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Abkommen gegen Steuerflucht
"Enttäuschender als gedacht"

Alles andere als ein Meilenstein sei das von 51 Ländern unterzeichente Abkommen zum automatischen Austausch von Steuerdaten, sagte Markus Meinzer von der Expertenorganisation Tax Justice Network im DLF. Dadurch, dass die USA nicht mit von der Partie seien, entstehe ein großer weißer Fleck - so einer der Kritikpunkte.

Markus Meinzer im Gespräch mit Andreas Kolbe | 29.10.2014
    Eine Miniaturfigur trägt zwei Geldkoffer auf einem Scrabble-Spiel in eine Bank (Illustration), auf dem das Wort Steueroase liegt.
    Eine Miniaturfigur schafft zwei Geldkoffer auf einem Scrabbel-Spiel in Sicherheit, auf dem das Wort Steueroase liegt. (picture alliance / dpa / Jörg Carstensen)
    Andreas Kolbe: Auf rund eine Billion Euro pro Jahr veranschlagt die EU-Kommission den Schaden durch Steuerbetrug und gezielte Steuervermeidung allein für die Länder der Europäischen Union, und die Industrieländer-Organisation OECD spricht jährlich sogar von zwei Billionen Dollar Schaden. Der handlungsdruck ist also enorm, Steueroasen auszutrocknen und gegen Steuerhinterziehung weltweit vorzugehen. 51 Länder haben dazu am Nachmittag in Berlin ein Abkommen geschlossen, das von vielen als Meilenstein bezeichnet wird. Erst mals soll es international den automatischen Austausch von Steuerdaten ermöglichen.
    Zugehört hat uns am Telefon Markus Meinzer. Er ist Analyst bei der Expertenorganisation Tax Justice Network und dort zuständig für den Steuerdatenaustausch. Guten Tag, Herr Meinzer.
    Markus Meinzer: Hallo! Guten Tag.
    Kolbe: Viele lobende Worte haben wir da gerade gehört aus Berlin. Ist die Unterzeichnung dieses Abkommens auch aus Ihrer Sicht ein Meilenstein?
    Meinzer: Die Details werden ja jetzt gerade erst langsam stückweise enthüllt, und was wir jetzt hier im Detail sehen, ist schon auch enttäuschender, als das ursprünglich gedacht war. Wir sehen zum Beispiel, dass die USA als wichtiger OECD- und G-20-Mitgliedsstaat nicht mit von der Partie sind. Die haben sich hier einen großen blinden Fleck geleistet und es ist deshalb zu vermuten, dass die USA hier zwar sich die Daten über ein US-Gesetz, die sie benötigen, selbst besorgen, aber nicht bereit sind, auch selbst Daten über Steuerflüchtlinge in den USA zu senden. Das wäre eine der ersten großen geografischen Einschränkungen dieses Abkommens.
    Kolbe: Die USA sind nicht dabei, China, die Schweiz zumindest nicht zum Start. 51 Länder klingt natürlich erst einmal nach viel, aber ist noch weit entfernt von einem globalen Abkommen. Ist das nicht ein Geburtsfehler direkt zum Start?
    Meinzer: Ganz gewiss und noch viel schwerwiegender ist auch, dass im Grunde alle Länder, die hier jetzt unterzeichnet haben, sich noch nicht verpflichtet haben, allen anderen Unterzeichnerstaaten diese Daten bereitzustellen, sondern das bleibt freiwillig und völlig willkürlich letztlich auch im Ermessen des jeweiligen Unterzeichnerstaates, wem es nun Daten übermitteln möchte. Die Schweiz hat bereits angedeutet, dass sie das nur handverlesenen Staaten anbieten möchte, die aus strategischer Sicht für deren Finanzindustrie wichtig sind. Hier möchte man Entwicklungsländern, deren Autokraten in der Regel sehr viel Geld in der Schweiz verstecken, im Grunde den Zugang verweigern, solange wie möglich diese Gelder noch in der Schweiz liegen zu haben, und das ist natürlich aus Sicht auch von unserer Organisation für Entwicklungsländer eine katastrophale Situation.
    Kolbe: Jetzt gibt es ja eine regelrechte Steuervermeidungsindustrie, Unternehmen, Banken, die Vermögenden dabei helfen, ihr Geld steueroptimiert, wollen wir es mal so nennen, anzulegen. Das ist so eine Art "Hase und Igel"-Spiel. Wie lang, glauben Sie, wird es dauern, bis auch in diesem Abkommen wieder irgendwelche Schlupflöcher auftauchen, die da genutzt werden?
    Meinzer: Die sind schon jetzt bekannt, diese Schlupflöcher. Es wird schon jetzt damit ganz offensiv auch geworben. Verschiedene Steuerparadiese, sogenannte Paradiese, haben sich schon jetzt in Stellung gebracht, Schattenfinanzzentren, die im Grunde hier gezielt Schlupflöcher anbieten, um das zu unterwandern. Es gibt auch massiv Zeit bis 2016. Das ganze nächste Jahr bleibt noch allen Steuerhinterziehern jetzt Zeit, sich mit entsprechender Beratung so umzustrukturieren, dass in Zukunft auch keine Daten übermittelt werden. Beispielsweise kann man Konten auf Namens- und Briefkastenfirmen gründen, soweit man sie dort noch nicht hat, und dann ein Gewerbe vortäuschen, indem man beispielsweise Beratungsdienstleistungen anbietet, sobald man irgendein Gewerbe anbietet. Dann sind alle Unternehmen von vornherein gar nicht erfasst. Das ist ein Riesenschlupfloch, und derart gibt es noch einige mehr.
    Kolbe: Das Abkommen konzentriert sich ja vor allem auf Geldvermögen, auf Kapitalerträge im Ausland. Wie sieht es mit anderen Anlageformen aus, mit Rohstoff-Beteiligungen, mit Kunstgegenständen?
    Meinzer: Genau das ist das Problem. Ein weiteres Problem ist vor allem auch aus Entwicklungslands-Perspektive, dass zum Beispiel Beteiligungen an Immobilien oder Immobilienbesitz nicht davon abgedeckt werden, genauso wenig wie Schließfächer, Bankschließfächer oder auch Goldvorräte, Rohstoffvorräte, die ja ganz besonders für Korruption und für Bestechung, Geldwäsche eine zunehmende Rolle spielen, aber auch dem einfachen Steuerhinterzieher natürlich jetzt schmackhaft gemacht werden von Seiten der Banken als Alternative zum schmerzhaften Prozess in die Steuerehrlichkeit.
    Auch die Bundesregierung blockiert
    Kolbe: Die Unterzeichnung des Abkommens heute ist ja erst einmal eine Absichtserklärung, 2017 mit dem Austausch von Daten zu starten. Was passiert, wenn sich Länder dann nicht daran halten, beispielsweise weil es zum Beispiel auch mal einen Regierungswechsel gegeben hat?
    Meinzer: Das ist ein Riesenproblem. Wir haben keinerlei Sanktionsbewährung bisher in diesem Abkommen, weder was Länder angeht, die nicht daran teilnehmen wollen, dass man hier gezielt gegen die USA in diesem Fall beispielsweise vorgeht. Das fehlt, aber auch die Umsetzung vor Ort durch die jeweiligen Kunden, die dann letztlich ehrliche Angaben machen müssen. Das ist extrem schwach, das bleibt jedem Staat letztlich überlassen, wie er das regelt, und somit ist es klar, dass dieses Abkommen auch nur so gut wirken kann, wie die Geldwäsche-Bekämpfungsregeln national sind, und hier sehen wir leider Gottes ein enormes Problem auch von deutscher Seite herbeigeführt auf EU-Ebene zurzeit, weil hier die deutsche Bundesregierung blockiert, ein öffentliches Register für die wahren Eigentümer von Trusts und Stiftungen und Briefkastenfirmen einzuführen. Da spielt Deutschland im Grunde die gegenseitige Rolle dessen, was heute in den Medien kolportiert wurde, dass wir ja ein Vorreiter seien. Die ist leider faktisch auf EU-Ebene alles andere als wahr, diese Bezeichnung.
    Kolbe: Wenn ich Sie richtig verstanden habe, ganz kurz zum Schluss: Es ist ein Schritt in die richtige Richtung. Aber was muss noch passieren, damit die Ziele dieses Abkommens dann auch tatsächlich in der Realität erreicht werden?
    Meinzer: Wir brauchen objektiv messbare Daten darüber, wie viele Konten und wie viele Volumen denn für jedes Land erfasst werden und übermittelt werden, aggregierte Daten, die eine unabhängige Erfolgskontrolle möglich machen. Ansonsten werden wir nie wissen, ob dieses Abkommen wirklich erfolgreich und annähernd die Kontenbasis und auch die Volumina, die in Banken liegen, abdecken und erreichen kann.
    Kolbe: Das sagt Markus Meinzer von der Nichtregierungsorganisation Tax Justice Network. Vielen Dank für das Gespräch und Ihnen noch einen schönen Abend.
    Meinzer: Danke. Tschüss!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.