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Achille Mbembe
Vordenker der Dekolonisierung

Der aus Kamerun stammende Politikwissenschaftler Achille Mbembe gilt als einer der bedeutendsten und zugleich umstrittensten Autoren Afrikas. "Kritik der schwarzen Vernunft" ist seine erste Veröffentlichung auf Deutsch - sie spart nicht mit Kritik am Selbstbild der Schwarzen.

Von Werner Köhne |
    Mädchen in Mama Fatuma's Childrens Home im Stadtteil Eastleigh in Nairobi (Kenia), aufgenommen am 30.11.2007.
    Mädchen in einem Waisenhaus in der kenianischen Hauptstadt Nairobi. (picture-alliance / dpa / Sandra Gätke)
    Ein Farbiger, ein Schwarzer: Das sind Bezeichnungen, die noch als politisch korrekt gelten Begriff "Neger" hingegen löst Reflexe jener Peinlichkeitskultur aus, in der Unsicherheit, Abwehr und klammes Schuldgefühl ineinander wirken. Merkwürdigerweise hat man mit der Bezeichnung "Nigger" weniger Probleme, obwohl dies ein Schimpfwort darstellt. Vielleicht deshalb, weil der Begriff von Farbigen selbst verwendet wird, ja auf einem hippen Soundteppich inzwischen gar Einzug in die Popkultur gehalten hat.
    Die Signatur "Neger" gibt sich da sperriger. In ihm äußert sich ein jahrhundertlang währender Wahn; der Neger stellt für die westliche Wertegemeinschaft ein Zerrbild dar; etwas Maskenhaftes, Monströses geht von ihm aus. Er löst gar – folgen wir dem afrikanischen Autor Achille Mbembe:
    "Eine Dynamik des Irrationalen aus, die das gesamte System der Vernunft auf die Probe stellt."
    Mbembe scheut sich nicht, den belasteten Begriff Neger ins Zentrum einer philosophischen Betrachtung zu stellen. Er benutzt hierbei den Titel des Buches "Kritik der schwarzen Vernunft" beinahe so wie Immanuel Kant seine "Kritik der reinen Vernunft" verstand. In diesem Falle bedeutet das: Die "schwarze Vernunft" tritt als Instanz auf, die sich kritisch selbst durchleuchtet; und sie ist andererseits eine Zuschreibung von außen. Basierend auf erkenntnisfernen Interessen.
    Allerdings rückt Mbembe diese transzendentale Betrachtung noch in den Horizont einer weiteren Diskurstradition ein, die erst zweihundert Jahre nach Kant einsetzte: Es ist die postmoderne Abrechnung mit der Moderne, die sich indes kaum noch als Kritik versteht, vielmehr als ein Verfahren der Dekonstruktion, des Flüssig Machens aller modernen Bestände – kommen die nun als Vernunft, Rationalität oder Realität daher – oder als soziologisch psychologische Phänomene: Der Begriff "Rasse gehört in diesem Zusammenhang durchaus zur prekären Hardware der Moderne, die Mbembe aufbrechen möchte.
    "Die Kritik der Moderne wird unabgeschlossen bleiben, solange wir nicht verstanden haben, dass ihre Entstehung mit dem Erscheinen des Rassenprinzips und der langsamen Umwandlung dieses Prinzips in die privilegierte Matrix der Herrschaftstechniken zusammenfällt, und zwar heute wie damals."
    Starker Einstieg in die Diskussion
    Es geht also um Herrschaft und deren Instrumente; diesmal – und das ist Achille Mbembes starker Einstieg in die Diskussion – unter dem Aspekt von Genese und Geltung der Bezeichnungen Neger und Rasse. -Was bedeuten diese Zuschreibungen ? Wie sind sie entstanden? Warum sind sie heute noch wirksam?
    Im Gegensatz zu den oft ideengeschichtlich beschränkten Untersuchungsgegenständen der Großdenker aus Paris steht Mbembe hierbei handfestes historisches Material zur Hand. Der westlich europäische Diskurs erschuf sich vor etwa vier Jahrhunderten seine Vorstellung von der Rasse, als er gleichzeitig den Negersklaven schuf – jenen Afrikaner, der nach seiner gewaltsamen Verschiffung nach Amerika auf den dortigen Plantagen zu einem biologisch ökonomischen Zwitterwesen gemacht wurde.
    Folgt man Mbembe, so sollte sich diese Manipulation bis in die Gegenwart des Spätkapitalismus erhalten. Philosophisch gesprochen – und Mbembe liebt diese Ausritte ins Philosophische - bedeutet das: Der Begriff der Rasse entsteht im Vollzug moderner Subjektivitätsbildung: Man steigert seine Identität, indem man die mythenreiche Fiktion vom Rasse-Neger erzeugt, den man beherrscht und von dem man sich aber gleichzeitig absetzt. Der Neger wird so Objekt einer komplexen Negation; er fungiert sprichwörtlich als das Ganz Andere. – So plausibel hat man die Matrix der Postmoderne: la differance, noch nie ausbuchstabiert.
    Für Mbembe gibt es drei Phasen dieser gewaltsamen Kodifizierung. In der ersten wird der Afrikaner als Handelsware genutzt und auf sein geschichtsloses und namenlos animalisches Plantagendasein reduziert.
    "Der Neger als solcher existiert nicht. Er wird beständig produziert. Den Neger produzieren heißt ein soziales Band der Unterwerfung und einen Ausbeutungskörper produzieren, also einen Körper, der ganz dem Willen seines Herrn unterworfen ist und dem man ein Höchstmaß an Rentabilität abzupressen versucht."
    Hier entsteht eben jene Komplizenschaft zwischen dem Ökonomischen und dem Biologischen, die für den modernen Rassebegriff bis heute so typisch bleibt. Wie in einem Vexierspiegel tritt uns der Neger fortan auch als verzerrte Gestalt der Moderne entgegen.
    "Als Sklave stellt der Neger eine der beunruhigendsten Gestalten unserer Moderne dar. für deren dunkle, mysteriöse und skandalöse Seite er steht. Als menschliche Person, deren Name geschmäht wird, deren Abstammungs- und Fortpflanzungsfähigkeit getrübt ist, das Gesicht entstellt und der Arbeit beraubt, zeugt er von einem verstümmelten, zutiefst vom Brenneisen der Entfremdung gezeichnetes Menschsein. Aber aufgrund der Verdammung, der sein Dasein ausgesetzt ist, und der Möglichkeit einer radikalen Rebellion, die er dennoch in sich trägt, steht er gleichsam auch für den Humus der Erde, am Ort des Zusammenflusses diverser, durch die zweifache Gewalt der Rasse und des Kapitals geschaffener Halbwelten."
    Grenzenloses Machtgefühl sowie halluzinatorische Erfahrungen
    Im 18. Jahrhundert leitet dann die Kolonialisierung des afrikanischen Kontinents die zweite Phase des Prozesses ein. Ebenso willkürlich wie systemisch werden nun politisch geografische wie ideologische Grenzen gezogen, Herrschaftsverhältnisse etabliert und weitere Bilder vom Neger erzeugt. Sie ermöglichen den Kolonisatoren zweierlei: ein grenzenloses Machtgefühl sowie halluzinatorische Erfahrungen und entfesselte Fantasien. Es ist die Stunde des durch Verfahren sich legitimierenden Kommandos.
    "Das Kommando schämt sich niemals seiner Phantasmen und versucht sie kaum zu verbergen. Deshalb hat Kolonisieren etwas Dionysisches – ein großer narzisstischer Erguss. Die Mischung aus Lust; Besessenheit und Grausamkeit, Trunkenheit und Traum, die zu den strukturellen Dimensionen des kolonialen Unternehmens gehört, lässt sich nur über jene Form des Entzückens begreifen, die zugleich stürmische Erregung ist – zeigt doch die koloniale Welt die meisten Merkmale, die Nietzsche an der griechischen Tragödie zu entdecken glaubt, jene Erscheinung das Schmerzen, Lust erwecken, dass der Jubel der Brust qualvolle Töne entreißt. Aus der höchsten Freude tönt der Schrei des Entsetzens oder der sehnende Klagelaut über einen unersetzlichen Verlust."
    Achille Mbembe setzt hier nicht nur Spitzen gegen den Gewehr bei Fuß stehenden Kolonisator; er greift auch die Phalanx der französischen Afrika- und Negerversteher an. Schon im Syrrealismus und Primitivismus, später auch im Poststruktualismus wird Afrika als Reservoir für Mysterien und einen Vitalismus ohne Gewissenbisse beschworen. Die französische Avantgarde taucht selbst ihre Kolonialismuskritik noch in verquere Mythen, die nicht den Afrikanern zugutekommen der eigenen sexuellen Befriedigung dienen. So geißelt er die:
    "Frivolität französischer Männer, die sich im Beischlaf mit einer Afrikanerin als "Forschungsreisende" empfanden".
    Indes spart Mbembe nicht an Kritik am Selbstbild der Schwarzen. Vielfach spielen sie mit in diesem Spiel: als korrupter afrikanischer Potentat oder auch als Künstler, der die Verzerrungen der Weißen mit gestaltet. – Die Frage ist: Wie diesen Bann aus Entfremdung, Menschenverachtung und Verschwommenheit auflösen, der sich heute im Neoliberalismus und dessen Bild von der biologisch verfassten Ware Mensch fortsetzt ? Etwa durch Auflehnung und Revolution ? Ähnliches forderte der von Mbembe oft zitierte farbige Autor Frantz Fanon schon vor 60 Jahren in seiner Schrift "Die Verdammten dieser Erde". Mbembe argumentiert hier indes weniger politisch. Er war in seiner Kindheit Zögling bei den Dominikanern. Es hat ihn geprägt.
    So plädiert er zuletzt für einen humanen Universalismus, der die alten Schranken des Rassismus niederreißt. Diesen Universalismus findet er - ein wenig überraschend vielleicht für manche Leser - im Mysterium des Christentums:
    "Unter Christentum verstehen die Sklaven und ihre Nachkommen ein Wahrheitsereignis mitten in der seltsamen Spaltung innerhalb des ureigensten Bereichs einer Wahrheit, die stets dabei ist, sich zu öffnen oder zu kommen – Zukünftiges ... Dieses Ereignis ist zugleich Ankunft.. eine Art Fülle der Zeit, wenn alle Völker der Erde um etwas Unendliches , durch nichts zu Begrenzendes versammelt sein werden."

    Achille Mbembe: Kritik der schwarzen Vernunft, aus dem Französischen übersetzt von Michael Bischoff, Suhrkamp Verlag 2014, 332 Seiten, 28 Euro