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Abstimmung über Haushaltsdefizit
Erste Bewährungsprobe für die spanische Minderheitsregierung

Seit Anfang Juni führt Pedro Sánchez eine Minderheitsregierung in Spanien an. Nun hat der Sozialist die erste größere Niederlage im Parlament hinnehmen müssen. Dabei spielen auch die katalanischen Separatisten eine Rolle, sagt ARD-Korrespondent Oliver Neuroth im Dlf.

Oliver Neuroth im Gespräch mit Britta Fecke | 30.07.2018
    Pedro Sanchez, Chef der Sozialistischen Partei in Spanien
    Seit zwei Monaten regiert der Sozialist Pedro Sánchez Spanien mit einer Minderheitsregierung (imago stock&people)
    Britta Fecke: Die Minderheitsregierung des spanischen Ministerpräsidenten Pedro Sánchez hat die erste schwerere Niederlage hinnehmen müssen. Eine große Mehrheit stimmte am Freitag im Parlament gegen die Zielvorgabe von Pedro Sánchez' Sozialisten zur vorsichtigen Reduzierung des Haushaltsdefizites. 172 Abgeordnete stimmten dagegen und nur 88 dafür. Auch wenn das Votum rechtlich nicht bindend ist, schürt dieses Ergebnis doch Zweifel an der Regierungsfähigkeit der Sozialisten - und das nur knapp zwei Monate nach Bildung der Minderheitsregierung.
    Ich bin jetzt verbunden mit dem ARD Spanien-Korrespondenten Oliver Neuroth. Herr Neuroth, warum haben denn mehrere Parteien, die Pedro Sánchez' Minderheitsregierung bisher gestützt haben, ihm bei dieser Abstimmung die Gefolgschaft verweigert?
    Oliver Neuroth: Ich denke, das hat zwei zentrale Gründe: Erst einmal passte dieses neue Gesetz den Parteien politisch nicht. Es ging ja um die Defizitziele der neuen Regierung, also um die Frage, wieviel Schulden sie machen darf im neuen Haushalt. Die Linkspartei Podemos zum Beispiel hat sich enthalten, weil sie will, dass noch mehr Geld ausgegeben wird als vorgesehen. Und die konservative Partei, die PP, forderte das Gegenteil, eine striktere Obergrenze für das Schuldenmachen.
    Und der zweite zentrale Grund dürfte sein, dass beim Misstrauensvotum gegen den damaligen Ex-Regierungschef Mariano Rajoy es um etwas ging, das die Parteien wirklich geeint hat: nämlich Mariano Rajoy loszuwerden. Da ging es nicht um die sozialdemokratische Politik von Pedro Sánchez, dem neuen Regierungschef. Die Parteien, die ihn unterstützt haben, sahen in Mariano Rajoy eine Art Feindbild: Für Podemos war er das Sinnbild der Korruption in Spanien, und für die kleinen katalanischen Parteien zum Beispiel derjenige, der jeden Schritt verboten hat in Richtung Unabhängigkeit. Daher das geeinte Nein beim Misstrauensvotum.
    Carles Puigdemont hat immer noch Einfluss
    Fecke: Welche Fäden zieht bei dieser Abstimmung eigentlich der katalanische Separatistenführer Carles Puigdemont in dem Zusammenhang von Berlin aus oder jetzt von Brüssel aus?
    Neuroth: Ich glaube, er spielt weiter eine ganz entscheidende Rolle. Ihm ist es nämlich gar nicht recht, dass seine Separatistenpartei beim Misstrauensvotum Pedro Sánchez gefolgt ist, auch wenn Carles Puigdemont natürlich auch kein Rajoy-Fan war und kein Rajoy-Fan ist. Deshalb musste auch vor ein paar Tagen schon die Chefin seiner Partei gehen. Viele sagen, dass das auf Druck von Carles Puigdemonts passiert ist. Und eine neue Person wurde auf den Chefposten gesetzt, auch auf Carles Puigdemonts Druck, jemand, der mehr auf seiner Linie ist, man könnte vielleicht auch sagen, eine Art Marionette von ihm, der seine Anweisungen aus dem Exil nun umsetzt.
    Und die erste Anweisung dürfte gelautet haben: Das erste Gesetzesvorhaben der neuen spanischen Regierung bitte blockieren! Carles Puigdemont will einfach politisch nicht in der Versenkung verschwinden, denke ich. Er darf ja in Spanien kein offizielles Amt mehr ausüben. Und so, meine Deutung, versucht er nun aus Brüssel alles Mögliche, um die spanische Politik zu stören, zu torpedieren - quasi als neue Mission, als neues Projekt von ihm.
    Die Regierung wackelt nicht
    Fecke: "Regierung vor dem Aus", so titelten auch verschiedene seriöse Medien in Deutschland. Was meinen Sie, ist das ein etwas zu früher Abgesang, nachdem es eigentlich nur eine Niederlage bisher im Parlament gab für Pedro Sánchez?
    Neuroth: Ja, ich glaube, dass die Regierung noch gar nicht wackelt, überhaupt nicht. Man muss ja bedenken: Pedro Sánchez hat sich für diesen Posten, den er nun innehat, jahrelang warmgelaufen, als Chef der Sozialistischen Partei, der bis Juni größten Oppositionspartei im spanischen Parlament. Er kam mit Glück ins Amt über dieses Misstrauensvotum, das, ja, geglückt ist - womit er selbst, glaube ich, gar nicht zu dem Zeitpunkt gerechnet hatte. Er wird sich das nicht so schnell nehmen lassen. Und er wird versuchen, das aktuelle Gesetz nachzubessern, das ja nun die Niederlage vollbracht hat oder erzeugt hat im Parlament. Dafür hat die Partei einen Monat Zeit, um dann nochmal eine Partei oder eine Mehrheit im Parlament zu suchen. Das gelingt dann vielleicht durch Deals mit anderen Parteien. Aber auch wenn das nicht gelingen sollte: es ging hier um ein einziges Gesetz, daran zerbricht noch nicht die Regierung. Und Pedro Sánchez hat vor ein paar Tagen erst gesagt: Gewählt wird in Spanien erst wieder 2020.
    Fecke: Die Minderheitsregierung des spanischen Ministerpräsidenten Pedro Sánchez hat eine Niederlage hinnehmen müssen im Parlament. Wie das einzuschätzen ist, erklärte uns der Madrid-Korrespondent Oliver Neuroth.