Simon: Retten Ihre Vorschläge jetzt auf lange Jahre die Finanzierbarkeit der Rente?
Müller: Wir hoffen schon, dass mit diesem Vorschlag der Rürup-Kommission eine Weichenstellung getroffen worden ist, die auf die demographische Entwicklung reagiert, das heißt, immer mehr Menschen werden immer älter, der Anteil der Menschen, die im Rentenalter sein werden zum Anteil der Erwerbstätigen verschiebt sich. Von daher ist, um eine dauerhafte Finanzierung zu sichern, sicherlich - wir haben dem jedenfalls zugestimmt - der Einstieg in eine Heraufsetzung der Alterslebenszeit durchaus ganz vernünftig, auch wenn man davon ausgeht, dass der Einstieg schrittweise erfolgen wird: ab 2011 pro Jahr einen Monat Verlängerung. Es wird auch die Möglichkeit für Versicherte eröffnet, die mehr als 45 Versicherungsjahre habe, früher als mit 67 in Rente zu gehen.
Simon: Was halten Sie denn von der Kritik, anstatt jetzt gleich das Rentenalter schrittweise heraufzusetzen, erst einmal durchzusetzen, dass möglichst viele Arbeitnehmer bis zum Alter von 65 Jahren arbeiten, was ja derzeit nicht der Fall ist?
Müller: Das ist natürlich völlig richtig. Das erste ist, wieder die 65 Jahre und überhaupt die Beschäftigung in diesem Lande wieder voll durchzusetzen. Da haben in den vergangenen Jahren viele gemeinsam, Politik aber auch Gewerkschaften, durch die Illusion, man würde durch die Herabsetzung oder das Herausdrängen von älteren Arbeitnehmern aus dem Berufsleben, neue Arbeitsplätze schaffen. Diese Erwartungen sind bitter enttäuscht worden. Von daher ist das nicht alternativ zu sehen. Was jetzt geschehen muss, ist, die Erwerbsfähigkeit aller Menschen, die arbeiten wollen, auch wirklich bis 65 im Arbeitsprozess zu lassen. Aber hier geht es um eine längerfristige Weichenstellung und Umorientierung, die dann eigentlich erst im Jahre 2030 voll greifen wird, weil man eben erst 2011 einsteigen will.
Simon: Die Gesundheitsreform, wie sie jetzt von den Politikern ausgehandelt wurde, gilt ja bei vielen als wenig sozial, auch ihr Verband übt harte Kritik. Ist es bei dem, was jetzt die Kommission zur Rente vorlegt, anders?
Müller: Die Rente mit der Heraufsetzung auf 67 halten wir angesichts der demographischen Entwicklung durchaus für eine längerfristig wirkende richtige Entscheidung. Die Problematik der Absenkung mit dem berühmten Nachhaltigkeitsfaktor der Renteneinnahmen, hat etwas zu tun mit der Frage: Wie hoch kann man die Erwerbstätigen eigentlich mit Beiträgen belasten, wenn man die Schere zwischen zunehmender Zahl von zu versorgenden, also Menschen im Rentenalter, zu denen, die erwerbstätig sind, nicht weiter größer werden lassen will? Aus unserer Sicht sind dann Reformen notwendig.
Simon: Sie sagen, was die Kommission heute sagt, hat ja Wirkung auf lange Zeit und das muss bei diesen sozialen Themen auch so sein. Warum hat die Rürup- Kommission dann nicht weitergehende Vorschläge für eine verpflichtende private Absicherung gemacht?
Müller: Das ist ein Thema, das intensiv diskutiert wurde. Man hat bei der berühmten Rister-Rente, der gegenwärtigen privaten Altersvorsorge, die immer noch freiwillig ist, gesagt, dass hier zunächst mal deutliche Reformen kommen müssen. Die gegenwärtige Regelung wird ja - und das sind Zahlen, die wir auch in der letzten Zeit erhoben haben - von fünf Prozent derer, die überhaupt antragsberechtigt sind und eine solche Förderung erhalten könnten, in Anspruch genommen. Das hat viel zu tun mit dem sehr komplizierten verfahren. Hier sollten erst mal deutliche Erleichterungen beziehungsweise Reformen des gegenwärtigen Versicherungs- und Förderungsmodells kommen. Das war die Überlegung.
Simon: Das heißt aber nicht grundsätzlich nein, auch von ihrer Seite, zu einer verpflichtenden privaten Absicherung?
Müller: Es ist immer die Frage, ab wann man eigentlich den Versicherten bei den zahlreichen Beiträgen, die sie von ihrem laufenden Einkommen bestreiten müssen, weitere zusätzliche verpflichtende Beiträge an andere Kassen abverlangen kann. Hier muss man auch die soziale Ausgewogenheit auch für die Menschen, die im Arbeitsprozess sind, sichern. Vorrangig ist doch im Moment, was die private Altersvorsorge angeht, das Förderungsmodell, also die Menschen anzuregen, mehr auf die hohe Kante zu legen.
Simon: Welche Chancen geben Sie denn auf Umsetzung den Vorschlägen, die die Rürup- Kommission gemacht hat?
Müller: Ich glaube, dass wir in Kürze im politischen Raum, manche nennen ja da den Wahltermin in Bayern als entscheidendes Datum, eine Diskussion bekommen werden, die die Gesundheitsreform doch mal wieder thematisieren wird. Momentan wird sich um eine grundsätzliche Veränderung des gegenwärtigen Krankenversicherungsmodell herumgedrückt, also Verbreiterung der Basis der Beitragszahler und auch mehr soziale Gerechtigkeit für Beitragszahler oder eben das andere Modell, das von Gesundheitsprämien ausgeht und damit den Steuerzahler stärkt als einen, der die soziale Balance herstellen sollte. Die Diskussion wird sicher in Kürze beginnen, weil die gegenwärtige Gesundheitsreform doch entgegen den Aussagen der Politiker, aus unserer Sicht nicht nachhaltig ist. Von daher wird man hier auf grundsätzliche Reformen drängen müssen. Umso bedauerlicher, dass nicht die Kommission sich hier klar auf ein nachhaltiges Finanzierungskonzept verständigen konnte.
Simon: Und bei der derzeit sehr lauten Kritik an der Heraufsetzung des Rentenalters, sehen Sie da Chancen, dass etwas umgesetzt wird?
Müller: Ich denke, auch hier wird die Not zu entsprechenden politischen Maßnahmen führen müssen. Sicherlich ist es richtig und die Politik ist aufgerufen, erst mal ihre Hausarbeiten im Hinblick auf die gegenwärtige Beschäftigungssituation zu machen. Die jetzt erarbeiteten Reformen, zeigen erst langfristig Wirkung. Man hat es ja mit einem sich sehr langsam bewegenden Tanker zu tun, der über die Jahrzehnte allmählich umgesteuert werden muss, wenn man die Sozialsysteme verändern will. Ich kann nur noch mal bedauern, dass es in der Kommission nicht gelungen ist, einen klaren Vorschlag zu machen.
Simon: Was bei Ihnen so durchklingt, die Arbeit in einer so großen und verschieden zusammengesetzten Kommission, scheint ja ein bisschen die Quadratur des Kreises zu sein. Werden Sie in einer solchen Konstellation noch mal weiterarbeiten?
Müller: Die Kommission hat ja nun einen Auftrag erledigt. Künftige Kommissionen, das werde ich dann jeweils entscheiden müssen. Natürlich ist es immer schwierig, sozusagen in einem kleinen Kosmos, der von Vertretern der unterschiedlichsten Richtungen, dann einen Konsens hinzukriegen. Aber es ist schon die Mühe wert, zumindest den Versuch zu machen, den Einfluss der Versicherten und Patienten in unserem Fall oder der Rentenbezieher, dort auch zu Gehör zu bringen. Allein der Wissenschaft das zu überlassen oder Vertretern der eher Gutsituierten, der Wirtschaft, das ist sicher nicht die richtige Wahl. Das ist vielleicht in mancher Hinsicht bequemer, aber manchmal muss man sich da mit an den Tisch sitzen.
Simon: Das war Edda Müller, Vorstand des Verbraucherzentrale-Bundesverbandes. Vielen Dank für das Gespräch, Frau Müller.
Müller: Bitteschön
Link: Interview als RealAudio