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"Abwarten, was der Ausschuss zu Tage fördert"

Dirk Müller: Fast täglich berichten die Zeitungen über neue Details, Details, die immer häufiger Kopfschütteln beim Leser auslösen: neue Einzelheiten in der Visa-Affäre, die den Außenminister und inzwischen auch den Innenminister zunehmend in die Bredouille bringen. Demnach hat es schon viel früher als bislang angenommen und bislang zugegeben eindeutige Hinweise auf den Missbrauch bei der Visa-Vergabe gegeben, auch von den Ministerien SPD-geführter Bundesländer, von Freund zu Freund sozusagen. Gewarnt also schon, jedoch ohne Erfolg. Joschka Fischer wiederum hat öffentlich jedoch auch nur ein ungläubiges Kopfschütteln übrig für diejenigen, die ihn massiv kritisieren, seine Verantwortung hinterfragen. Die Erinnerung an das, wie es wirklich war, ist eben auch für Politiker ab und zu eine echte Herausforderung. Darüber reden wollen wir nun mit Hans Leyendecker von der "Süddeutschen Zeitung". Guten Morgen!

Moderation: Dirk Müller |
    Hans Leyendecker: Guten Morgen, ich grüße Sie!

    Müller: Herr Leyendecker, helfen Gedächtnisseminare für Politiker weiter?

    Leyendecker: Das ist nicht selten so, und ein Untersuchungsausschuss kann schon ein ganz gutes Gedächtnisseminar sein. Wenn man dann noch mal die Vorlagen bekommt und die Vermerke bekommt, erinnert man sich möglicherweise an das, was damals Vorlage für den Minister gewesen ist. Das gibt es. Das muss im Fall Fischer nicht so sein, aber in anderen Fällen war das so.

    Müller: Politiker werben ja oft mit der Politik der kleinen Schritte. Das ist offenbar eine sinnvolle Strategie. Heißt das umgekehrt, auch wenn es jetzt mit Blick auf den Untersuchungsausschuss um die Wahrheit geht, eine Politik der kleinen Wahrheiten?

    Leyendecker: Untersuchungsausschüsse haben ihre eigenen Gesetzmäßigkeiten. Es kommt ein bisschen darauf an, wie der Stoff verteilt ist. Ich finde, in diesem Untersuchungsausschuss ist sehr viel Stoff in ganz unterschiedlichen Bereichen. Die Frage wie es war, dass kriminelle Firmen den Zuschlag bekamen, um sozusagen von der Regierung bedient Menschenschleusern zu helfen, ist ein ungeheuerlicher Vorgang. Das zweite ist: was ist in den Ministerien passiert, als die vielen Warnmeldungen kamen. Warum hat man nicht reagiert? Da ist also sehr viel Stoff und das wird auch helfen, möglicherweise der Wahrheit ein Stück näher zu kommen.

    Müller: Haben Sie eine Erklärung dafür, warum Joschka Fischer nicht reagiert hat?

    Leyendecker: Ich glaube, das war ihm nicht so wichtig. Das ist ja auch nicht unmittelbar eine Sache, die den Minister angeht. Interessant ist halt, wie spät er jetzt zu reagieren beginnt. Da stimmen die Reflexe nicht, muss man sagen. Insgesamt hat die Regierung - aber das gilt auch für die Medien - diesen Skandal sehr spät wahrgenommen.

    Müller: Reden wir über Joschka Fischer. Ist das Ministerversagen?

    Leyendecker: Das ist Ministerversagen. Der Minister haftet für seinen Apparat, nicht juristisch, sondern politisch, und Fehler des Apparates sind Führungsfehler. So war es immer.

    Müller: Nun sagt Joschka Fischer, ich stelle mich vor meine Mitarbeiter. Was haben die Mitarbeiter davon?

    Leyendecker: Das sagt er. Es gibt ja böse Zungen, die sagen, er hat sich zeitweise hinter Claudia Roth versteckt. Das möchte ich nicht so sehen. So dreckig geht es ihm noch nicht. Er hat aber gesagt, er stellt sich vor die Mitarbeiter, aber er kann sich hinter Mitarbeitern auch nicht verstecken.

    Müller: Er sagt ich übernehme die Verantwortung und macht weiter. Ist das Verantwortung übernehmen?

    Leyendecker: Ich finde diese Rücktrittsgeschichten ein bisschen verfrüht oder deutlich verfrüht. Man muss schauen, was in diesem Ausschuss zu Tage kommt. Es gibt möglicherweise Dinge, die durchaus entlasten. Das, was ich bisher sehe, die Hinweise auf die Vorgängerregierung, die Regelung, die die hatten, das finde ich nicht sehr entlastend. Möglicherweise sind dort aber Dinge, die uns bislang nicht bekannt sind. Man soll nicht gleich immer nach Rücktritt schreien. Ich finde auch das, was Oswald Metzger jetzt sagt: normalerweise bedeutet politische Verantwortung Rücktritt, dann tritt einer nach, das muss alles nicht sein. Das ist ein wichtiger Untersuchungsausschuss. Da muss man sehen, was er zu Tage fördert, und am Ende muss man Bilanz ziehen. Joschka Fischer hat gestern ja erklärt, wenn er wirklich Mist gebaut habe, stelle er sich dem. Wenn er dann anerkennt, dass es Mist war, müsste es dann eigentlich ein Rücktritt sein.

    Müller: Das heißt, Herr Leyendecker, wenn ich Sie richtig verstanden habe, Sie haben noch Zweifel daran, dass die Regierung nicht drei Jahre lang geschlafen hat?

    Leyendecker: Nein, das habe ich nicht. Das ist nicht der Punkt. Der Grundrahmen dieser Geschichte ist ja bekannt, dass ab 1999 es los geht, dass im März 2003 Reiseschutzpässe erst abgeschafft werden, die massenhaft dazu geführt haben, dass erst im Oktober 2004 der Erlass ausgehebelt wird, der nun tatsächlich sehr viel damit zu tun hat. Die Koalition sagt im Moment, gestern sei durch die Expertenanhörung bestätigt worden, dass dieser Erlass in Ordnung sei. Das ist so richtig nicht, sondern es hat schlicht eine Anweisung gegeben, anders zu verfahren und die Botschaften haben immer darauf beharrt, dass sie Änderungen wollten. Und diese Änderungen wurden ihnen nicht zugestanden. Da gibt es im Moment viele, viele Interpretationen. Nein, der Grundrahmen ist klar. Aber ich meine, es kann auch innerhalb dieses Rahmens Details geben, die das Gesamtbild wieder verändern.

    Müller: Hans Leyendecker war das, Chefreporter der "Süddeutschen Zeitung". Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören!