Der Zweite Weltkrieg und seine Folgen
Wie aus Feinden Freunde wurden

Am 8. Mai 1945 endete der Zweite Weltkrieg und damit auch die deutsche Schreckensherrschaft in Europa. Dennoch entwickelten sich nach dem Krieg partnerschaftliche Beziehungen zu unseren Nachbarn. Wie konnte diese Aussöhnung gelingen?

    Der frühere französische Präsident Francois Mitterrand und der deutsche Bundeskanzler Helmut Kohl stehen bei einer Feier zur deutsch-französischen Versöhnung am Friedhof Douaumont in der Nähe von Verdun
    Wegbereiter der deutsch-französischen Versöhnung: Der französische Präsident Francois Mitterrand und der deutsche Bundeskanzler Helmut Kohl (picture alliance / AP Images / Uncredited)
    Das nationalsozialistische Deutschland hatte seine Nachbarn überfallen, gedemütigt und unermessliches Leid über viele Länder gebracht. Deshalb war der 8. Mai 1945 eine Zäsur – für die Deutschen und die Welt. An diesem Tag endete der Zweite Weltkrieg in Europa durch die Kapitulation der deutschen Wehrmacht. In vielen Ländern wird dieser Tag bis heute als Tag der Befreiung gefeiert.
    Aber inzwischen ist die Bundesrepublik umgeben von Partnern und Verbündeten, manche sagen sogar von Freunden. Es bringe sie heute noch zum Staunen, dass Versöhnung und Vergebung gelangen, sagt die Historikerin Katja Happe. Was dahinter steht, sind politischer Wille und Gesten der Versöhnung, wirtschaftliche Interessen und Pragmatismus, aber auch Städtepartnerschaften und persönliches Kennenlernen.
    Anm.: Grundlage dieses Textes ist eine sechsteilige Reihe unseres Podcasts „Der Rest ist Geschichte“, die die Annäherung zwischen den Deutschen und ihren Nachbarn nach dem Krieg beleuchtet. Dass dabei nicht alle Nachbarn vorkommen und nicht sämtliche Gräueltaten der Nazis in allen besetzten Ländern aufgezählt werden, ist dem Format geschuldet. Die einzelnen Folgen des Podcasts sind hier in den Text eingebettet.

    Inhalt

    Beispiele deutscher Kriegsgräuel in Europa

    Polen und der Holocaust

    Wie sehr die europäischen Nachbarn unter einer deutschen Besatzungsherrschaft zu leiden hatten, war sehr unterschiedlich. Polen war ganz besonders betroffen. Die Menschen dort galten den Nazi-Besatzern als "Untermenschen", die polnische Nation sollte ausgelöscht werden. Die Besatzung nach dem deutschen Überfall auf Polen 1939 brachte Massenhinrichtungen, die systematische Ermordung der polnischen Juden, der polnischen Eliten und die gezielte Zerstörung von Dörfern, Städten und Kulturgütern.
    Das Land wurde auch zum zentralen Schauplatz des Holocaust. In den Vernichtungslagern Belzec, Sobibor und Treblinka wurden mindestens 1,5 Millionen Juden und Roma ermordet. Weitere 1,1 Millionen Menschen wurden im Konzentrationslager Ausschwitz und dem nahen Vernichtungslager Birkenau ermordet.

    Die Tschechoslowakei und das Münchner Abkommen

    Die damals tschechoslowakische Hauptstadt Prag wurde am 9. Mai 1945 als letzte europäische Hauptstadt befreit. Die Soldaten der Roten Armee wurden mit großer Begeisterung begrüßt. Das war nicht ohne Grund: Frankreich und England hatten die Tschechoslowakei 1938 in München im Stich gelassen, als sie das Sudetenland an Nazi-Deutschland übergaben. Die Tschechoslowakei war bei dem Treffen nicht vertreten.
    Das Münchner Abkommen gilt als Inbegriff der Appeasement-Politik, einer Politik der Zugeständnisse, die dramatisch scheiterte. Im März 1939 besetzte die deutsche Wehrmacht die sogenannte „Rest-Tschechei“, bevor im September 1939 mit dem deutschen Überfall auf Polen der Zweite Weltkrieg begann. Mehr als 80.000 Juden sowie die meisten böhmischen Roma und Sinti wurden in Vernichtungslagern ermordet.

    Die Niederlande, Frankreich und Dänemark

    In den Niederlanden gab es die meisten jüdischen Opfer Westeuropas während des Kriegs. Drei Viertel der in den Niederlanden lebenden Juden – mehr als 100.000 Menschen – starben im Holocaust, darunter viele jüdische Flüchtlinge aus Deutschland. Die letzten Monate der Besatzung waren für die Niederlande besonders hart. Der Winter 1944/45 ging als „Hungerwinter“ in die niederländische Geschichte ein. Eine Blockade der Nationalsozialisten führte dazu, dass Brennstoffe und Nahrungsmittel ausblieben. Fast 20.000 Niederländer starben oder wurden zur Zwangsarbeit nach Deutschland deportiert.
    In Frankreich führten die Deutschen keinen Vernichtungskrieg wie gegen Polen oder die Sowjetunion, aber es kam zu einer Reihe von Massakern durch die SS. Während die nach Vichy verlagerte Regierung Frankreichs mit Deutschland kooperierte, entstand mit der Résistance ein Widerstand, angeführt unter anderem von General Charles de Gaulle.
    In Dänemark war die deutsche Besatzung zwar auch verbrecherisch, aber nicht auf Zerstörung ausgelegt. Die relative Autonomie Dänemarks während der deutschen Besatzung führte auch dazu, dass dort ein Großteil der Jüdinnen und Juden gerettet werden konnte.

    Großbritannien und der Luftkrieg

    Großbritannien konnte eine deutsche Besatzung verhindern. Aber von September 1940 an bombardierte die deutsche Luftwaffe die britischen Inseln, vor allem die Hauptstadt London. „Blitz“ nannten die Briten die Angriffe. 43.000 britische Zivilisten wurden dabei getötet, mehr als eine Million Häuser beschädigt oder zerstört. London sollte Jahre brauchen, um die Wunden im Stadtbild zu reparieren.
    Trotz des deutschen Bombenterrors wird in Großbritannien bis heute diskutiert, ob die Antwort der Alliierten – der Luftkrieg über Deutschland mit mehr als einer halben Million Toten in deutschen Städten – gerechtfertigt war.

    Der Kalte Krieg und die Wiederannäherung

    Nach 1945 entwickelte sich schnell der Ost-West-Konflikt und es kam zum Kalten Krieg, der erst mit dem Ende der deutschen Teilung und dem Zerfall der Sowjetunion 1991 zu Ende ging. Polen und die Tschechoslowakei wurden in der Zeit zu sozialistischen Bruderstaaten der DDR. Zwischen ihnen gab es eine verordnete Versöhnung, im Alltag hatten aber die Menschen an beiden Ufern der Grenzflüsse Oder und Neiße eher wenig Kontakt zueinander.

    Brandts Kniefall in Warschau

    Deutlich schwieriger war die Annäherung etwa zwischen der BRD und Polen im Kalten Krieg. Belastet wurde das Verhältnis einerseits durch die Erinnerung an das schreckliche Leid während der Besatzungszeit. Und andererseits weigerte sich die Bundesrepublik lange Zeit, die Oder-Neiße-Grenze anzuerkennen, wohl auch auf Druck der Vertriebenenverbände.
    Bewegung in das belastete Verhältnis beider Staaten brachte 1965 ein Brief polnischer Bischöfe. Mit dem entscheidenden Satz „Wir vergeben und bitten um Vergebung“ streckte ausgerechnet die polnische Seite der deutschen die Hand zur Versöhnung aus.
    Auf dem Schwarz-Weiß-Bild sieht man den damaligen Bundeskanzler Willy Brandt, wie er vor dem Mahnmal für die Gefallenen des Ghetto-Aufstands in Warschau kniet. Im Hintergrund siehmt man mehrere Journalisten, Fotografen und Zuschauende.
    Der spontane Kniefall des damaligen Bundeskanzlers Willy Brandt vor dem Mahnmal der Helden des Ghetto-Aufstands im Dezember 1970 war eine Geste mit hohem Symbolcharakter. Sie trug entscheidend zur Aussöhnung zwischen Polen und Deutschen bei. (picture-alliance / dpa / dpa)
    Ein Markstein im Aussöhnungsprozess zwischen Deutschen und Polen, dem 1970 der Kniefall von Bundeskanzler Willy Brandt vor dem Denkmal für die Ermordeten des Warschauer Ghettos folgte. Diese symbolischen Gesten zeigten, dass Deutschland ein anderes Land geworden ist, sagt der niederländische Historiker Friso Wielenga. Nichtsdestotrotz sind Verhandlungen über finanzielle Entschädigungen bis heute Teil deutsch-polnischer Regierungsgespräche.

    Die Bedeutung der Wiedervereinigung und die Versöhnung mit den Nachbarn

    Mit der Wiedervereinigung begann eine zweite historische Etappe der Aussöhnung. 1989 entschuldigte sich Vaclav Havel, der erste Präsident der Tschechischen Republik, in einer Fernsehansprache für die Vertreibung der Deutschen nach Kriegsende. Damit stieß er sowohl im eigenen Land auf Gegenwind als auch bei deutschen Vertriebenenverbänden. Trotzdem war es ein großes Zeichen, sagt die Historikerin Christiane Brenner. Havel gilt als wichtiger Wegbereiter der deutsch-tschechischen Versöhnung.
    Die Sudetendeutschen hatten Hitler nach dem Münchner Abkommen von 1938 jubelnd empfangen. Nach Kriegsende wurden deshalb Millionen Deutsche aus dem Land vertrieben. Zunächst in einer Phase der "wilden Vertreibung" bis August 1945 und im Anschluss einer Phase der sogenannten "regulierten Vertreibung" bis 1947.
    Mit dem Zwei-Plus-Vier-Vertrag zur deutschen Einheit von 1990 wurde zudem die Westgrenze Polens endgültig anerkannt und völkerrechtlich festgelegt. In der Bundesrepublik war die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze lange nicht möglich, weil Vertriebenenverbände dagegen kämpften.
    Denn nach dem Krieg war es infolge der Westverschiebung Polens zu einer massiven Umschichtung der Bevölkerung gekommen. Polen waren aus nun sowjetischen Gebieten, Deutsche aus nun polnischen Gebieten vertrieben worden.

    Wirtschaftliche Interessen, Gesten und persönliche Begegnungen

    Im Westen wurde die Annäherung auch stark durch die Wirtschaft vorangetrieben. So wurde zum Beispiel 1951 die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl gegründet. Der gehörten Belgien, die Bundesrepublik Deutschland, Frankreich, Italien, Luxemburg und die Niederlande an. Wer wirtschaftlich zusammenarbeitet, der schießt nicht aufeinander, das war der Gedanke. Die Montanunion wurde zu einer Keimzelle der heutigen Europäischen Union.

    "Generalbereinigung" und Geste der Reue

    Aber es brauchte mehr als wirtschaftliche Zusammenarbeit und Pragmatismus. In den Niederlanden zog 1963 die "Generalbereinigung" eine Art Schlussstrich unter offene Konflikte mit der Bundesrepublik. Sie legte Reparationszahlungen fest und führte zu einer Normalisierung der diplomatischen Beziehungen der beiden Länder.
    Dass der Weg nicht einfach ist, zeigt sich, als Prinzessin Beatrix sich mit dem Deutschen Claus von Arnsberg, einem ehemaligen Wehrmachtssoldaten, verlobte – antideutsche Gefühle kochten wieder hoch.
    Darum war die Geste des deutschen Bundespräsidenten Gustav Heinemann bedeutsam: Er legte einen Kranz am Hollandsche Schouwburg nieder, einem ehemaligen Theater in Amsterdam. Es hatte als Sammelstelle für Juden vor der Deportation über das zentrale Durchgangslager Westerburg in die Vernichtungslager im Osten gedient.

    Städtefreundschaften und Kulturaustausch

    Wie wichtig abseits der großen Politik persönliche Kontakte und Begegnungen sind, zeigte sich besonders im Verhältnis zu Frankreich, wo 1948 das deutsch-französische Institut ins Leben gerufen wurde. Zu den Gründern gehörten neben dem späteren Bundespräsidenten Theodor Heuß und Carlo Schmid – einem der Väter des Grundgesetzes – auch der französische Historiker Joseph Rovan. Der KZ-Überlebende schrieb bereits 1945 einen Artikel in der Zeitschrift Esprit mit dem Titel „L‘Allemagne de nos mérites“ – „Das Deutschland, das wir verdienen“.
    Frankreich trage Verantwortung dafür, wie sich Deutschland in Zukunft entwickeln würde, glaubte Rovan. Er wollte Deutschland die Hand reichen, damit die Chance bestünde, dass Deutschland sich demokratisch und offen entwickele, dass Kooperation möglich sei statt Konflikt, sagt die Historikerin Claire Demesmay. Es seien solche Menschen gewesen, die dazu beitrugen, erste Jugendbegegnungen zu organisieren.
    Auch die deutsch-britischen Beziehungen profitieren von engagierten Gruppen. Ab Mitte der 1960er-Jahre gibt es Städtefreundschaften, es gibt Kulturaustausch, sagt die Historikerin Karina Urbach. Der British Council versuchte, britische Literatur nach Deutschland zu bringen und umgekehrt waren die Goethe-Institute erfolgreich, weil die Menschen Deutsch lernen wollten.
    Auch Tourismus trägt zur zwischenmenschlichen Annäherung bei. So machen tausende Deutsche Jahr für Jahr Urlaub in anderen europäischen Ländern und umgekehrt. Die französische Historikerin Demesmay glaubt, dass aus Freundschaft nicht noch einmal Feindschaft wird, auch wenn der Nationalismus in Deutschland und Frankreich wachse.
    Für den deutschen Historiker Peter Oliver Loew liegen aber noch immer Gefahren in historischen Kränkungen. Deshalb brauche es Menschen, die vorausgingen und zeigten, dass es sich lohnt, sich einzusetzen.