Donnerstag, 18. April 2024

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Abholzungen im Regenwald
"Ein Militäreinsatz löst die Probleme am Amazonas nicht"

Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro hat Militär in die Amazonasregion entsandt, um die Abholzungen zu kontrollieren. Suely Araújo, frühere Leiterin der Umweltbehörde IBAMA, hält das für wenig sinnvoll. Man brauche dafür eine technische und strategische Planung, die das Militär aber nicht habe, sagte sie im Dlf.

Suely Araújo im Gespräch mit Jule Reimer | 09.06.2020
LKW transportiert Holz aus dem Amazonas Regenwald, Abholzung, illegaler Holzeinschlag, Mato Grosso, Brasilien, Südamerika
"Sie können die Rodung des Amazonas oder anderer Ökosysteme nur mit einem Gesamtpaket an Maßnahmen kontrollieren", sagte Suely Araújo im Dlf (imageBROKER/Florian Kopp)
In Brasilien spitzt sich der Konflikt um den Schutz des Klimas und der Amazonasregion zu. Eine ganze Reihe von Umweltorganisationen und Parteien der politischen Opposition sind jetzt gegen Präsident Jair Bolsonaro bis vor das Oberste Gericht gezogen. Sie werfen der Regierung vor, wichtige Institutionen zu lähmen und damit Gelder zurückzuhalten, die essentiell für den Amazonas- und den Klimaschutz sind.
Die Juristin Suely Araújo leitete zwischen 2016 bis Anfang 2019 die brasilianische Umweltbehörde IBAMA, die eigentlich für den Schutz des Regenwaldes zuständig ist - bislang. Araújo wurde wie viele Spitzenbeamte direkt von Präsident Bolsonaro entlassen. Heute arbeitet sie für das brasilianische Klimaschutz-NGO-Netzwerk Observatorio do Clima. Im Interview erklärt sie, wie bei den Flächenangaben manipuliuert wird und warum der Militäreinsatz zur Kontrolle der Abholzungen umstritten ist.
Das Foto zeigt verbrannte Bäume und verbrannte Erde.
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Jule Reimer: Die NGOS werfen der Regierung vor, sie verletze die Gesetze, weil sie den Export von Tropenholz nicht mehr wie früher kontrolliere. Wie wirkt sich das aus?
Suely Araújo: Von Beginn dieser Regierung an gab es das Ziel, Umweltprogramme zu lähmen. Die Regierung kontrolliert weiterhin die Tropenholzexporte, aber seltener und weniger streng. Gleichzeitig kritisieren jedoch der Präsident und der Umweltminister die Einsätze der Kontrolleure, die Beschlagnahmungen und die Strafen. Und das erzeugt weitere Rechtsbrüche, das gilt fürs Abholzen, für den illegalen Bergbau und andere Verbrechen.
Umstrittene Flächenzahlen
Reimer: Im Gegensatz dazu sagt aber Ihr Präsident Jair Bolsonaro in einem Post auf Facebook, dass Brasilien 66 Prozent des Landes für die Bewaldung bestimmt hat und auch schützt und es sei ungerecht, dass man die brasilianische Regierung so angreifen würde.
Araújo: Der Präsident muss wohl von seinen Mitarbeitern veränderte Zahlen erhalten, die nicht der Wirklichkeit entsprechen. Es gibt mehrere Formen von Naturschutz. Öffentliche Nationalparks und Naturschutzgebiete machen ungefähr 15 Prozent des Landes aus und ungefähr genauso viel Fläche nehmen die geschützten Territorien der Indigenen ein. Die Zahl, die der Präsident nutzt, bezieht sich vermutlich auf die Pflicht der privaten Großgrundbesitzer, einen Teil ihrer riesigen Flächen zu schützen. In der Amazonasregion dürfen laut Gesetz 80 Prozent einer Fazenda nicht entwaldet werden. Im Rest Brasiliens sind es 20 Prozent. Allerdings entstammen die Zahlen, die der Präsident nutzt, dem ländlichen Umweltkataster und basieren auf Angaben der Großgrundbesitzer. Die meisten dieser Kataster sind nicht offiziell anerkannt, wir wissen also nicht, ob die Zahlen stimmen. Aber wir wissen, was die Satellitenaufnahmen uns zeigen, nämlich dass abgeholzt wird. Deshalb ziehen wir die Daten der brasilianischen Weltraumagentur INPE vor, die die Entwicklung täglich festhält.
Reimer: Die brasilianische Regierung, insbesondere ihr Umweltminister Ricardo Salles, argumentierte auf seiner Deutschlandreise vergangenes Jahr – wo er Investoren einlud -, man müsse den Amazonas nutzen können, um ihn zu schützen. Und es gibt auch Vertreter der Indigenen Völker, die entwalden, das Holz nutzen und agroindustrielle Landwirtschaft betreiben möchte. Was sagen Sie dazu?
Araújo: Das bisher praktizierte brasilianische Agrarmodell geht mit großflächiger Entwaldung und wenig Produktivität einher. Das kann keine Lösung für den Amazonas sein. Es bringt keinen Wohlstand für die arme Bevölkerung dort, reich wurden dabei immer nur die Investoren. Im Amazonas brauchen wir Modelle, die den Wald stehen lassen, die das Potential der Biotechnologie, den Wald in seinem ganzen Reichtum nutzen. Brasilien muss in Wissenschaft und Forschung investieren, um den Regenwald zu nutzen, ohne ihn abzuholzen. Es hat keinen Sinn, Modelle zu nutzen, die technisch unsinnig sind. Denn wenn Sie den Amazonas abholzen, bekommt ganz Südamerika ein sehr ernsthaftes Klimaproblem. Denn der Regenwald ist eine Art Wasserpumpe. Die Feuchtigkeit, die der Amazonaswald produziert, breitet sich südlich aus und versorgt die ganze Region.
Umweltbehörden kennen sich aus, Militär nicht
Reimer: Die brasilianische Regierung hat beschlossen, das Militär in die Amazonasregion zu schicken, um die illegale Abholzung zu kontrollieren. Insofern wird jetzt etwas getan, um die Amazonasregion zu schützen?
Araújo: Das Kontrollproblem im Amazonas lösen Sie nicht mit einem Militäreinsatz. Die Militärs haben gar keine Expertise dafür. Für diese Kontrollen brauchen Sie vor jedem Einsatz eine umfangreiche technische und strategische Planung. Sie müssen jede Mengen Daten auswerten, Satellitenbilder, Transport- und Vermarktungswege für Agrarprodukte und Absatzmärkte kennen. Die Umweltbehörden und auch die Behörden der einzelnen Bundesstaaten kennen sich hingegen mit all dem aus.
Reimer: Im Jahr 2005 hat der damalige Präsident Lula da Silva von der sozialdemokratischen Arbeiterpartei PT ebenfalls das Militär in die Amazonasregion, um die Entwaldung zu vermindern und das ist tatsächlich eingetreten. Was ist der Unterschied zwischen den beiden Initiativen?
Araújo: Der Rückgang der Entwaldungsraten zwischen 2004 und 2012, dem Jahr mit der bisher niedrigsten Rate von 4.600 Quadratkilometern, war vor allem auf das Programm PPCD-Am zurückzuführen, den Aktionsplan zur Verhütung und Begrenzung der Entwaldung im Amazonasgebiet. Möglicherweise können Sie auch das Militär einsetzen, aber nur sehr gezielt und in einer Region mit Spitzenwerten. Nur schaffen es die Militärs nicht, überall im Amazonas präsent zu sein. Ihr Einsatz ist unglaublich teuer, die Aktion jetzt kostet rund 11 Millionen Euro - im Monat. Damit Sie eine Vorstellung bekommen: Die Umweltbehörde IBAMA hat für Kontrollen in ganz Brasilien pro Jahr rund 14 Millionen Euro zu Verfügung für 1200 Einsätze. Will heißen: Für 40 Tage Militäreinsatz im Amazonas kann das IBAMA ein Jahr lang in ganz Brasilien Kontrollen durchführen.
"Umweltkontrolle muss sehr weitgefasst werden"
Reimer: Gab es auch unterschiedliche Maßnahmen?
Araújo: Sie können die Rodung des Amazonas oder anderer Ökosysteme nur mit einem Gesamtpaket an Maßnahmen kontrollieren. Sie müssen die Produktions- und Lieferketten angehen, Sie müssen die Kreditvergabe anpacken. Seit 2008 hatte die damalige Regierung den brasilianischen Banken verboten, Agrarkredite an Großgrundbesitzer im Amazonasgebiet zu vergeben, wenn diese nicht nachweisen können, dass sie eine weiße Weste haben und niemals von den Umweltbehörden zu Strafen verurteilt wurden. Diese Politik ist mindestens genauso wirksam wie die physischen Kontrollen. Es reicht jedoch nicht, allein den Großgrundbesitzer zu kontrollieren. Sie müssen überprüfen, wer ihn unterstützt, wen er bedient, mit welchen Kühl- und Lagerhäusern er zusammenarbeitet, mit welchen Unternehmen. Das heißt, so eine Umweltkontrolle muss sehr weitgefasst werden.
Reimer: Eine dieser Klagen gegen die brasilianische Regierung durch Oppositionsparteien beinhaltet die Forderung, den Amazonasfonds wieder zu beleben. Das ist großer Fonds, der im Wesentlichen gespeist wird durch Norwegen und Deutschland. Die Norweger haben seit 2009 dort 1,2 Milliarden Dollar eingezahlt. Der Anteil der Deutschen ist deutlich geringer, 68 Millionen Dollar, das ist jedoch auch nicht wenig. Dieser Fonds ist gelähmt, weil bei der Amtsübernahme Präsident Bolsonaro verlangte, dass die Nichtregierungsorganisationen dort nicht mehr mitarbeiten sollten. Umweltminister Ricardo Salles hatte Bedenken wegen der Effizienz, wegen angeblichen Unregelmäßigkeiten und er wollte auch die Ausgabenstruktur verändern. Jetzt gibt es einen Vorschlag des Vizepräsidenten Hamilton Mourão, einem General, diesen Fonds wieder zu beleben, aber ohne den umstrittenen Umweltminister Salles, sondern mit Vizepräsident General Mourão als Vorsitzenden des Fonds-Leitungsrates. Ist das eine gute Lösung?
Araújo: Also ich befürchte sehr stark, dass allein die Veränderungen in Bezug auf den Umweltminister nicht ausreichen. Seit seiner Gründung vor eine Dekade leistet der Fonds eine extrem wichtige Unterstützung, um die Rodungen in den Griff zu bekommen und lieferte immer exzellente Ergebnisse. Was ist also passiert? Als Umweltminister Salles Anfang 2019 ins Amt kam, zerstörte er als erstes die Lenkungsstrukturen des Fonds und provozierte den Zusammenbruch des Leitungskomitees, das für die korrekte und effiziente Vergabe und Verwendung der Mittel sorgte. Im Fonds liegen deshalb rund 275 Millionen Euro auf Eis! Deshalb sind die Kläger vor Gericht gezogen und verlangen, dass das Geld für den Amazonasschutz genutzt wird. Korrekt wäre es, wenn es wieder einen breit besetzten Leitungsrat geben würde, der über die Vergabe entscheidet, transparent und unter Beteiligung der Zivilgesellschaft. Es würde zum Beispiel zu nichts führen, wenn mit diesem Geld Militäroperationen im Amazonas bezahlt würden. Ich habe keine Ahnung, ob Vizepräsident Mourão so etwas in Betracht ziehen würde. Aber es muss schon sehr genau geschaut werden, wofür das Geld verwendet werden darf, damit als Ergebnis das Abholzen eingedämmt wird.
Reimer: Geben Sie mir bitte mal ein Beispiel für ein Projekt, das durch den Fonds finanziert wird und dazu beiträgt, dass die Entwaldung vermindert wird beziehungsweise gar nicht stattfindet.
Aaújo: Seit der zweiten Jahreshälfte 2016 finanziert der Fonds für die ganze Amazonasregion die gemieteten Hubschrauber und die Geländewagen, mit denen die Umweltbehörde IBAMA ihre Kontrollen durchführt. Da geht es um über 8,6 Millionen Euro pro Jahr. Das sind die teuersten Posten im Budget des IBAMA. Dieser Vertrag läuft noch bis nächstes Jahr. Das Geld aus dem Amazonasfonds war fundamental bedeutsam, um zwischen 2016 und 2018 die Entwaldungsraten in noch annehmbaren Bereichen zu halten.
Reimer: Ich darf bitte anmerken, dass Sie ab 2016 die Präsidentin der Umweltbehörde IBAMA gewesen sind, dass in dieser Zeit die Entwaldung zugenommen hat und dass Sie das nicht verhindern konnten.
Araújo: Die Entwaldungsrate lag wieder über dem niedrigsten Wert von 2012, aber sie hielt sich auf einem relativ gleichmäßigen Niveau. Und dann begann sie ab der zweiten Jahreshälfte 2018 hochzugehen, nämlich im Wahlkampf unter dem Einfluss der Rhetorik des Präsidentschaftskandidaten Bolsonaro. Ab da wurden die Kontrolleinsätze im Amazonas bereits schwierig, ab da nahmen die Rechtsbrüche und die Übergriffe auf die IBAMA-Ranger zu, einhergehend mit der Zerstörungen der Ausrüstung. Wenn Sie auf die Webseite der brasilianischen Weltraumagentur INPE gehen, können Sie die Entwicklung der Entwaldungsraten in diesen Jahren taggenau anschauen. Vergangenes Jahr ging die Kurve dann sehr stark in die Höhe und in diesem Jahr wird sie durch die Decke gehen und explodieren.
Strikte Haltung aus Norwegen
Reimer: Sehe ich das richtig, dass die Haltung der Norweger gegenüber der aktuellen brasilianischen Regierung deutlich kritischer ist als die der deutschen Regierung?
Araújo: Beide Regierungen haben ihre Kritik geäußert. Die Norweger haben dies möglicherweise stärker getan, sie geben auch deutlich mehr Geld in den Fonds. Beide Regierungen sind nicht bereit, in den Fonds weiter einzuzahlen, solange die Regierung Bolsonaro weiterhin die IBAMA-Ranger attackiert und die Kontrollbehörden angreift. Sie sind da extrem kritisch gegenüber der Art und Weise, wie die Bolsonaro-Regierung die Rodungen im Amazonas behandelt. Im Prinzip verlangen sie die Rückkehr zum PPCD-Aktionsplan. Denn dieser zeigte Wirkung unabhängig davon, wer gerade in Brasilia regierte, damit wurden die Rodungen zurückgedrängt, andere Regierungen nahmen sich den Plan sogar zum Vorbild. Die Norweger sagen ganz klar: Derzeit gibt es keine konsistente Handlungsvorgabe.
Reimer: Ihre Minister haben in der Veröffentlichung des Videomitschnitts der Kabinettssitzung vom 22. April, der in Brasilien sehr diskutiert wird, erklärt, dass Brasilien, die Regierung weltweit 480 Milliarden Dollar an Investitionszusagen oder Ankündigungen für die nächsten 20 Jahre eingesammelt hat und dass da die Deregulierung im Bereich der Umweltgesetze sehr hilfreich wäre, all dies umzusetzen.
Araújo: Also diese Zahlen sind meiner Meinung nach absolute Luftnummern, da ist überhaupt nichts Konkretes, dass das Land mit dieser geringen Achtung für die Umwelt irgendwas gewinnen würde. Im Gegenteil, Brasilien verliert eher Absatzmärkte. Die Reaktion der internationalen Märkte für brasilianische Produkte war angesichts der Nachrichten und der Haltung der Bolsonaro-Regierung seit letztem Jahr ziemlich negativ. Die Regierung marschiert in die falsche Richtung und eventuell ist es ein Weg ohne Wendemöglichkeit. Denn wenn aufgrund dieser Zerstörung der Umwelt das Klima erst einmal kippt, kann das unumkehrbar sein.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.