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Abschied von Feuerbach

Reichel: Herr Schnädelbach, wie schätzen Sie die Bedeutung von Ludwig Feuerbach in seiner Zeit ein?

    Schnädelbach: Sie haben das ja schon in der Anmoderation gesagt, dass er eine neue Welle der Aufklärung in Deutschland durchgesetzt hat, natürlich nicht allein, sondern mit seinen Genossen, die wir heute immer die Junghegelianer nennen. Und da muss man dazu sagen, dass in der Zeit bis 1830/31, also in der Zeit, in der Hegel die philosophische Szene bestimmt hat, die Aufklärung allgemein als etwas Überwundenes angesehen wurde. Was nun Kant betrifft, so sah man in Kant immer einen Vollender der Aufklärung, aber die Generation der Junghegelianer glaubte das nicht und sie rechnete also ihren großen Lehrer Hegel mit zu den Mächten, gegen die sich die Aufklärung erst noch durchsetzen musste. Das können wir auch im Rückblick als einen neuen Ansatz von Aufklärung im deutschen Sprachraum ansehen.

    Reichel: Die auch nötig war.

    Schnädelbach: Ja, das kann man sagen, weil also die deutsche Aufklärung im späten 18. Jahrhundert im Unterschied zu der französischen sehr schmalbrüstig war, möchte ich mal sagen. Sie war auch sehr unpolitisch. Man hat peinlich vermieden, sich mit den religiösen Mächten, also vor allen Dingen mit den Kirchen anzulegen. Kant, den Sie ja erwähnt haben, hat immerhin die Religion interpretiert als eine Fortsetzung der Moral, so kann man das vielleicht sagen. Seine Schrift "Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft" brachte ihm aber dann im nachfriederizianischen Preußen Publikationsverbot ein. Überhaupt war in dieser Zeit die Nachrede, man sei Atheist eine unmittelbare Bedrohung der bürgerlichen Existenz und so hat ja dann auch Feuerbach seine venia legendi, also seine Berechtigung an der Universität zu lehren, verloren.

    Reichel: Am kommenden Mittwoch wäre Ludwig Feuerbach 200 Jahre alt geworden und seine These, dass unsere Wahrheit, selbst auch die religiöse Wahrheit immer zumindest auch menschliche Wahrheit ist, scheint allgemein doch eigentlich anerkannt, auch bei vielen Theologen. Würden Sie Studenten trotzdem heute noch Feuerbachs Schriften empfehlen?

    Schnädelbach: Ich glaube, dass man nicht unmittelbar an Feuerbachs Schriften anknüpfen kann. In der Anmoderation haben Sie ja gesagt, er hat darauf bestanden, dass das, was die Menschen in der Religion anbeten, eigentlich ihr eigenes Wesen ist. Das ist ja die Zentralthese seines Buches "Vom Wesen des Christentums" von 1841. Der junge Marx hat sich dem dann angeschlossen und hat sehr drastisch gesagt, "Wir sind alle durch den Feuerbach gegangen" und es ginge nun darum, die Güter, die die Menschen an den Himmel verschwendet hätten, nun wieder auf die Erde zurückzuholen. Der Mensch ist für den Mensch das höchste Wesen, das ist so eigentlich das, was der feuerbachsche Humanismus propagiert. Aber ich denke, dass wir vor allen Dingen nach den fürchterlichen Katastrophen des 20. Jahrhunderts, die ja auf einem Stolz beruhten, dass wir nun endlich beim Menschen angekommen sind, dass wir da vorsichtiger sein müssen.

    Reichel: Das verstehe ich nicht so ganz. Wieso sagen sie "vorsichtiger sein müssen"?

    Schnädelbach: Der Punkt ist: Man soll aus dem Humanismus keine Ersatzreligion machen. Man darf nicht im Namen des Menschen oder der Menschheit versuchen, Macht auszuüben und das ist ja nun wirklich geschehen. Der Marxismus hat sich immer als Humanismus verstanden, hat immer Feuerbach zu seinem Ahnherren miternannt. Und der Punkt ist einfach der, ich denke Humanismus ist ein Rest. Also Humanismus ist das was übrig bleibt, wenn der Himmel leer ist. Und das nun so vorzutragen als die große Parole, also die große begeisternde Fahneninschrift, will ich mal sagen, das sollten wir nicht tun. Gut, es gibt vielleicht kein Wesen über uns und das ist wohl auch die Botschaft von Feuerbach gewesen, aber wir sind eben endlich, wir sind gebrechlich, wir sind gefährdet, wir gefährden und selbst. Wir sollten deswegen mit dem Humanismus sehr vorsichtig sein und ihn vor allen Dingen nicht kämpferisch gegen religiöse Menschen vorbringen.

    Reichel: Nun erleben wir, vielleicht spielen Sie auch schon darauf an, mit den Ereignissen vom elften September 2001 und den Konflikten danach in Afghanistan und Irak wieder eine zunehmende Bedeutung von Religion oder zumindest auch ein gesteigertes Interesse an Religion. Wie beurteilen Sie denn diesen Prozess?

    Schnädelbach: Auch hier bin ich sehr vorsichtig. Ich sehe einfach keine Rückkehr von Religion im Westen. Ich kann einfach nicht finden, dass dieser Schock von 2001, das der zu einer neuen Attraktivität von Religiosität hier bei uns im Westen geführt hat, also ich vermag das nicht wahrzunehmen. Etwas anders ist natürlich der Islamismus, also sozusagen eine religiös verbrämte aber doch totalitäre Ideologie, die dahinter steht. Ich denke, dass wir es beim Islamismus tatsächlich mit einer neuen Art von Faschismus zu tun haben, der aber inhaltlich, also wenn man mal wirklich in den Koran hineinguckt, mit dem gelebten und geglaubten traditionellen Islam wirklich nur ganz wenig zu tun hat.

    Reichel: Sie haben ja mal ganz stark das Christentum kritisiert, erinnert sei hier zum Bespiel an die Debatte im Jahr 2000 in der ZEIT. Würden Sie so auch andere Religionen kritisieren?

    Schnädelbach: Also zunächst muss ich noch mal sagen, ich habe nicht das Christentum im Ganzen, sondern ich habe ganz bestimmte Züge des Christentums kritisiert, die ich "Geburtsfehler" nannte und von denen ich allerdings auch formuliert habe, dass von denen ein Fluch auf unsere Gesellschaft ausgegangen ist, also ich will mal sagen verhängnisvolle Konsequenzen für unsere Kulturgeschichte. Da muss man dann genauer hinsehen. Ich denke wir sollten uns hüten, Religiosität als persönliche Frömmigkeit der einen oder andern Art irgendwie anzugreifen oder madig zu machen oder zu glauben, dass wir da so überlegen sind. Aber etwas anders ist, wenn man unter Religion ja nun ein verfasstes Glaubenssystem mit einer Hierarchie, mit einer kulturellen Macht ausgestattet vor Augen hat, da meine ich müssen wir in der Moderne darauf bestehen, dass sie nicht unser öffentliches Leben und unser allgemeines kulturelles Bewusstsein dominieren darf.

    Reichel: Sie haben sich aber in der Debatte um den Gottesbezug in der europäischen Verfassung ganz klar geäußert. Sie haben gesagt: "Wir leben jenseits des Christentums." Bezieht sich das dann auch auf die Institution hauptsächlich?

    Schnädelbach: Also Christentum ist ja eben ein merkwürdiger Ausdruck, der erst im 19. Jahrhundert bei uns aufkommt und das ist sozusagen der fremde Blick auf die Christenheit. Vorher hat es immer geheißen, "wir, die Christenheit". Wenn ich mich jetzt frage, was ist denn wirklich vom Christentum noch übrig, dann sind das natürlich die Kirchen, die eben Institutionen sind, die auch interne Sanktionsmöglichkeiten haben, Ausschlussmöglichkeiten und so weiter, die auch bei uns durch das Kirchensteuersystem in einem gewissen Sinne privilegiert sind und auch sehr wichtige soziale Aufgaben erfüllen. Also insofern halte ich also eine Forderung, das verfasste Christentum bei uns, die Kirchen und so etwas abzuschaffen, das halte ich einfach schlicht für Unsinn. Aber wenn man sich mal überlegt, wie viel Christliches noch unser alltägliches Leben bestimmt, so geht das immer weiter zurück und ich denke, dass das Christliche - abgesehen von einer Minderheit, die nun auch tatsächlich versucht, christlich zu leben - im Grunde nur noch eine Art Firnis, eine Art Dekoration unserer Lebenswirklichkeit ist.

    Reichel: Aber immerhin Zweidrittel der Bevölkerung ist noch in einer Kirche.

    Schnädelbach: Ja, aber da müsste man dann mal genau sehen, ich bin nun kein Religionssoziologe, aber da müsste man einmal genau nachsehen, was da tatsächlich geglaubt wird von diesen Kirchenmitgliedern und das ist wirklich erstaunlich. Da habe ich einmal eine Untersuchung gesehen. Ich denke, wenn die Kirchen das wüssten, was ihre Mitglieder tatsächlich glauben, das würden sie glaube ich sehr nachdenklich werden. Der andere Punkt ist, die Kirchen erfüllen natürlich nach wie vor auch gewissen Rahmenbedingungen für Familienfeste für Beerdigungen und so weiter, das ist auch Brauchtum, vor allem auch in den ländlichen Gebieten. Das darf man nicht überschätzen, wenn man wirklich fragt, wonach und woraus wir leben, dass das Christliche noch eine wirkliche Bedeutung hat.
    Reichel: Wäre Ludwig Feuerbach heute mit der Situation zufrieden oder würde er auch eine Schrift wie "Das Wesen des Christentums" in einer anderen Form natürlich verfassen?

    Schnädelbach: Nein, ich glaube nicht. Ich glaube, dass er heute eher dazu neigen würde, das Religiöse zu verteidigen, denn mein Eindruck ist - Sie hatte das ja vorhin schon zitiert - ich glaube, dass wir so postreligiös sind, dass schon nicht mal mehr der Atheismus ein Thema ist.

    Reichel: Der Philosophieprofessor Herbert Schnädelbach war das anlässlich des 200. Geburtstages von Ludwig Feuerbach, der am kommenden Mittwoch begangen wird.