dass man gar nicht wissen möchte, was die beiden über Politikerkolleginnen wie Angela Merkel oder Helle Thorning-Schmidt denken. Muss man da nicht Konsequenzen ziehen?
    Krzeminski: Das ist generell eine Krankheit der heutigen Öffentlichkeit. Das was wir über die Wikileaks erfuhren, das was wir über Snowden erfuhren über das Abhören der Bundeskanzlerin, das was wir über sehr fragwürdige Quellen erfuhren, was Frau Nuland sagte über die Europäische Union während der Maidan-Krise, das alles hat es in den Gepflogenheiten der Politik in Europa und in Amerika bis jetzt nicht gegeben. Und sicherlich: Die Politiker, die sich selbst mit ihrer Sprache hier dekoriert haben, sind sehr stark angeschlagen. Das steht nicht zur Debatte. Aber ob man gleich Konsequenzen ziehen sollte, die Mission und so weiter und so fort? Es gab ein Argument, private Gespräche. Auch in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung", glaube ich, vor zwei Tagen gab es einen Kommentar, Politiker haben auch das Recht auf Privatheit und sie müssen nur wissen, wie und wo in welcher Sprache sie sprechen. Aber dass die angesprochenen Politiker angeschlagen sind, das ist eindeutig.
    Bieck: Ist denn dann Sikorski noch tragbar als Nachfolger von Catherine Ashton, der EU-Außenbeauftragten?
    Entschuldigung des Außenministeriums wahrscheinlich
    Krzeminski: Donald Tusk sagte gestern im Sejm, er habe mit Ministerpräsidenten der Europäischen Union gesprochen, und die haben das nicht auf die leichte Schulter genommen. Aber sie standen zu der polnischen Kandidatur. Was die Folge sein wird, ist eine andere Geschichte, ob er tragbar ist. Es gibt eine amerikanische Protestnote und wir werden sehen, wie das polnische Außenministerium darauf reagiert. Wahrscheinlich wird es eine Entschuldigung geben. Aber mal sehen, ob Sikorski tragbar ist als Nachfolger von Frau Ashton.
    Heinemann: Adam Krzeminski, Publizist und Kommentator der polnischen Wochenzeitung "Politika", im Gespräch mit meinem Kollegen Reinhard Bieck.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.