Donnerstag, 28. März 2024

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Abhörskandal in Thüringen
"Das ist ein datenschutzrechtlicher Verstoß"

Der Landesdatenschutz-Beauftragte in Thüringen, Lutz Hasse, hält es für denkbar, dass die Aufzeichnung zehntausender Telefonate bei der Polizei bewusst geschehen ist. Über den Mitschnitt von Anrufen, die keine Notrufe waren, seien Vermerke gefertigt worden, sagte er im Deutschlandfunk. Seine Behörde werde den Fall prüfen.

Lutz Hasse im Gespräch mit Christiane Kaess | 04.08.2016
    Lutz Hasse, Beauftragter für Datenschutz und Informationsfreiheit in Thüringen.
    Lutz Hasse, Beauftragter für Datenschutz und Informationsfreiheit in Thüringen. (imago / Bild13)
    Für den Landesdatenschutz-Beauftragten in Thüringen, Lutz Hasse, ist es nur schwer vorstellbar, dass die Aufzeichnung der Telefonate aus Versehen passiert ist. Telefonate, die keine Notrufe seien, dürften grundsätzlich nicht mitgeschnitten werden. Dies sei ein datenschutzrechtlicher Verstoß.

    Das Interview in voller Länge:
    Und wir haben Lutz Hasse erreicht, Thüringer Landesbeauftragter für den Datenschutz. Guten Morgen, Herr Hasse!
    Lutz Hasse: Guten Morgen!
    Kaess: Herr Hasse, fangen wir von vorne an: Notrufe aufzuzeichnen, das ist in Ordnung?
    Hasse: Das ist okay, das lässt sich ableiten aus dem Polizeirecht, aus der Strafprozessordnung und auch unter datenschutzrechtlichem Blickwinkel sozusagen unter dem Aspekt der Einwilligung: Wer einen Notruf tätigt bei der Polizei, möchte ja optimal auch dann polizeilich behandelt werden, und in der Hektik eines Notrufes geht das eine oder andere beim einmaligen Anhören vielleicht unter, sodass ein wiederholtes Anhören im Zuge einer Aufzeichnung sinnvoll ist und auch rechtlich abgesichert.
    Kaess: Ja, jetzt kam gestern aus dem Innenministerium der Hinweis, man wüsste eben erst hinterher, ob es um einen Notruf geht oder nicht, also waren die Aufzeichnungen doch in Ordnung?
    Hasse: Also, das wird jetzt ein bisschen schwierig bei der Antwort. Es gibt einmal Notruftelefone, die permanent und automatisch aufzeichnen, wenn man die 110 wählt. Wenn man aber über die Ortswahl, also über eine normale Telefonnummer die Polizei anruft, dann ist das ja in der Regel kein Notruf. Und es kann sich aber herausstellen, dass im Zuge des Gespräches sich herausstellt, dass es sich um einen Notfall und damit auch um einen Notruf handelt. Dann – so sieht es jedenfalls eine Dienstanweisung vor, die allerdings vor ein paar Wochen zurückgezogen worden ist –, dass mit einer Taste dann der Notruf aufgezeichnet werden kann beziehungsweise von einer flüchtigen Speicherung in eine dauerhafte Speicherung überführt wird. Das ist also ein bisschen komplizierter.
    "Nicht-Notrufe dürfen nicht aufgezeichnet werden"
    Kaess: Und diese mitgeschnittenen Telefonate, verstehe ich Sie richtig, waren aus Ihrer Perspektive nicht mehr in Ordnung?
    Hasse: Wenn es sich um einen Nicht-Notruf handelt, der bei der Polizei eingeht, oder – das steht ja auch im Raum – wenn von der Polizei ein Telefonat an einen externen dritten Bürger, Staatsanwalt, wer auch immer herausgeht, handelt es sich nicht um einen Notruf. Und, ich nenne die jetzt mal Nicht-Notrufe, dürfen nicht aufgezeichnet werden. Das ist ein datenschutzrechtlicher Verstoß und da kommt, denke ich, einiges auf mich jetzt zu in den nächsten Tagen.
    Kaess: Kann das aus Versehen passiert sein?
    Hasse: Eigentlich schwierig, eigentlich schwierig, dass so was dauerhaft aus Versehen passiert. Zumal ja auch über solche Nicht-Notrufe, die trotzdem aufgezeichnet worden sind, Vermerke gefertigt wurden. Bedeutet also, dass derjenige … oder ich will mal so sagen, dass jemand, der da was aufgezeichnet hat und anschließend einen Vermerk darüber angefertigt hat, das ja gewusst hat, dass da aufgezeichnet wird. Also, dass jetzt jemand sich dahin flüchtet und sagt, ich wusste gar nicht, dass hier aufgezeichnet wird, auch auf Nicht-Notrufapparaten, das erscheint mir ein bisschen schwierig. Ich muss allerdings zugeben, dass ich in technischer Hinsicht noch nicht ganz klar sehe, wie die einzelnen Polizeibehörden hier in Thürigen ausgestattet sind. Also, wünschenswert wäre, dass jede Polizeibehörde einen Notrufapparat hat und einen oder mehrere Nicht-Notrufapparate, auf denen ganz normale Gespräche geführt werden, die nicht aufgezeichnet werden natürlich. Das muss ich jetzt aber erst in den nächsten Stunden und Tagen herausfinden, also, meine Behörde läuft auf Hochtouren.
    "Da ist schon noch ein bisschen Klärungsbedarf, auch bei mir"
    Kaess: Ja, wir wollen nicht zu technisch werden, Herr Hasse, aber vonseiten der Polizei heißt es ja, diese technische Umstrukturierung vor zwei Jahren hat eben stattgefunden und danach hat man schlichtweg vergessen, diese Mitschneidepraxis zu beenden. Wie glaubhaft ist denn dieses ja sehr schnell vorgebrachte Argument für Sie?
    Hasse: Ja, ich kann Kenntnisstand heute, jetzt, nicht sagen, dass das nicht stimmt, was da gesagt wird. Es kann also tatsächlich sein, dass das da verpennt wurde. Das müssen wir jetzt ausleuchten. Das hat ja auch im parlamentarischen Raum jetzt schon Unruhe ausgelöst, es gibt Sondersitzungen des Parlaments, des Innenausschusses. Da ist schon noch ein bisschen Klärungsbedarf auch bei mir, ich bitte um Verständnis, ich muss zugeben, dass ich das selber noch nicht so ganz klar sehe, ob das wirklich verpennt wurde, ob das eine Panne ist oder ob da bewusst so eine Notruftechnik vorgehalten wurde für den Fall X, den Notfall X. Da tasten hier einige, mich eingeschlossen, noch ein bisschen im Dunkeln, aber wir kriegen das raus.
    Kaess: Gut, Herr Hasse, aber Sie haben eine interessante Bemerkung gemacht, nämlich dass es Vermerke gegeben hat. Wenn es diese Vermerke gegeben hat, wie ist es denn überhaupt möglich, dass diese Praxis dann so lange unbemerkt geblieben ist?
    Hasse: Ja, es ist ja auch noch die Frage, ob es wirklich so lange unbemerkt geblieben ist. Es wurde ja auch von mir schon mal im Jahr 2013 die Frage aufgeworfen, ob Telefonapparate – damit meinte ich allerdings Telefonapparate in der gesamten Verwaltung, nicht nur in der Polizei – über Babyfonfunktion und Abhör- und Mitzeichnungsfunktion verfügen. Es gab auch eine kleine Anfrage dazu an die Landesregierung damals und die wurde damit beantwortet, dass die Telefonapparate auch speziell in der Polizei nur dann aufzeichnen, wenn es sich um einen Notruf handelt oder der Anrufpartner, sprich also der Bürger in der Regel, darin, in die Aufzeichnung nämlich eingewilligt hat. Sollte sich jetzt herausstellen, dass das nicht stimmt, dass also Nicht-Notrufe auch aufgezeichnet wurden, dann war diese Antwort falsch. Dann muss man sehen, was das jetzt parlamentarisch auslöst.
    "Nach 180 Tagen ist alles zu löschen"
    Kaess: Und wenn Sie von den Telefonapparaten der Verwaltung sprechen, dann legt das nahe, dass das nur die Spitze des Eisbergs ist, was wir jetzt bisher kennen?
    Hasse: Also, es geht ja hier um die Aufzeichnung von Notrufen beziehungsweise Nicht-Notrufen. Meine Sorge von 2013 war, weil wir entsprechende Hinweise auch hatten, dass alle Telefonapparate … oder ich will mal vorsichtig sagen: fast alle Telefonapparate über eine Babyfon- und Mithörfunktion beziehungsweise Aufzeichnungsfunktion verfügen in technischer Hinsicht. Die zweite Frage ist natürlich, ob von diesen Funktionen Gebrauch gemacht wurde. Es hat sich im Zuge meiner Recherchen herausgestellt, dass sehr viele Telefonapparate über die genannten Funktionen verfügen, indes die Software so eingestellt war, dass diese Funktionen nicht aktiviert waren.
    "Da ist vieles zu tun jetzt"
    Kaess: Herr Hasse, ich unterbreche noch mal, weil, ich möchte tatsächlich nicht zu technisch werden. Lassen Sie uns darüber noch sprechen, welche Motivation, welche Absicht dahinter stecken kann, so etwas mitzuschneiden, Vermerke, wie Sie gesagt haben, auch zu nehmen? Was ist mit diesen aufgezeichneten Gesprächen passiert, wie sind die verwertet worden?
    Hasse: In der Dienstanweisung, die ja nicht mehr gilt, stand, steht: Nach 180 Tagen ist alles zu löschen. Das ist ein Umstand, den wir überprüfen müssen, ob überhaupt gelöscht ist. Wenn gelöscht ist, stellt sich mir die Frage: Wenn/Weil Vermerke angefertigt worden sind, ja wohl in der Regel in Papierform, was ist mit diesen Papiervermerken passiert, in welche Akten sind die gewandert, sind die da jetzt noch drin oder ist die Akte samt Vermerk inzwischen gelöscht? Auch in der Polizei gibt es ja Löschfristen. Oder sind die Vermerke digitalisiert worden und haben Eingang gefunden in elektronische Akten? Das sind ja alles unzulässig erhobene Daten. Also, so eine Aufzeichnung bezeichnen wir Datenschützer als Erheben und Aufzeichnen von Daten. Und … Speichern von Daten wollte ich eigentlich sagen. Und da müssen wir jetzt gucken, was damit passiert ist, sowohl mit den Aufzeichnungen entweder auf Band oder digital mit den Vermerken … Ja, Sie sehen schon, da ist vieles zu tun jetzt.
    Kaess: Viel noch zu tun, sagte Lutz Hasse, er ist Thüringens Landesbeauftragter für den Datenschutz. Danke für das Gespräch heute Morgen, Herr Hasse!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.