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Acht oder neun?

Weniger Stress, verringerter Hausaufgabendruck - das ist das Resümee, das Schüler der hessischen Gesamtschule in Lollar ziehen. Hintergrund: Nun dürfen die Jugendlichen das Abitur doch wieder nach Klasse 13 machen.

Von Anke Petermann |
    Schulschluss auch mal nach der Fünften. Amelie Benner aus der achten Klasse fühlt sich erleichtert, seit ihr Gymnasialzweig zu Schuljahresbeginn zum Abitur nach neun Jahren zurückkehrte:

    "Wir hatten früher mittwochs acht Stunden und in den letzten beiden Stunden Physik, und dann musst ich, gleich als ich nach Hause kam, gleich weiter in den Chor nach Gießen, noch zwei Stunden lang und dann noch Hausaufgaben, und da war ich immer total fertig, und inzwischen ist es so , dass wir da vier Stunden haben, und ich da zwischen Schule und Chor noch ganz viel Zeit habe, um Hausaufgaben zu machen. Ich habe jetzt eigentlich keinen Tag lang mehr Stress."

    Weniger Hausaufgabendruck, endlich wieder Tennis spielen, so zieht der 13-jährige Magnus Kegel Bilanz für sich. Seine Mutter atmet mit auf: kein Dauerpauken auch am Wochenende mehr, das sei Stress für die gesamte Familie gewesen. Keine teure Langzeit-Nachhilfe mehr, keine Arztbesuche wegen chronischer Kopf- und Bauschmerzen, erzählen andere Eltern.

    "Endlich sind meine Söhne wieder fröhlich und abends noch in der Lage, sich an Gesprächen in der Familie zu beteiligen",

    freut sich Elternvertreter Lars Schnaut, einer der engagierten G8-Rebellen.

    " Sie können ganz einfach wieder Kinder sein. Sie können sich spontan mit Freunden verabreden, sie haben wieder mehr Zeit für ihren Sport. Ja, auch bei uns ist der Alltag wieder sehr viel ruhiger und entspannter geworden. Bei Magnus war es so, dass er an keiner AG teilnehmen konnte und als sehr sportliches Kind war das für ihn auch eine Strafe, und das können wir jetzt wieder entspannt angehen, eine gute Lösung hat man hier herbeigeführt."

    "Erkämpft", hätte Birgit Kegel eigentlich sagen müssen, denn die Rückkehr zum Abitur nach neun Jahren ist in Hessen für bestehende G8-Klassen nur möglich, wenn die Elternschaft einstimmig dafür votiert, und Einstimmigkeit herzustellen, strapazierte die Nerven der großenteils G8- kritischen Eltern- und Lehrerschaft aufs Äußerste. "Eine Zerreißprobe", klagt Barbara Deiker, Leiterin des Gymnasialzweigs der Gesamtschule Lollar.

    "Das ist eigentlich eine pseudodemokratische Lösung, denn 100 Prozent Zustimmung kann man eigentlich nie erreichen. Wir hatten allerdings einen sehr hohen spontanen Zustimmungsfaktor von etwa 97 Prozent in jedem Jahrgang, und letztlich haben wir über Gespräche und über unser Konzept mit unserer Profilklasse die letzten Eltern überzeugt, und insgesamt hat in jedem Jahrgang ein Elternteil entschieden, das Kind auf ein Gymnasium in Gießen zu geben. Damit konnten wir dann auch gut leben."

    Das Modell Profilklasse zehn überzeugte am Ende die letzten Zweifler, denn es ermöglicht leistungsstarken Schülern, doch noch den Turbogang zum Abi einzulegen. Wählen sie in der Zehnten die Profilkasse, dann haben sie mehr Stunden und behandeln den Stoff der 11. Klasse schon mit. Wenn die Klassenkonferenz zustimmt, können sie die Elf überspringen und direkt in die zweijährige Gymnasiale Oberstufe wechseln. Die 13-jährige Nellie Weber war unlängst Jahrgangsbeste. Doch ist sie noch unentschieden, ob sie in zwei Jahren den schnellen Weg zum Abitur wählt:

    "Also ich guck dann mal, wie es aussieht, wenn ich in der zehnten Klasse bin, aber ich denke schon, dass ich das auch schaffen könnte."

    Magnus Kegel will sich den G8-Stress nicht noch einmal antun, auf das eine Jahr kommt es ihm und seiner Mutter nicht an:

    "Nein, das ist nicht so wichtig, weil, wenn ich schon mal lebe, möchte ich das auch voll ausnutzen und nicht dauerhaft an der Schule hängen und nur lernen. Das spielt für uns keine große Rolle, weil wir ja schon zwei Kinder mit 13-jährigem Abitur haben und unser ältester Sohn hat auf internationaler Ebene studiert und war da weder zu alt noch zu unfähig, und von daher sehen wir die Sache sehr gelassen."

    Die Schüler in der Sekundarstufe II selbst über einen zügigen, aber anstrengenden Weg zum Abitur entscheiden zu lassen, findet auch Elternvertreter Schnaut viel besser, als ihnen das in Klasse fünf zu oktroyieren. Damit, dass Klasse elf übersprungen werden muss, ist die Leiterin des Gymnasialzweigs der Gesamtschule Lollar allerdings noch nicht so recht zufrieden. Barbara Deiker hofft nach wie vor auf eine Reform der gymnasialen Oberstufe, die den G 8-Stoff in den höheren Klassen gleichmäßig verteilt.