Wiese: Am Telefon begrüße ich jetzt den britischen Politologen Professor Anthony Glees. Guten Morgen, Herr Glees.
Glees: Schönen guten Morgen.
Wiese: Ich nehme einfach mal an, die gestrige Abfuhr oder die zeitweilige Abfuhr für den Euro hat Sie nicht sonderlich überrascht.
Glees: Überhaupt nicht überrascht. Am Sonntag waren die letzten Meinungsumfragen ganz klar: 68 Prozent der britischen Bevölkerung haben Nein zum Euro gesagt. Politisch wäre es ganz unmöglich, einfach Ja zu sagen. Blair war bestimmt darüber nicht sehr glücklich, Brown war vielleicht sehr glücklich, aber die politischen Tatsachen waren wirklich ganz klar.
Wiese: Halten Sie denn aber auch die Begründung, die Gordon Brown für die einstweilige Ablehnung des Euro vorgebracht hat, für stimmig?
Glees: Ich würde sagen, so wie es der Kanzler selber zum Euro gesagt hat: Jein. Auf der einen Seite gibt es bestimmt wirtschaftliche Unstimmigkeiten zwischen der britischen Wirtschaft und Euroland, wie wir es hier nennen. Auf der anderen Seite aber wird es diese Misslichkeiten doch immer geben. Es wird nie eine Zeit geben, wo wirtschaftlich alles zusammen klappt, so wie es der Kanzler hofft. Eigentlich hat, glaube ich, sein Entschluss mit Wirtschaft wenig zu tun. Man kann es so auskleiden, aber im Grunde genommen war es nach Irak, nach den vielen Streiks in Frankreich, nach der wirtschaftlichen Misere in der Bundesrepublik politisch unmöglich, Ja zu sagen.
Wiese: Herr Glees, warum trifft denn eigentlich für Großbritannien so vieles nicht zu, was für die anderen Europäer Gültigkeit hat? Sind die Verhältnisse auf der Insel wirklich so verschieden vom Kontinent? Sie sagten, es sei keine wirtschaftliche Entscheidung gewesen, sondern mehr eine politische.
Glees: Ja, ich würde sagen, das politische Klima verschlechtert sich dauernd, wenn ich es so ausdrücken darf. Thema Irak - es war eine große Sache, hier in Großbritannien zu sehen, wie die neuen Mitgliedsstaaten in der Europäischen Union zusammen mit Großbritannien, mit Spanien und Italien, aber gegen die zwei großen, die sich ja heute in Berlin treffen, wie Sie wissen, kämpfen mussten. Politisch war das eine sehr große Sache. Dauernd hören wir in unseren Zeitungen, unseren Medien von der wirtschaftlichen Misere in Deutschland, den vielen Streiks. Es soll wieder gestreikt werden. Bei uns gibt es zwei Prozent Wachstum im Jahr, bei Ihnen gibt es 0,5 Prozent Wachstum. Das ist ein Klub, in dem die Briten nicht Mitglied werden möchten.
Wiese: Ist dann also diese einstweilige Ablehnung des Euro auch eine Fortführung dieser tiefen inneren Spaltung Europas in neues und altes Europa, ganz wie der amerikanische Präsident Bush das gesagt hat?
Glees: Ich glaube ja. Vieles kann sich ändern, aber eines ist doch sehr, sehr klar: Es muss erst wieder Neuwahlen, eine neue Regierung in Großbritannien geben, bevor diese Frage noch einmal angetastet werden kann. Ich weiß, dass Herr Brown gesagt hat: Nächstes Jahr werden wir noch einmal prüfen. Man kann es aber so oft prüfen, wie man möchte: Es wird, wenn es um wirtschaftliche Prüfungen geht, nie richtig gut sein. Es muss eine neue politische Richtung sein. Es klingt sehr komisch, aber ich glaube, die neue politische Richtung wird in Großbritannien eher von den Konservativen kommen als von einer gespaltenen Labour-Führung.
Wiese: Stichwort Neuwahlen: Was bedeutet denn die gestrige Entscheidung für Premierminister Tony Blair selbst? Er will ja den Euro, sagt er jedenfalls. Ist er politisch nun geschwächt?
Glees: Ich glaube, er ist politisch geschwächt. Wenn man ihn gestern im Unterhaus so sah, würde man auch meinen, es saß da einer, der politisch geschwächt war. Ich glaube, seine Schwäche liegt darin, dass die ganze Euro-Geschichte für Blair persönlich eine einzige große verpasste Chance war. Wissen Sie, im Mai 1997, mit seiner Mehrheit von über 170 Sitzen hätte er gleich beim zweiten Mal, am Tag nach dem Wahltag, Ja zum Euro sagen können. Dazu hat ihm damals der Mut gefehlt. Heute zahlt er dafür die Quittung.
Wiese: Wird der Euro trotzdem, Herr Glees, irgendwann einmal auch nach Großbritannien kommen? Ist seine Einführung nur aufgeschoben, nicht aufgehoben, oder könnte sie eventuell durch ein Referendum endgültig abgelehnt werden?
Glees: In der Politik - besonders in der britischen Politik - ist "endgültig" kein Begriff. Wissen Sie, es gibt nur ein Theater in der Stadt, wie wir im Englischen sagen. Der Euro ist da. Es ist eine starke Währung. Auch wenn es Deutschland und Frankreich wirtschaftlich schlecht geht, ist die Währung sehr stark. Sie hat sich bewährt, und eines Tages sind natürlich die Briten dabei.
Wiese: Danke vielmals. Das war Professor Anthony Glees. Vielen Dank für das Gespräch. Auf Wiederhören, Herr Glees.
Glees: Tschüss.
Link: Interview als RealAudio
Glees: Schönen guten Morgen.
Wiese: Ich nehme einfach mal an, die gestrige Abfuhr oder die zeitweilige Abfuhr für den Euro hat Sie nicht sonderlich überrascht.
Glees: Überhaupt nicht überrascht. Am Sonntag waren die letzten Meinungsumfragen ganz klar: 68 Prozent der britischen Bevölkerung haben Nein zum Euro gesagt. Politisch wäre es ganz unmöglich, einfach Ja zu sagen. Blair war bestimmt darüber nicht sehr glücklich, Brown war vielleicht sehr glücklich, aber die politischen Tatsachen waren wirklich ganz klar.
Wiese: Halten Sie denn aber auch die Begründung, die Gordon Brown für die einstweilige Ablehnung des Euro vorgebracht hat, für stimmig?
Glees: Ich würde sagen, so wie es der Kanzler selber zum Euro gesagt hat: Jein. Auf der einen Seite gibt es bestimmt wirtschaftliche Unstimmigkeiten zwischen der britischen Wirtschaft und Euroland, wie wir es hier nennen. Auf der anderen Seite aber wird es diese Misslichkeiten doch immer geben. Es wird nie eine Zeit geben, wo wirtschaftlich alles zusammen klappt, so wie es der Kanzler hofft. Eigentlich hat, glaube ich, sein Entschluss mit Wirtschaft wenig zu tun. Man kann es so auskleiden, aber im Grunde genommen war es nach Irak, nach den vielen Streiks in Frankreich, nach der wirtschaftlichen Misere in der Bundesrepublik politisch unmöglich, Ja zu sagen.
Wiese: Herr Glees, warum trifft denn eigentlich für Großbritannien so vieles nicht zu, was für die anderen Europäer Gültigkeit hat? Sind die Verhältnisse auf der Insel wirklich so verschieden vom Kontinent? Sie sagten, es sei keine wirtschaftliche Entscheidung gewesen, sondern mehr eine politische.
Glees: Ja, ich würde sagen, das politische Klima verschlechtert sich dauernd, wenn ich es so ausdrücken darf. Thema Irak - es war eine große Sache, hier in Großbritannien zu sehen, wie die neuen Mitgliedsstaaten in der Europäischen Union zusammen mit Großbritannien, mit Spanien und Italien, aber gegen die zwei großen, die sich ja heute in Berlin treffen, wie Sie wissen, kämpfen mussten. Politisch war das eine sehr große Sache. Dauernd hören wir in unseren Zeitungen, unseren Medien von der wirtschaftlichen Misere in Deutschland, den vielen Streiks. Es soll wieder gestreikt werden. Bei uns gibt es zwei Prozent Wachstum im Jahr, bei Ihnen gibt es 0,5 Prozent Wachstum. Das ist ein Klub, in dem die Briten nicht Mitglied werden möchten.
Wiese: Ist dann also diese einstweilige Ablehnung des Euro auch eine Fortführung dieser tiefen inneren Spaltung Europas in neues und altes Europa, ganz wie der amerikanische Präsident Bush das gesagt hat?
Glees: Ich glaube ja. Vieles kann sich ändern, aber eines ist doch sehr, sehr klar: Es muss erst wieder Neuwahlen, eine neue Regierung in Großbritannien geben, bevor diese Frage noch einmal angetastet werden kann. Ich weiß, dass Herr Brown gesagt hat: Nächstes Jahr werden wir noch einmal prüfen. Man kann es aber so oft prüfen, wie man möchte: Es wird, wenn es um wirtschaftliche Prüfungen geht, nie richtig gut sein. Es muss eine neue politische Richtung sein. Es klingt sehr komisch, aber ich glaube, die neue politische Richtung wird in Großbritannien eher von den Konservativen kommen als von einer gespaltenen Labour-Führung.
Wiese: Stichwort Neuwahlen: Was bedeutet denn die gestrige Entscheidung für Premierminister Tony Blair selbst? Er will ja den Euro, sagt er jedenfalls. Ist er politisch nun geschwächt?
Glees: Ich glaube, er ist politisch geschwächt. Wenn man ihn gestern im Unterhaus so sah, würde man auch meinen, es saß da einer, der politisch geschwächt war. Ich glaube, seine Schwäche liegt darin, dass die ganze Euro-Geschichte für Blair persönlich eine einzige große verpasste Chance war. Wissen Sie, im Mai 1997, mit seiner Mehrheit von über 170 Sitzen hätte er gleich beim zweiten Mal, am Tag nach dem Wahltag, Ja zum Euro sagen können. Dazu hat ihm damals der Mut gefehlt. Heute zahlt er dafür die Quittung.
Wiese: Wird der Euro trotzdem, Herr Glees, irgendwann einmal auch nach Großbritannien kommen? Ist seine Einführung nur aufgeschoben, nicht aufgehoben, oder könnte sie eventuell durch ein Referendum endgültig abgelehnt werden?
Glees: In der Politik - besonders in der britischen Politik - ist "endgültig" kein Begriff. Wissen Sie, es gibt nur ein Theater in der Stadt, wie wir im Englischen sagen. Der Euro ist da. Es ist eine starke Währung. Auch wenn es Deutschland und Frankreich wirtschaftlich schlecht geht, ist die Währung sehr stark. Sie hat sich bewährt, und eines Tages sind natürlich die Briten dabei.
Wiese: Danke vielmals. Das war Professor Anthony Glees. Vielen Dank für das Gespräch. Auf Wiederhören, Herr Glees.
Glees: Tschüss.
Link: Interview als RealAudio