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Abigail Assor: „So reich wie der König“
Marokkanische Träume

Der Titel des in Casablanca spielenden Debütromans von Abigail Assor ist Programm: „So reich wie der König“ soll der Zukünftige der 16-jährigen Französin Sarah sein – ein Traum, der mit den Realitäten Marokkos unsanft kollidiert.

Von Christoph Vormweg |
Buchcover: Abigail Assor: „So reich wie der König“
Abigail Assor: „So reich wie der König“ (Buchcover: Insel Verlag, Hintergrund: Gerda Bergs)
Ein französischer Pass schützt in Marokko nicht unbedingt vor Armut. Die 16-jährige Sarah und ihre alleinerziehende Mutter wohnen mit Blick auf eines der Barackenlager von Casablanca. Nur ein Drahtzaun trennt sie vor dem sozialen Aus. Und das droht täglich. Denn Sarahs Mutter bestiehlt ihre französischen Liebhaber, was sie bald ins Gefängnis bringen könnte.

Abstecken des Jagdreviers

Das einzige Gegenmittel, so legen es die bei der Jugend beliebten Telenovelas nahe, heißt träumen. Abigail Assors Romantitel ist da Programm: „So reich wie der König“ soll Sarahs zukünftiger Ehemann sein. Ihr Jagdrevier ist das Umfeld des Französischen Gymnasiums von Casablanca. Denn dort gehen die Kinder der reichen Marokkaner zur Schule. Ironie des Schicksals: Der Absolvent, der das größte Erbe erwartet, ist kein gutgekleideter Schönling, sondern ein dicklicher, introvertierter, weltabgewandter Motorrad-Freak namens Driss. Der lebenshungrigen Sarah ist das egal. Ihr geht es nicht um Liebe, sondern um das Erreichen ihres Ziels. Dafür setzt sie ihre ganze Intelligenz ein.
„Sie trug aus Paris importierte Jeans [...], und sie hatte sich zehn, fünfzehn Mal im Café Campus gezeigt […]; noch nie hatte man ihren Chauffeur gesehen, aber man hatte sie auch noch nie in einem Bus gesehen. Man sah, dass sie Französin war, hübsch, ganz nach dem Geschmack der Jungs, man konnte bemerken, dass sie den Unterricht schwänzte und Kif rauchte, man konnte sie einzelgängerisch finden, rätselhaft oder gemein. Aber man konnte nicht ahnen, dass sie arm war; das war unmöglich.“

Mit soziologischem Blick

Doch schon in diesem Punkt kollidieren Sarahs naive Jungmädchenträume mit den Realitäten der marokkanischen Oberschicht. Zwar gelingt es ihr, sich über einen befreundeten Dealer in die Kreise der gelangweilten, ständig Drogen konsumierenden Kinder der Reichen einführen zu lassen und die Angel nach Driss auszuwerfen. Doch ausgerechnet er macht sie auf ihren mangelnden Blick für soziale Details aufmerksam. Der Panzer, der ihre Armut verbergen sollte, ist löchrig. Eine Uhr fehlt, der passende Schmuck, ihr Kleid ist umgenäht und nicht neu, et cetera.
„Für einen Moment hing alles in der Schwebe. Die Sprache des Geldes – Sarah hatte nicht geahnt, dass [Driss] sie so gut beherrschen würde. Er, der so wenig sprach, hatte sie von klein auf perfekt erlernt, wie eine Ursprache, die allen anderen Sprachen vorausgeht und überlegen ist, noch bevor die Wörter ausgesprochen werden. [...] Ihm konnte sie nichts vormachen; er sah.“
Ihren soziologischen Blick hat Abigail Assor während ihres Studiums geschult. Das spürt man auch in den von Nicola Denis ausgezeichnet übersetzten atmosphärisch dichten Szenerien in den Straßen und Geschäften Casablancas; oder in den sinnlich aufgeladenen Beschreibungen des pompösen Opferfestes am Ende des Ramadans. 

Wie weit die Schönheit reicht

In diesem Ambiente wirkt Sarah wie ein Fremdkörper – so, als spiele sie eine Rolle im Film-Klassiker „Wie angelt man sich einen Millionär“. Doch gelten in Marokko die Gesetze von Hollywood-Filmen nicht. Mit Schönheit allein kommt keine Frau gegen die Verheiratungsrituale an, schon gar nicht in der Oberschicht, in der die edle Abstammung zählt. Als Sarah das begreift, wächst ihre Wut.
„Sehend hasste sie die Worte, die gewaltsam waren, gewaltsamer als die Schläge der Männer in den Häusern, als die Armut auf den Straßen, als die Vergewaltigungen der Mädchen in den Barackensiedlungen, ja gewaltsamer als die ganze Gehässigkeit dieses Landes, von der im Übrigen nie jemand sprach.“
In einer eingängigen, genauen Sprache erzählt Abigail Assor die schmerzhaften Lernprozesse einer 16-jährigen, ihren unsanften Sturz vom Thron der Träume. Sie muss miterleben, dass die Männer, die „So reich wie der König“ sind, zu Hause wie Tyrannen herrschen, dass deren Frauen nur den ganz gewöhnlichen Alptraum patriarchalischer Gesellschaften erleben: voller Willkür, Verrat und Gewalt. Abigail Assors Erstling sei deshalb vor allem Jugendlichen als Lektüre empfohlen. Spannend, ja dramatisch bleibt er bis zur letzten Seite. Denn wenn die Haut, wie es an einer Stelle heißt, „zum Horizont“ wird, kommen neue Unwägbarkeiten ins Spiel.
Abigail Assor: „So reich wie der König“
Aus dem Französischen von Nicola Denis
Insel Verlag, Berlin. 218 Seiten, 23 Euro.